Thomas Thiemeyer

Nebra


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       Thomas Thiemeyer

      Nebra

      Thriller

      Thomas_Thiemeyer

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      Impressum

      © 2009 by Thomas Thiemeyer.

      Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –

      nur mit Genehmigung des Autors wiedergegeben werden.

      Umschlaggestaltung: Thomas Thiemeyer, Stuttgart

      ISBN 978-3-948093-45-7

      Über dieses Buch

      Walpurgisnacht. Schneestürme verwüsten das frühlingsgrüne Land. In den Tiefen des Berges will eine archaische Kraft entfesselt werden. Doch noch fehlt das entscheidende Element …

      Rund um den Brocken im Harz bereiten sich Hotels und Gemeinden auf den Touristenrummel zu Walpurgis vor. Auch die Archäologin Hannah Peters ist dort unterwegs; sie soll im Auftrag des Landesmuseums die geheimnisumwitterte Himmelsscheibe von Nebra erforschen, einen sensationellen bronzezeitlichen Fund aus der Gegend – und kommt keinen Schritt weiter. Was sie nicht wissen kann: Die Scheibe ist das Objekt der Begierde eines dunklen Kultes, der in den Höhlen des Harzgebirges seit langem darauf lauert, einen alles vernichtenden Ritus zu zelebrieren. Als Hannah einen Mann kennenlernt, der das Gebirge wie seine Westentasche zu kennen scheint, kommt endlich Bewegung in ihre Forschungen. Doch dann ist die Scheibe plötzlich verschwunden. Unwiderruflich wird Hannah hineingezogen in die Machenschaften jener uralten Sekte, und schon bald kündigen seltsame Himmelserscheinungen eine Walpurgisnacht an, die nie wieder enden wird …

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      Vorbemerkung

      Während die Ereignisse und Personen des Romans reine Erfindung sind, entsprechen die Deutungen der Himmelsscheibe in weiten Teilen dem aktuellen Wissensstand.

      Mit Rücksicht auf die noch nicht abgeschlossenen Forschungen wurden alle Orte, Namen und Daten von mir bewusst verfremdet. Die hier geäußerten Vermutungen sind in dieser Form noch nirgendwo publiziert worden und beruhen auf der Verknüpfung scheinbar widersprüchlicher Theorien.

       Stuttgart, im August 2008 Thomas Thiemeyer

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      Wenn das Gestirn der Plejaden, der

      Atlastöchter, emporsteigt,

      Dann beginne die Ernte, doch pflüge, wenn sie

      Hinabgehen;

      Sie sind vierzig Nächte und vierzig Tage

      Beisammen

      Eingehüllt, doch wenn sie wieder im

      Kreisenden Jahre

      Leuchtend erscheinen, erst dann beginne die

      Sichel zu wetzen.

       Hesiod, 700 v.Chr.

      Dichte Wolken, die die Finsternis des Himmels herbeiführen, sind sie. Gegen den Menschen wüten sie, essen das Fleisch, lassen das Blut sich ergießen, trinken die Adern. Unablässige Blutsäufer sind sie. Asakku und Namtaru nahen sich dem Kopf, der böse Utukku naht sich dem Hals, der böse Alu naht sich seiner Brust, der böse Etmmu naht sich seiner

      Leibesmitte, der böse Gallu naht sich seiner Hand, der böse Ilu naht sich seinem Fuß.

      Babylonisches Beschwörungsrelief, etwa 2000 v.Chr.

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      1

      Samstag, 30. April 1988

      Ein seltsames Geräusch drang durch die Dunkelheit zu ihm herauf.

      Erst von fern, dann stetig näher kommend. Ein dumpfes Schlagen, das durch die Gänge hallte, sich an den Felsen brach und den Boden unter seinen Füßen erzittern ließ. Kein natürliches Geräusch, dafür war es zu rhythmisch. Trommeln vielleicht oder Pauken, begleitet von einem Pfeifen, das wie das Heulen des Windes klang. Waren das Hörner? Aber welches Horn war in der Lage, solche Misstöne zu erzeugen?

