Erik Eriksson

Der blaue Strand


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      Eriksson

       Der blaue Strand

      Erik Eriksson

      Der blaue Strand

      Liebe und Krieg

       Band 2

      (1854-1858)

      Übersetzt aus dem Schwedischen von Nicola Jordan

      © 2013 Oktober Verlag, Münster

      Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung des

      Verlagshauses Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster

       www.oktoberverlag.de

      Alle Rechte vorbehalten

      Originaltitel: Den blå stranden

      Satz: Henrike Knopp

      Umschlag: Thorsten Hartmann

      unter Verwendung eines Fotos von Shaiith/istockphoto.com

      Herstellung: Monsenstein und Vannerdat

      ISBN: 978-3-941895-35-5

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

       readbox publishing, Dortmund

       www.readbox.net

      I. DER ENGLÄNDER

      Begegnung im Nebel

      In dieser Woche hatte sie nur wenig gefangen. Mehrere Tage hintereinander hatte Kristina die Netze zwischen den kleinen Felsen der Svartkobbarna-Inselgruppe ausgelegt, wo sich, wie sie wusste, die Fische gewöhnlich aufhielten, und doch war der Fang nicht der Rede wert gewesen, nur ein paar Zander und einige kleine Maränen.

      An diesem Vormittag versuchte sie, die Netze bei der äußersten Felseninsel auszulegen, wo der Boden steil nach unten abfiel. Dahinter begann das offene Meer. Es lag Nebel über dem Åländischen Meer, die Sicht war eingeschränkt.

      Kristina brauchte länger als gedacht. Sie war gezwungen, einen Senker zu verlegen und eine Netzbefestigung zu flicken, sie geriet in zu große Tiefe hinaus, näherte sich wieder mehr dem Ufer und warf das Netz erneut aus. Es kümmerte sie nicht, dass der Nebel immer dichter wurde; sie war ja in Landnähe, das steinige Ufer der kleinen Felseninsel und das Wäldchen aus Wacholdersträuchern lagen in Sichtweite. Wenn sie in die andere Richtung blickte, sah sie nur eine dicke graue Wand.

      Mit dem Nebel kam die feuchte Kälte vom Meer. Es war die erste Maiwoche des Jahres 1854, und das Meerwasser war immer noch kalt wie im Winter. Die Eiderenten waren schon mit ihren Jungen auf dem Meer, aber die Seeschwalben waren noch nicht an die Strände Roslagens gekommen.

      Langsam ruderte Kristina zu der Felseninsel zurück. In diesem Frühjahr hatte sie sich mit der kleinen Räucherei der Familie eine immer größere Arbeitslast aufgebürdet. Aber sie brachte Bargeld, denn der Fisch wurde an das Wirtshaus in Grisslehamn verkauft, und ein Teil ging an das Posthaus oder das Militär.

      Kristina hatte in der Woche zuvor eine lange Leine auf einer der äußeren Felseninseln zurückgelassen. Sie hatte am Ufer eine gute Stelle zum Befestigen des Netzes gefunden und die Leine dort gelassen. Als sie jetzt an dieser äußeren Felseninsel vorbeiruderte und schon die nächste Insel erblickte, fiel ihr die Leine wieder ein und sie beschloss, sie zu holen.

      Sie sprang an Land, zog das Boot auf den flachen Strand hinauf, fand die Leine und setzte sich auf einen runden Stein, um sich auszuruhen. Jetzt war die Sicht richtig schlecht, sie sah, wenn überhaupt, nur zwanzig Meter weit. Aber sie würde nach Hause finden, Byholma lag ganz nah, und bis Marviken, wo sie die Räucherei hatte, war es nur eine halbe Stunde zu rudern. Sie wusste, wo Norden und Süden waren.

      Weit entfernt schrie ein Vogel, vielleicht eine Meerente.

      Da hörte sie ein unbekanntes Geräusch, etwas wie ein schwaches Schnaufen draußen auf dem Meer. Es kam näher, und nach einer Weile klang es mehr wie ein heiseres, rhythmisches Schlürfen oder Pfeifen. Kristina musste an strömendes Wasser denken, an den gurgelnden Laut, mit dem Wellen in Uferhöhlen eindringen und wieder hinausfließen. Aber das hier war etwas anderes.

      Sie stand auf und ging hinunter zum Ufer, am Ruderboot vorbei und hinaus auf die Landzunge der kleinen Felseninsel. Das Geräusch nahm die ganze Zeit über an Lautstärke zu.

