David Wagner

Suomenlinna


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      David Wagner

      Suomenlinna

      SuKuLTuR

       2013

      Pub Sirdie

      Allein am Tisch, schweigend vor ihrem Bier sitzende, vor sich hin oder auf den stummgeschalteten Fernseher über der Tür starrende männliche Finnen (Achtung, Klischee): zwei

      Sonstige Gäste (uns ausgenommen): null

      Finnische Interpreten, die wir an der Jukebox im Pub Sirdie wählen: Laisa Kinnunen, Tapio Rautavaara, Olavi Virta, Annikki Tähti und Rauli Badding (he, sagst du, has a bad hair day every day)

      Exemplare von Mikko Rimminens Pussikaljaromaani (Tütenbierroman), die, an allen drei Seitenschnitten mit dem Schriftzug „Pub Sirdie“ versehen, auf einem Regal neben einigen anderen Gegenständen und abgegriffenen Kneipenbüchern liegen: zwei

      Angeblich ungarischer und angeblich immer unfreundlicher Barkeeper, zeitunglesend: einer

      Anzahl der deutschsprachigen Titel, die wir die Jukebox für uns spielen lassen: einer (Lili Marleen von Lale Andersen, ich singe ein wenig mit und habe dabei deutsches schlechtes Gewissen, dieses Soldatenlied mitzusingen, ich kann es auswendig, meine Großmutter hat es ja manchmal gesungen, alle Strophen, „Aus dem stillen Raume / Aus der Erde Grund“, ich wußte nicht was das bedeuten sollte, hat mir immer am besten gefallen)

      Momente, in denen ich an Peter Handke und seinen Versuch über die Jukebox denke: null

      Instrumentalstücke, die wir hören: The Good, the Bad and the Ugly (die Filmmusik) und Dave Brubeck Take Five (habe ich als Elfjähriger gern gehört)

      Anzahl der gespielten finnlandschwedischen Lieder: null

      Anzahl französischer Chansons: einer (Nathalie von Gilbert Bécaud, zwei Mal)

      Weitere deutsche Lieder, die sich (wieso eigentlich?) in dieser Jukebox finden und von uns nicht gewählt werden, weil ich lieber wieder Tapio Rautavaara hören möchte: Zarah Leander Ich weiß es wird einmal ein Wunder geschehen und Caterina Valente Ganz Paris träumt von der Liebe. Aha.

      Minuten, die wir (ich) über Rainer Werner Fassbinder reden: ca. vier

      Sätze, die du auf Schwedisch sagst: vier oder fünf

      Anzahl der Biere: weiß ich nicht mehr (bitte keine Alkoholangeberei)

      Anzahl der undefinierbaren Wanddekorationstücke: ungezählt (ich erinnere mich an ein ledernes Zugpferdgeschirr)

      Deutsche Großschriftsteller, die wir am Abend zuvor in der Deutschen Botschaft getroffen haben: einer

      Deutsche Großschriftsteller, über die du sagst: he looks like Johnny Cash, only more red in the face: einer

      Deutsche Großschriftsteller, über die du dann noch sagst: he is very funny without him knowing being funny (oder habe ich das vielleicht gesagt?): einer

      Botschaftsgebäude, die du bisher ob ihrer Lage und ihrer schon wieder protzig, ein wenig neureich wirkenden architektonischen Zurückhaltung in hellem Stein (es handelt sich um aus Deutschland importierten Juramarmor) für saudi-arabisch gehalten hast, sich dann aber als Seepalast der Bundesrepublik Deutschland herausstellen (ich hatte das Gebäude am Zaun erkannt, der gleiche Sicherheitszaun zieht sich um das alte Bundeskanzleramt in Bonn, in Kuusisaari ist er bloß in einem zur hellen Fassade passenden, leicht abgetönten Weiß lackiert): eines (entworfen wurde die Botschaft, innen hängen sehr viele Lampen, vom finnischen Großarchitekten Juha Leiviskä)

      Titel des Songs von Bob Dylan, den wir gern in der Jukebox gefunden und gehört hätten: Girl from the North Country (die Version, die er 1969 zusammen mit Johnny Cash aufgenommen hat)

      Besondere Momente: mindestens neun oder zehn, zum Beispiel der, als der Wind durch die sich öffnende Tür in die Straßenbahn 3T hineinweht und die auf dem Boden liegengebliebene Gratiszeitung zwischen uns umblättert, sehr schnell, der Wind die unsichtbare Hand (in einem Film, das war deine Idee, müßte der Protagonist in der so aufgeschlagenen Zeitung dann eine für ihn immens wichtige Nachricht lesen). Ein anderer dieser Momente ist der, als wir die leere Straße in Kallio überqueren und uns auf dem Asphalt eine leere Bierdose (vielleicht auch eine Coladose) hinterherweht – die dabei natürlich dieses Geräusch macht, das sich anhört, als ob der Wind eine leere Bier- oder Coladose über den Asphalt wehe, allerdings ist dieses Geräusch hier so deutlich und klar und übertrieben bierdosig, der Klang so knusprig, daß ich denke, ich höre dieses Geräusch im Kino

      Titel des Liedes, von dem du dann schwärmst, du hast es auf deinem iPod, der aber läßt sich nicht an die Jukebox anschließen: Lovers are Strangers von Chinawoman (und du sagst, in Osteuropa ist sie ein Star)

      Traurige Finnen, älter, mit Bart, die dann, nachdem sie schon länger nicht mehr auf den stummen Fernseher, sondern in unsere Richtung geschaut haben, von ihrem Tisch aufstehen und fragen, ob sie sich zu uns setzen können: einer

      Dann doch nicht so traurige Finnen, die sogar ein wenig deutsch sprechen (er sagt „Kneipendeutsch“), dann schwedisch, dann aber, mit dir, doch lieber finnisch: einer

      Angeblich ungarischer und unfreundlicher Barkeeper, der dann aber sehr freundlich ist und uns immer wieder Scheine in zwei Euro Stücke wechselt: einer

      Anzahl der Lieder, die diese Jukebox (mit Sichtfenster auf die senkrecht stehenden Vinyl-Singles) insgesamt für uns spielt (der bärtige, dann doch nicht so traurige Finne hat die meisten finnischen mitgesungen): 20 (vier mal fünf, vielleicht auch noch ein paar mehr)

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