      Was immer sich da in den Eingeweiden der Welt regte, es kam näher.

      Trotz seines Alters – er war immerhin schon siebzehn – weigerte sich der Junge, die Augen zu öffnen. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten, doch das war nicht möglich. Die ledernen Riemen, mit denen seine Hände hinter dem Rücken an einem Pflock festgebunden waren, schnitten ihm ins Fleisch. Alle Bemühungen, sie mit seinen tauben Fingern zu öffnen, hatte er längst aufgegeben. Er saß da, vornübergebeugt, das Kinn auf die Brust gesenkt und mühsam nach Luft ringend.

      Hier unten war es mörderisch heiß. Der Schweiß rann ihm in Strömen vom Gesicht. Durch seine geschlossenen Lider hindurch drang das Flackern eines Feuers. Brandig riechende Luft strich über sein schweißgebadetes Gesicht. Zu schwach, um sich aufzurichten, zu verängstigt, um sich dem Anblick seiner Entführer zu stellen, saß er da, hielt die Augenlider fest zusammengepresst und erwartete das Unheil, das da aus den Tiefen des Berges zu ihm emporstieg.

      Der Lärm war mittlerweile zu einem ohrenbetäubenden Crescendo angeschwollen. Stimmen mischten sich in das Heulen und Trommeln, Stimmen, denen etwas Fremdartiges innewohnte. Sie sangen in einer Sprache, die er nicht verstand. Die Silben wehten durcheinander, während aus dem Klangteppich eine einzelne klare Stimme emporstieg. Wie ein Vogel schwebte sie über dem atonalen Chor und sang in einer Schwermut, die überirdisch schön war.

      Unter den geschlossenen Lidern spürte der Junge Tränen hervorquellen. Wie in Trance bewegte er seinen Oberkörper vor und zurück, während er die Melodie aufgriff und mitzusummen begann. Die Musik trug seine Gedanken an einen weit entfernten Ort. Einen Ort, wo ihm der Schrecken und die Verzweiflung nichts anhaben konnten.

      Monoton sang er mit, immer dieselbe Strophe, immer dasselbe Lied.

       »Wach auf!«

      Eine Stimme drang zu ihm durch, flüsterte ihm etwas ins Ohr.

      »Jetzt mach schon. Ich glaub, ich hab es geschafft. Die Fesseln lockern sich.« Die Stimme war jetzt merklich lauter. Sie drängte, forderte, zischte.

      »Verdammt noch mal, wach endlich auf!«

      Es hatte keinen Sinn. Er konnte die Stimme nicht länger ignorieren. Widerstrebend schlug er die Augen auf.

      Zunächst erkannte er nur Farbschleier, doch dann begann sich ein Bild zu formen. Er wandte den Kopf zur Seite und blickte in das Antlitz eines Mädchens. Ihr hübsches Gesicht war schweißüberströmt. An ihrer Schläfe klaffte eine Wunde, ihr pechschwarzes Haar war blutverkrustet.

      »Ich glaub, ich krieg die Fesseln los«, flüsterte sie, sichtlich erleichtert darüber, dass er endlich wieder bei Bewusstsein war.

      Der Junge schüttelte den Kopf. Er fühlte sich, als würde etwas mit seinem Gleichgewichtsorgan nicht stimmen.

      »Alles dreht sich in mir«, stammelte er. »Außerdem habe ich einen Riesendurst. Mir klebt die Zunge am Gaumen.« Er versuchte etwas Speichel zu sammeln, aber es ging nicht, sein Mund war völlig ausgetrocknet.

      »Das ist das Zeug, das sie uns gegeben haben«, erwiderte das Mädchen. »Ich habe nur einen kleinen Schluck von dem Gesöff genommen und den Rest ausgespuckt, als sie nicht