Roland Lange

Harzkinder


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      Für die Mütter, Väter und Kinder, deren Familien

      in der DDR durch staatliche Willkür zerrissen wurden.

      Der Roman spielt hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Die Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

      Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.ddb.de © 2020 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln www.niemeyer-buch.de Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: C. Riethmüller Der Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.com EPub Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbH eISBN 978-3-8271-8389-7

      Roland Lange

      Harzkinder

      Über den Autor:

      Roland Lange, Jahrgang 1954, lebt in der Nähe des Harzes in Kat­lenburg-Lindau. Er studierte in Hamburg Vermessungskunde und arbeitete als Vermessungsingenieur in den Katasterämtern in Göttingen und Osterode am Harz. Nebenher begann er zu schreiben: Romane, Liedtexte und Theaterstücke, seit 2010 auch Kriminalromane. 2014 beendete er seine Tätigkeit als Ingenieur und widmete sich ganz dem Schreiben. Roland Lange ist so etwas wie ein krimineller Botschafter des Harzes, denn auf seine Initiative fand 2011 das erste Mordsharz-Krimifestival statt. Seither gehört er zu den Organisatoren, die jedes Jahr im September hochkarätige deutsche und internationale Krimi-Autorinnen und -Autoren in den Harz einladen.

      Lange ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (VS), bei den 42erAutoren e.V. und im SYNDIKAT, Autorengruppe deutschsprachige Kriminalliteratur.

      On and on the rain will fall

      Like tears from a star

      On and on the rain will say

      How fragile we are

      (aus dem Song „Fragile“ von Sting)

      Prolog

      August 1980

      Es war der vorletzte Tag ihres Urlaubs im FDGB-Ferienheim „Hermann Danz“ in Friedrichroda im Thüringer Wald.

      Das Ehepaar Hanka und Ulrich Bartko war zusammen mit seinen Kindern Kerstin und Sascha zum Nachbarort Georgenthal gefahren und vom Ortsrand aus die gut drei Kilometer zur Waldgaststätte Wechmarer Hütte, einem bekannten Ausflugsziel, gewandert. Nach einer Rast an der Hütte wollten sie den Rückweg antreten.

      Als die Familie das Lokal am späten Vormittag erreichte, herrschte dort bereits reger Betrieb. Sowohl in der Gaststube als auch vor dem Haus waren fast alle Plätze besetzt. Am Rand des abgegrenzten Außenbereichs fand sich noch ein freier Tisch. Eilig steuerten die beiden Kinder darauf zu, gefolgt von ihren Eltern.

      Erleichtert seufzend ließen sie sich auf den Bänken nieder und packten ihren mitgebrachten Proviant aus. Als nach einer gefühlten Ewigkeit endlich eine gehetzt wirkende Bedienung zu ihnen kam und missmutig die Bestellung entgegennahm, hatten die Kinder ihre Brote bereits verschlungen und rutschten unruhig auf ihren Sitzplätzen herum.

      „Mama, Durst!“, quengelte der vierjährige Sascha. „Ich will trinken!“

      „Einen Moment wirst du dich wohl noch gedulden müssen.“ Vater Ulrich warf der Kellnerin einen zweifelnden Blick hinterher.

      „Dürfen wir spielen?“ Kerstin, Saschas knapp sechs Jahre alte Schwester, hatte keine Lust, am Tisch auf ihre Limonade zu warten.

      „Von mir aus.“ Hanka Bartko seufzte. „Aber bleibt in der Nähe, damit ich euch sehen kann.“

      Kerstin nickte und forderte ihren Bruder auf, mitzukommen. Gemeinsam liefen sie über die freie Fläche hin zum Waldrand.

      Ein Paar näherte sich dem Tisch der Bartkos. Die elegant-luftige Sommergarderobe der beiden deutete darauf hin, dass sie den Weg vermutlich mit dem Auto und nicht zu Fuß bewältigt hatten. Der Mann mochte um die Dreißig sein, seine Begleiterin schien einige Jahre jünger. Mit ihrem auffallend gepflegten Äußeren wirkten sie ein wenig fehl am Platz zwischen all den anderen Gästen, hauptsächlich Wanderern. Hanka blickte ihnen skeptisch entgegen, ahnte bereits die Frage, die der Mann auch gleich darauf stellte: „Entschuldigen Sie bitte, sind hier noch zwei Plätze frei?“ Er zuckte hilflos mit den Schultern. „Ist ja ordentlich was los.“

      Hanka drehte sich zu ihren Kindern um, die ein Stück entfernt irgendeiner Spur auf dem Waldboden nachgingen und die Welt um sich herum vergessen zu haben schienen.

