Heike Wolpert

Mörderisches Taubertal


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ein kleines bisschen.

      »Ich saß also da«, wiederholte sie. »Mit einem unzufriedenen kranken Mann, der außer mir niemanden hatte, den er mit seinen Launen quälen konnte. Was sollte ich da tun?« Das war natürlich eine rhetorische Frage. Wieder vergingen ein paar Sekunden des Schweigens, bevor sie sich ein weiteres Mal Frank zuwandte. Ihr Gesicht näherte sich seinem Ohr. Ihr Atem kitzelte seine Wange. »Wissen Sie, was ich getan habe?«

      »N… nein.« Er versuchte auszuweichen.

      Pause.

      »Ich hab ihn umgebracht.« Sie lehnte sich wieder zurück und verschränkte selbstzufrieden die Arme vor der Brust.

      »Aha.« Also war sie doch ein wenig mehr als nur ein bisschen verwirrt. Er rutschte weiter weg von ihr.

      »Das war wirklich ganz einfach. Er war ja herzkrank. Hatte ich das schon erwähnt? Schon seit vielen Jahren, aber er ist einfach nicht gestorben.« Jetzt lachte sie leise und es klang durchaus fröhlich. »Und da kam es mir zugute, dass ich mich schon immer für Pflanzenkunde interessiert habe.« Sie deutete in Richtung der Besuchergruppe, die sich wie aufs Stichwort um eine blau blühende Blume gruppierte. »Eisenhut.«

      Frank saß bereits auf der äußersten Kante der Bank, weiter konnte er nicht von ihr abrücken. Die Alte war nicht nur ein wenig, nein, sie war komplett durchgeknallt!

      »Der Eisenhut ist die giftigste Pflanze Europas«, referierte sie vermutlich dasselbe, was der Führer drüben soeben seinen interessierten Zuhörern erzählte. »Aufgrund ihres extrem hohen Giftgehalts darf sie gar nicht als normales Heilkraut verwendet werden. Nur in der Homöopathie findet sie Anwendung.« Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie sprach.

      Ob das Anzeichen von Demenz waren? Oder war sie einfach »nur« verrückt?

      »Alle Teile des Eisenhuts sind giftig. Hochgiftig!«, wusste die mörderische Seniorin weiter. »Vor allem aber die Wurzel und die Samen. Deshalb habe ich auch eine Wurzel von der Pflanze dort drüben ausgegraben.« Sie kicherte, während sie in Richtung der schönen blauen Blütenstauden wies. »Und wissen Sie, was dabei passiert ist?«, juchzte sie.

      »Äh, nein.« Sie wurde dabei erwischt? Bekam Hausverbot? Man hat sie festgesetzt und im Kloster eingesperrt, um sie zur Vernunft zu bringen? Franks Gedanken rasten. Er konnte einfach nicht glauben, was er da gerade hörte.

      »Stellen Sie sich vor: Ich habe meinen Ehering verloren. Ein schmaler goldener Ring ohne Steine, mehr war ich meinem Mann wohl nicht wert.« Triumphierend zeigte sie ihm ihre runzelige, leicht verkrümmte und vor allem unberingte Hand. »Das muss beim Ausgraben der Wurzel passiert sein. Wenn das kein Zeichen ist!«

      »Dann weiß ich es auch nicht«, murmelte Frank verstört. Er sah sich um. Waren hier irgendwo Krankenpfleger unterwegs, die nach ihrer verloren gegangenen Patientin suchten?

      Die Alte neben ihm lachte derweil vergnügt weiter. »Und dann war es ganz einfach. Friedrich hat schon immer alles aufgegessen, was ich ihm vorgesetzt habe. Deshalb hatte er auch ein bisschen Übergewicht. Er hat zwar, als ich ihm sein Essen vorgesetzt habe, rumgenörgelt. So wie sonst auch immer. Dass es ihm nicht schmeckt, dass es zu kalt oder zu heiß wäre. Aber gegessen hat er es trotzdem. Immer. Dieses Mal auch. Und endlich«, sie machte eine Kunstpause, »ist mein geliebter Gatte nach langer und schwerer Krankheit von uns gegangen!«

      »Oh!« Die hatte definitiv nicht mehr alle Tassen im Schrank. Die erzählte ihm doch Märchen! Gut möglich, dass sie selber an das glaubte, was sie von sich gab, aber so ein Giftmord würde doch niemals unentdeckt bleiben.

      »Ich musste Friedrich nur ein kleines bisschen sauber machen und herrichten, bevor ich unseren langjährigen Hausarzt angerufen habe. Der hat dann gar nicht lange gefackelt und einen natürlichen Tod attestiert. Mein Mann war ja auch schon lange herzkrank – was sollte er ihn dann noch großartig untersuchen. Zumal Friedrich, was die Ernährung anging, immer schon so unvernünftig war. Ich hatte dem alten Doktor öfter mein Leid deshalb geklagt.« Die dunklen Knopfaugen funkelten ihn an. »Sie sehen, ich habe an alles gedacht!«

      Frank nickte langsam.