      Jetzt hörte sie entfernte Stimmen, Rufe und Schreie, aber sie konnte keine Wörter verstehen. Es klang nicht wie Schwedisch.

      Sie blieb bei einem Wacholderstrauch stehen, wartete, hörte immer noch das schnaufende Geräusch und dann wieder die Rufe. Jetzt hatten sich die Rufer dem Land genähert, waren aber immer noch vom Nebel verborgen.

      Plötzlich hörte sie ein platschendes Geräusch, so wie wenn jemand mit heftigen Armbewegungen schwimmt. Und dann knallte ein Schuss und dann noch einer. Das Platschen ging weiter. Kristina hockte sich hinter den Wacholderstrauch. Sie war sich jetzt ziemlich sicher, dass jemand mit kräftigen Armzügen auf den Strand zuschwamm.

      Schließlich erblickte sie den Mann im Wasser. Er hatte gerade eben das flache Ufer erreicht, stand auf und ging einige taumelnde Schritte, fiel und stand wieder auf. Als er oben am Ufer war, wandte er sich um und sah in Richtung seiner Verfolger, denn nun begriff Kristina, dass der Mann verfolgt wurde.

      Es war ein junger Mann, barhäuptig, seine durchnässte Kleidung sah gewöhnlich aus, Walkhosen, helles Hemd, Weste. Er hatte helle Haare und sah aus wie die meisten jungen Männer aus der Gegend.

      Der Mann trottete an dem Strauch vorbei, hinter dem Kristina versteckt saß. Sie hörte seinen keuchenden Atem, sie sah ihn aus der Nähe, aber er sah sie nicht. Er lief auf die Insel zu, auf das Gestrüpp und die Klippen, die sich dort befanden. Kristina wusste, wie die Insel aussah. Wusste der fliehende Mann es auch? Kristina kam der Gedanke, dass er vielleicht aus der Gegend war.

      Dann kamen die Verfolger. Sie kamen in einem Boot, einem schweren Ruderboot mit drei Riemen an jeder Seite. Als der Steven das flache Ufer erreichte, bewegte sich das Boot durch die Geschwindigkeit, die die Ruderer aufgenommen hatten, noch einige Meter weiter. Drei Männer mit Gewehren sprangen hinaus, gefolgt von einigen der Ruderer, die mit blanken Kurzsäbeln bewaffnet waren. Die Männer trugen Uniformen: blaue Jacken, blaue Hüte, weiße Hosen. Sie riefen sich etwas zu, einer von ihnen zeigte auf etwas, und Kristina hörte wieder jene fremden Wörter.

      Sie wusste, dass sich dampfbetriebene englische Kriegsschiffe auf dem Åländischen Meer befanden. Sie waren nach der Eisschmelze gekommen, lagen im Krieg mit Russland und bedrängten Handelsschiffe auf dem Meer. Einige Fischer und Bootsmänner aus Roslagen hatten die seltsamen Kriegsschiffe, die auch bei Windstille gute Fahrt machten, schon gesehen und den erstaunten Zuhörern in Grisslehamn von ihren Beobachtungen berichtet. Kristina hatte durch ihren Vater davon gehört. Jetzt dachte sie, dass das Geräusch im Nebel vielleicht von einem jener Dampfschiffe kam und in diesem Fall die Männer englische Soldaten waren.

      Sie teilten sich auf. Einer der Bewaffneten ging geradewegs auf die Insel zu, die anderen verschwanden in verschiedene Richtungen längs des Ufers. Kristina blieb hinter dem Wacholderstrauch sitzen. Dann und wann hörte sie Rufe; die Engländer hielten offensichtlich auf diese Weise Kontakt miteinander, aber es wirkte nicht so, als wären sie bei ihrer Suche erfolgreich.

      Kristina lauschte, das zischende Geräusch des Dampfschiffs war die ganze Zeit über da. Aber es war nichts zu sehen, der Nebel war zu dicht.

      Nach einiger Zeit spürte Kristina, dass sie den Rücken strecken musste. Sie erhob sich vorsichtig und drehte sich gleichzeitig zur Seite. Da sah sie flüchtig etwas im Nebel und setzte sich schnell wieder hin. Es war der fliehende Mann, der zurückkam. Er kam auf ihr Versteck zu, wurde langsamer, schien unschlüssig zu sein. Kristina verspürte den Wunsch, ihm zu helfen, sie überlegte, war im Begriff sich