Wiglaf Droste

Die schweren Jahre ab dreiunddreißig


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      Wiglaf Droste

      Die schweren Jahre ab dreiunddreißig

      Herausgegeben von Klaus Bittermann

      Mit einem Vorwort von Friedrich Küppersbusch

      FUEGO

      - Über dieses Buch -

      Wiglaf Droste, mit 57 Jahren überraschend gestorben, wird gerne mit Kurt Tucholsky in einem Atemzug genannt. Er war in jedem Fall ein ebenso begnadeter Polemiker wie Dichter hinreißender Liebeserklärungen, ein mit den Nuancen der Sprache vertrauter Analytiker und ein unversöhnlicher Kritiker der politischen Verhältnisse und der Dummheit. Er hat an die 30 Bücher geschrieben, hat tausende von Lesungen und Veranstaltungen bestritten, hat dabei immer alles gegeben, er hat dabei weder sich noch andere geschont, denn das war für ihn die Voraussetzung von Literatur: »Den ganzen anderen Quatsch kann man lassen.« In diesem Buch erscheinen seine Texte, die für Furore sorgten und Debatten auslösten, wie »Als Schokoladenonkel unterwegs«, der ihm einen Boykott seiner Lesungen eintrug, »Mit Nazis reden?«, eine bereits vor 25 Jahren gegebene letztgültige Antwort auf eine aktuell diskutierte Frage, eine feine Liebeserklärung an »Die rauchende Frau« und »Die Rolle der Frau«, ein Zusammentreffen mit dem »Proletariat«, eine Reise um die Welt mit 80 Phrasen, die Wahrheit über den »Commandante Reduntante« aus der Konkret und viele andere unvergessene Evergreens.

      Pressestimmen

      »In dem liebevoll und kundig zusammengestellten Band gibt es einen Satz, der als Motto über Drostes Gesamtwerk stehen könnte: “Man muss durch das, was einen quält, hindurch, um es abhaken zu können”. Wenn man diese Sentenz recht bedenkt, dann versteht man, warum Drostes Texten die Abgeklärtheit fehlt.« (rbb Kultur)

      »Eine Best-of Sammlung seiner wichtigsten und schrägsten Geschichten, zeitlose Klassiker, die in ihrer Ausarbeitung ihres Gleichen suchen. Bissige Texte, die sein herausragendes Talent erstrahlen lassen und tief gehen, weil es nötig ist. Klare Empfehlung.« (Gernot Recke, Kamikaze-Radio)

       Hooligan der Inbrunst

       Vorwort

       Friedrich Küppersbusch

      WIGLAF DROSTE WURDE AM 27.6. 1961 in Herford entbunden, und diese verheißungsvollste Katastrophe im Leben eines Menschen – die Entbindung – sollte sich für ihn noch oft wiederholen. Allein die taz hat ihn dreimal – von ihrer Medienseite, seiner Freitagskolumne und seinem Job als Redakteur – entbunden. Wiglaf Droste saß länger im Knast als Johnny Cash. Elf Tage in Moabit, nachdem er zum 1. Mai 1988 als Reporter von engagierten Berliner Polizisten knüppelharte Statements eingeholt hatte. 2100 Mark Geldstrafe wurden gegen ihn verhängt, als er zehn Jahre später selbst über die Wunder der Menschwerdung räsonierte: wie könne es kommen, »dass einer, der wahrscheinlich als Mensch geboren wurde, das werden konnte – ein Feldjäger«.

      Droste kam, dafür gibt es Augenzeugen, nachweislich als Mensch zur Welt. Und stellte sich fortan der ungleich schwierigeren Aufgabe, das auch zu bleiben. Diese wenigen Pinselstriche genügen bereits, zu zeigen, wir hart es sein kann, einen ausgewachsenen Droste als Mensch durch die Zeit zu bringen.

      Wie der Name schon sagt: Wiglaf. Das Lied vom »Boy named Sue« des für Droste sehr respektablen Johnny Cash erzählt die Geschichte eines vaterlos aufwachsenden Jungen. Ihm wurde der Mädchenname »Sue« übergeholfen, damit er trotzdem ein harter Killer würde.

      A boy named Wiglaf folgte diesem Gesetz gleich mit seiner ersten Singleveröffentlichung, dem legendären »Grönemeyer kann nicht tanzen«: Der Mann heißt mit vollem Namen Herbert Arthur Wiglev Clamor Grönemeyer, tatsächlich auch: Wiglev, und das klingt schon stark nach »this town ain’t big enough for the both of us«. Jedenfalls war damit auch der Musiker, Sänger, Rezitator Droste auf der Welt, der später mit dem Spardosen-Terzett, Danny Dziuk, Funny van Dannen musizierte. Wiglaf durchfurchte schadlos die Schulhofrufe nach westfälisch »Wiechlaff« oder kurz »Wiggi«. Bei Harry Potter taucht noch ein Wiglaf auf, und in der altsächsischen Beowulf-Sage. Dort ist es der junge schwedische Recke, der dem Titelhelden beim Angriff auf den Drachen als einziger zur Seite steht. Wäre dies die wahre Wurzel der Benamung, hätte die Familie Droste einen anderen Sohn auch gleich Beowulf nennen können. Was sie taten.