      »Und ich bereue nichts«, fuhr die Alte fort. »Außer vielleicht, dass ich es nicht schon früher getan habe.«

      »Dass du was nicht schon früher getan hast?«

      Frank schrak zusammen. Ein modisch gekleideter Mann in etwa seinem Alter war hinter sie getreten und legte nun eine Hand auf die Schulter seiner Gesprächspartnerin.

      »Das ist mein Sohn«, stellte die Frau den Fremden vor und legte ihrerseits eine Hand auf seine. »Hast du etwas Schönes gekauft?«, fragte sie.

      »Eine Kiste Wein. Die ist schon im Auto.« Der Mann umrundete die Bank und bot seiner Mutter den Arm. »Hat Sie Ihnen wieder Schauermärchen erzählt, wie Sie meinen Vater angeblich um die Ecke gebracht hat?«, wandte er sich an den sichtlich verstörten Frank, der kaum merklich zustimmend den Kopf neigte.

      »Rede nicht über mich, als wäre ich nicht da«, begehrte seine Mutter auf. »Oder als sei ich nicht zurechnungsfähig! Pah! Ich habe dem netten jungen Herrn nur erzählt, wie ich mein Schicksal endlich selbst in die Hand genommen habe. Im wahrsten Sinne des Wortes.« Sie erhob sich ächzend und sah ein letztes Mal zu den blauen Blumenstauden hinüber, die ganz unschuldig dastanden. Die Gartenführung war inzwischen beendet, die Besuchergruppe zerstreute sich gerade. »Machen Sie es gut«, verabschiedete sich die alte Dame von Frank.

      Ihr Sohn warf einen entschuldigenden Blick über seine Schulter zurück. Dann führte er seine Mutter in Richtung Ausgang davon.

      Frank atmete auf und lehnte sich zurück. Dabei entspannte er sich endlich. Einen Moment lang hatte er doch tatsächlich geglaubt, neben einer Giftmörderin zu sitzen. Jetzt musste er über sich selbst lachen.

      »Na, was gibt es so Lustiges?« Diesmal war es seine Frau, die zu ihm trat, dicht gefolgt von ihren Freunden aus Bremerhaven.

      »Ach, nichts«, antwortete Frank. »Wie war die Führung durch den Klostergarten?«

      Begeistert hüpften die Zwillinge heran. »Spitzenmäßig obercool!«, meinte Meike.

      »Supertoll!«, ergänzte Martha. »Und schau mal, was wir gefunden haben!« Sie streckte ihrem Vater ihre Faust entgegen und öffnete sie mit großer Geste, um einen schmalen goldenen Ring zu offenbaren. »Der lag in der Erde, bei der schönen blauen Pflanze. Dürfen wir den behalten?«

      »Auf keinen Fall«, schaltete Franks Frau sich ein und nahm das Schmuckstück an sich. »Wir gehen jetzt sofort Hände waschen. Diese schöne blaue Pflanze ist nämlich hochgiftig. Kommt!«, forderte sie die murrenden Zwillinge auf. Sie trieb die beiden Mädchen in Richtung der Verwaltungsgebäude. Die Freunde aus Norddeutschland schlossen sich mit einem Nicken an.

      »Passt du bitte solange darauf auf? Ich gebe ihn nachher bei der Verwaltung ab – der wird sicher schon vermisst.« Seine Frau war noch einmal zurückgelaufen und übergab Frank den Ring. Dann eilte sie ihren Töchtern nach, die schon wieder vom Weg abkamen.

      Frank blickte dem kleinen Grüppchen hinterher. Er besah sich das Schmuckstück in seiner Hand genauer. Trotz der sommerlichen Temperaturen fröstelte ihn plötzlich, als er die Gravur im Inneren las: »Maria und Friedrich, 19.07.1968«.

      03 – Es lebe die Freundschaft

      (Tauberbischofsheim;

      Kurmainzisches Schloss)

      »Hallo, liebe Hörerinnen und Hörer, die sich gerade zugeschaltet haben. Sie hören Radio Te-Be-Be auf UKW, die frische Welle aus dem Taubertal. Heute feiern wir den Tag der Freundschaft. Und da habe ich auch gleich einen ganz besonderen Ohrwurm für Sie: ›Friends Will Be Friends‹ von Queen.«

      Er schaltete das Radio aus. Freunde! Dass er nicht lachte! Wenn man einen brauchte, war eh keiner da. Das hatte er in den letzten Monaten schmerzlich erfahren müssen. Als sein Vater gestorben war und er plötzlich allein mit dem Laden dastand.

      Ein guter Geschäftsmann war er nie gewesen und auch das Handwerkliche