Erik Eriksson

Schärenmorde


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Demonstranten betrachtete: als »richtige Demonstranten« oder als Aktivisten.

      Jetzt merkte er, dass sie ziemlich empört war, dass das Ganze so lange gedauert hatte. Sie selbst hatte das Schiff schon morgens gesehen. Aber dann hatte es gedauert, bis etwas unternommen wurde. Der Durchsuchungsbefehl kam erst, als die M/S Sertem Explorer schon abgelegt hatte. Jetzt mussten sie mit der Wasserschutzpolizei zusammenarbeiten.

      Holtha kannte jeden Meter des Weges, jede Kurve zwischen Gillinge und Norrtälje. Das, was Zeit kostete, war die Wegstrecke hinaus nach Kapellskär, die Linkskurve in Richtung Rävsnäs, wo das Schiff an der Brücke angelegt hatte.

      Holtha stieg aus und stellte fest, dass die Lokalzeitung schon zur Stelle war. Und dieses Mal war es wirklich nicht er gewesen, der geplaudert hatte.

      »Willst du mit hinaus zum Fischfang fahren?« Holtha grinste und ahnte, dass dieser Journalist vermutlich eine ganze Menge wusste.

      Unter gewissen Umständen blicken alle in dieselbe Richtung, dachte Keith Holtha zum wiederholten Male an diesem Abend.

      »Hat diese – nennen wir es Hausdurchsuchung – irgendetwas mit dem Mord im Hafen zu tun?«

      Die Frage wurde als reine Formalie gestellt. Nicht etwa, weil Kriminalreporter Olle Kärv eine ausführliche Antwort erwartete.

      »Nein, wir wollen nur ausfahren und fischen«, grinste Hansson und ging auf die Brücke hinaus zu dem dort wartenden Schiff.

      Sie umrundeten Tunholmen, erhöhten die Geschwindigkeit auf 30 Knoten und steuerten hinaus in Richtung Söderarmsleden.

      Wonner war zufrieden. Die Durchsuchung hatte nichts ergeben. Die Polizei hatte ein bisschen Kleinkram mitgenommen, ein wenig herumgesucht und sich etwas zerstreut für das Logbuch interessiert.

      Alles war in Ordnung.

      Natürlich.

      Das Schiff war auf dem Rückweg nach Sankt Petersburg, dann sollte es demontiert werden. Es hatte seinen Dienst getan, ebenso wie die Melchior den ihrigen getan hatte. Jetzt befanden sich die Reste auf dem Weg in das Stahlwerk von Magnitogorsk.

      Wonner zupfte an seinen Augenbrauen und ermahnte sich, dass er das nächste Mal, wenn er wieder in Sankt Petersburg sein würde, die Isaakskathedrale besuchen musste.

      »In dieser Situation ist es gut, dass sie alle in dieselbe Richtung blicken. Deshalb können wir die beiden letzten Lieferungen mit kleinen Schiffen holen«, sagte Wonner.

      Er legte auf, tauschte die SIM-Karte in seinem Handy aus und tätigte noch zwei kurze Anrufe. Die zweite Sendung war gesichert und mit einem Lastwagen auf dem Weg nach Göteborg. Jetzt musste nur noch festgestellt werden, ob die Polizistin Barsawi und ihre blonde Freundin irgendetwas von entscheidender Bedeutung wussten.

      Fatima Barsawi war wütend. Sie hatte Malin Skogh unten an der Freimaurerloge getroffen und ihr zugeraunt, sie solle mitkommen.

      Jetzt saßen sie in Fatimas Einzimmerwohnung in der Bangårdsgatan. Fatima sah hinaus über den Mariagården und die Kirche. Die hitzige Debatte, die dem Bau von Norrtäljes neuem Gemeindehaus vorausgegangen war, war wie weggeweht. Es ging damals nicht nur darum, dass das neue Gebäude den Anblick der Kirche und die Aussicht über den Friedhof bis hinunter zum Hafen stören würde. Das neue Gemeindehaus sollte auch auf einem Platz errichtet werden, von dem man annahm, dass es sich dabei um eine alte Grabstätte handelte.

      Jetzt stand es da. Und die meisten schienen zufrieden zu sein. Es war praktischer und ansprechender geworden, als die Kritiker angenommen hatten. Was mit diesen Knochenresten passiert war, hatten die meisten vergessen.

      Fatima war empört.

      »Jemand hat eine unverschämt lange Kaffeepause gemacht, sowohl auf der Polizeiwache als auch bei der Staatsanwaltschaft, und deshalb wurde aus dem Ganzen eine richtige Schlamperei«, sagte sie.