      An der Berliner Universität hielt sich Droste knapp länger auf als im Moabiter Knast. Nach 5 Wochen »Publizistik und Kommunikationswissenschaften« entließ er die Uni in eine ungewisse Zukunft. Im März 1988 beging der taz-Lokalteil den Internationalen Frauentag mit der Abbildung einer Banane in einer Vagina. Was wiederum die weibliche Belegschaft der taz mit einem »Frauenstreik« beging. Worauf wiederum der just erst angedockte Droste seiner Aufgaben ledig war und sich der Erfindung des Poetry Slams widmen konnte. Nachdem Thomas Kapielski im Blatt eine überfüllte Disco als »gaskammervoll« beschrieben hatte, wofür es damals überraschend keinen Echo-Musikpreis gab, versuchte Droste dem Kollegen beizustehen und kommentierte den Streit als »Endlösung der Dudenfrage«. Im »Café Central« am Nollendorfplatz begründeten die taz-Dissidenten daraufhin die »Höhnende Wochenschau«, eine papierlose Zeitung, von Autoren tagesaktuell ins Publikum gelesen; Jahrzehnte bevor der moderne »Dichterwettstreit« der Textindustrie jäh die Milch einschießen ließ.

      »Kommunikaze« betitelte er sein erstes Buch um diese Zeit herum; da es inzwischen über dreißig sind, könnte man ihm auch einen Literaturpreis nur für die besten Buchtitel verpassen: »Begrabt mein Hirn an der Biegung des Flusses«, »Die schweren Jahre ab 33«, »Auf sie mit Idyll« oder »Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv«. Das riecht nach Erfolg, die Zeit adeltadelte Droste als »linksradikale Skandalnudel« und »Heimatdichter der linken Szene«. – Sowas konnte nicht ungesühnt bleiben. In die Titanic drosch Droste seinen Text vom »Schokoladenonkel«, plädierte wuchtig, nicht jeden Mann mit Schokolade am Kinderspielplatz zum Sexverbrecher hochzufiebern. Und reichte damit recht eigentlich den mäßigenden Stimmen in der Missbrauchsdebatte ritterlich den Arm. Buttersäureanschläge, Mahnwachen, Schlägereien bei Lesungen, Steckbriefe, drei Veranstaltungen gesprengt, zwei Veranstalter kniffen. Wiglaf musste hinnehmen, dass er, der erfahrene Beamten- und Bundeswehrbeleidiger, unter Saalschutz las. Er ficht mit dem Säbel, sticht mit dem Florett, schreiben Rezensenten, und zugleich bestaunt man die jähe Wut, die aus Droste hervorbricht, wenn der Rest der Welt gesinnungsgemütlich im Eigenmief dämmert. Er ist eben kein Kirmesschläger, der sich vom Gaudium des Publikums zum Schlachtfest anstacheln ließe.

      Wo andere zaghaft ein Fenster spaltbreit öffnen, springt er hindurch, und was dann hinterher blutet, ist nicht selten er selbst. Warum er das tut – Gewalt wittert, wo andere noch schunkeln; gewaltig austeilt, wo der sanfte Ordnungsruf als Hochliteratur gilt – das wurzelt in Wiglafs Wissen um Verletzung. Droste mag, wie die Süddeutsche schrieb, »der Tucholski unserer Tage« sein – ganz sicher beherrscht er die Zärtlichkeit des Holzhammers, ist ein Hooligan der Inbrunst, und manchmal leider untröstlich und selbstzerstörerisch im falschen Trost. Sehen Sie Wiglaf Droste in seiner Lebensrolle: »Der Unumarmbare«.

      Doch morgens um sechs ist die Welt noch in Dortmund. Womit die abseitigen Neigungen Wiglafs in einer Nussschale summiert sind: Borussia Dortmund, Wortspiele, und früh aufstehen. Ein Mann, der unverdrossen einen BVB-Anstecker an allen Konfektionsgrößen seines diesbezüglich abwechslungsreichen Lebens getragen hat, erlebte den Ballspielverein als eine Welt des guten Glaubens und der Hoffnung auf auch in dieser Höhe verdiente Auswärtssiege – leider in den Händen der falschen Geschäftsführung. Das ähnelte Wiglafs Blick auf den Rest des Universums. Mitunter noch vor sechs Uhr gab er sich die Ehre, den ersten Sonnenstrahl eines liebevollen Gedankens ungehemmt durch sich hindurch auf’s Papier fluten zu lassen: Über gutes Essen, über wundervolle Frauen. Oder er räumte umsichtig einen aktuellen Sprachunfall von der Straße, noch bevor wir daran verunglücken konnten. Oder er liebte einfach: Peter Hacks, Dashiell Hammett, Vincent Klink oder den großen Bär Harry Rowohlt.

      Dessen ehernes Gesetz, wonach man sich dereinst für jeden ausgelassenen Kalauer vor Gott zu verantworten habe, reichte Wiglaf großzügig an Freunde aus, ein Rettungsring für strauchelnde Dichter. Droste selbst machte keine Kalauer; vielmehr werden durch ihn Formulierungen zu Drostizismen. Klassiker wie die von den »leider nicht mehr sterblichen Gefährten«