      „Aber natürlich, setzen Sie sich ruhig“, hörte sie ihren Mann sagen. Sie unterdrücke ihren Einwand, dass die freien Plätze auf der Bank ja für ihre Kinder reserviert seien, nickte den Fremden stattdessen nur stumm zu.

      „Vielen Dank“, entgegnete der Mann erleichtert. Er stellte sich als Joachim Aschoff und seine Begleiterin als seine Ehefrau Renate vor.

      „Angenehm. Ich heiße Ulrich Bartko, das ist meine Frau.“ Er deutete auf Hanka, die freundlich nickend ihren Namen nannte.

      „Sie stammen nicht aus der Gegend“, stellte Renate Aschoff lächelnd fest. „Ihr Zungenschlag ...“

      Sie wurde von der Kellnerin unterbrochen, die mit den Getränken kam und sie auf dem Tisch abstellte. Ehe sie wieder verschwand, orderte Joachim Aschoff zwei Tassen Kaffee.

      „Kerstin, Sascha! Eure Limonade!“ Hanka Bartko winkte ihren Kindern zu. Schmunzelnd sah sie ihnen entgegen, als sie im Sturmlauf auf den Tisch zugerannt kamen. Außer Atem griffen sie nach den Gläsern und tranken gierig.

      „Langsam, langsam“, mahnte Hanka, „oder wollt ihr euch verschlucken?“

      Die Kinder schielten kurz über die Glasränder hinweg zu ihrer Mutter, tranken aber bis zum letzten Tropfen weiter. Sascha musste von der Kohlensäure aufstoßen. Laut, und ohne dass er sich die Hand vor den Mund hielt, rutschte ihm der Rülpser heraus.

      „Sascha! Kannst du dich nicht benehmen?“

      Der Junge reagierte nicht auf die Ermahnung seiner Mutter. Stattdessen deutete er auf das Ehepaar Aschoff. „Wer sind die?“, fragte er.

      „Man zeigt nicht mit dem Finger auf andere Leute“, entgegnete Hanka energisch. Das Verhalten ihres Sohnes war ihr sichtlich unangenehm.

      „Lassen Sie nur, ist doch nicht schlimm“, beschwichtigte Joachim Aschoff und stellte sich und seine Frau erneut vor. Diesmal den Kindern.

      „Aha“, antwortete Sascha knapp, dann war sein Interesse an den Fremden erloschen. Er zupfte seine Schwester am Arm. „Komm, weiterspielen.“

      „Nette Kinder haben Sie“, sagte Renate Aschoff und sah den Geschwistern nach, die sich wieder Richtung Wald­rand entfernten.

      Ulrich Bartko nickte. „Ja, aber manchmal sind sie auch ganz schön anstrengend. Na ja, kleine Wildlinge eben. Das ist übrigens unser erster richtiger Urlaub, den wir als Familie zusammen machen. Drüben, in Friedrichroda im Ferienheim. Morgen reisen wir ab. Dann ist die schöne Zeit wieder vorbei.“ Er seufzte.

      „Ihr allererster Urlaub mit den Kindern?“ Renate Aschoff zog verwundert die Augenbrauen hoch.

      Hanka zuckte mit den Schultern. „Wir dachten schon, es würde nie etwas werden. Doch dann haben wir aus heiterem Himmel den Ferienscheck erhalten. Nachdem wir Jahr für Jahr vergeblich unsere Anträge gestellt haben.“ Sie lächelte verlegen.

      „Da sind Sie den Genossen in der Betriebsleitung wohl hin und wieder mal kräftig auf die Füße getreten, wenn man Sie so lange hat zappeln lassen, wie?“ Joachim Aschoff lachte und drohte scherzhaft mit dem Finger.

      Ulrich