      Die Melchior war immer noch ein Mysterium, und jetzt war noch ein Schiff im Hafen von Norrtälje gewesen und niemand wusste, was sich da vor ihren Augen abspielte.

      Dass Malins Bruder in die Angelegenheit verwickelt war, war nicht leicht zu verdauen, dachte Fatima und überlegte, ob Malin etwas vor ihr verbarg. Ob sie etwas über die Schiffe wusste, das sie Fatima nicht erzählen wollte? Was hätte sie selbst getan, wenn es sich um ihren eigenen Bruder handelte? Wenn es Aslan wäre, der unter Mordverdacht in Untersuchungshaft säße?

      Fatima schauderte und öffnete das Fenster, um den Sommerabend hereinzulassen. Draußen war es noch nicht dunkel. Unten in der Stadt spielte eine Jazzgruppe. Eine Frau sang: »All of me, why don’t you take all of me.«

      Das Handy klingelte.

      Der allgegenwärtige Olle Kärv rief an und fragte, ob sie ihm etwas über die Aktion auf dem Schiff sagen könne.

      Aha, Harry hat ihm die kalte Schulter gezeigt, dachte Fatima und überlegte schnell, was Kärv wissen konnte. Er wusste natürlich, dass die Polizei den Schiffsverkehr aus Sankt Petersburg untersuchte. Wusste er auch, dass Robert Skogh mehr auf dem Kerbholz hatte als alte Besäufnisgeschichten von der Fahrt nach Paldiski?

      Fatima hatte von Kriminalkommissar Harry Lindgren noch keinerlei Informationen über die Aktion erhalten. Sie kannte Harry aber gut genug, um zu wissen, dass er gerade ziemlich aufgebracht war, weil sie in diesem Fall so übereilt vorgegangen waren. Jetzt befanden sie sich wieder im Nachteil. Und es würde eine ganze Menge gedanklicher Arbeit erforderlich sein, um diesen Nachteil wieder aufzuholen.

      »Denkt zum Teufel daran, dass wir es sind, die das Pferd reiten, und nicht das Pferd mit uns durchgeht«, hatte er bei der morgendlichen Besprechung gesagt.

      Jetzt galt es, wieder die Zügel anzuziehen.

      Jetzt war es notwendig, in eine andere Richtung zu ermitteln, dachte Fatima und entschloss sich, ehrlich zu Kärv zu sein.

      »Wenn du die Durchsuchung der M/S Sertem Explorer meinst, dann habe ich überhaupt keine Informationen.«

      Kärv war für ein paar Sekunden still.

      »In zehn Minuten habe ich meine Deadline. Wir hatten vor, über dieses Feuerzeug mit den Initialen RS zu berichten, das man bei einem der Besatzungsmitglieder gefunden hat. Und über ein Handy mit einer Telefonnummer von einem gewissen Robert Skogh unter den geführten Gesprächen.«

      Fatima strich sich schnell mit der Hand durchs Haar und sah zu Malin hin, die auf dem Sofa saß und sie fragend anblickte.

      »Das musst du mit Harry Lindgren besprechen«, sagte Fatima ruhig, legte auf und ging in die Küche.

      11

      Sie tranken wie immer gegen zehn Uhr Kaffee. Fatima, der Kollege Bertilsson und ihr Chef Harry Lindgren. Bertilsson bekam einen Anruf auf seinem Handy und verließ den Raum. Fatima und Harry blieben sitzen. Sie füllten ihre Tassen nach, Harry sah auf die Uhr und sagte, dass er in einer Viertelstunde ein Gespräch aus Täby erwarte.

      »Sie haben wenig Leute«, sagte er.

      »Das scheint überall so zu sein«, antwortete Fatima.

      »Ja, und du hast noch eine Menge Überstunden abzufeiern. Du musst jetzt einen Teil davon nehmen, sonst bekomme ich Probleme, und du ebenfalls.«

      »Einen freien Tag, meinst du?«

      »Ja, zum Beispiel. Und sieh zu, dass du ihn jetzt nimmst, wo niemand sonst von uns weg ist.«

      »Wie wäre es mit Freitag?«

      »Lieber nächste Woche Montag.«

      »Gut, dann machen wir es so.«

      Harry trank den letzten Schluck Kaffee aus und wollte gerade vom Tisch aufstehen, als Fatima ihn aufhielt.

      »Noch etwas«, sagte sie.

      Harry stellte die leere Kaffeetasse ab, blickte auf die Uhr und nickte seiner jungen Kollegin zu.

      »Olle Kärv von der Norrtelje Tidning scheint einiges