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Dorothy Cannell
Die dünne Frau
Deutsch von Heidi Zerning
Ariadne Krimi 1016
Argument Verlag
Seit es Krimis gibt, haben Frauen Krimis geschrieben. Trotzdem ermittelten früher meist harte Kerle und distinguierte Herren, Frauen hingegen waren Opfer oder wurden gerettet. Ende der 1980er Jahre entstand die Ariadne-Krimireihe, als feministische Autorinnen ins Genre drängten, und inzwischen bevölkern zahllose weibliche Hauptfiguren die Krimiwelt in Buch und Film. Themen wie Kinder, Essen, Tagträume und Sehnsüchte sind nicht mehr ausgeklammert. Der Krimi ist keine reine Männerwelt mehr, er hat vielfältigere Facetten bekommen.
Bei Ariadne erscheinen heutzutage vor allem sehr politische Krimis und Noirs von Frauen, die das Genre nutzen, um Widersprüche und Missstände unserer Gesellschaft offenzulegen. Die dünne Frau hatte diesen Anspruch noch nicht: Auch wenn der Titel deutlich auf Hammett anspielt, ist es eher eine romantische Komödie mit Schauerroman-Elementen. Betont verspielt unterläuft Dorothy Cannell die althergebrachten Genre-Konventionen, wobei ihr scheinbar harmloser Humor durchaus subversive Ecken und Schnörkel hat. Das erstmals 1991 erschienene Buch wurde in der wundervollen Übersetzung von Heidi Zerning flugs zum Bestseller. So hat die verschmitzte, zutiefst für Frauen eingenommene Kriminalburleske Hunderttausende von Leserinnen beglückt und tut das noch heute, in der mittlerweile sechzehnten Auflage. Darum halten wir es lieferbar.
Else Laudan
Dorothy Cannell wurde 1943 in Nottingham (England) geboren. 1963 wanderte sie in die USA aus und lebt bis heute in Peoria, Illinois (USA). Sie scheut das Rampenlicht, aber ihre zahlreichen Familienmitglieder und Freunde fallen oft zum Teetrinken und Katzenstreicheln bei ihr ein. Längst ist sie Großmutter, doch ihre Krimis schreibt sie weiterhin in der Besenkammer neben dem Katzenklo.
Inhalt
Ariadne Kriminalromane
Herausgegeben von Else Laudan
Neuausgabe 2009
Alle Rechte vorbehalten
Titel der englischen Originalausgabe: The Thin Woman
© 1984 by Dorothy Cannell
© Argument Verlag 1991
Glashüttenstraße 28, 20357 Hamburg
Telefon 040/4018000 – Fax 040/40180020
Umschlaggestaltung: Martin Grundmann,
www.herstellungsbuero-hamburg.de
Satz: Iris Konopik
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN 978-3-86754-992-9
Sechzehnte Auflage 2016
1
Nette Menschen in aller Welt wissen, dass Familientreffen Anlässe harmlosen Vergnügens sind und mehr rechtschaffenes Behagen spenden als Wäscheschränke voll lavendelduftender Betttücher oder Speisekammern voll selbstgemachtem Brombeergelee. Darum hoffe ich, die Nachwelt wird mich nicht verurteilen, wenn ich gestehe, die Einladung in Merlins Schloss hatte auf mich die gleiche Wirkung wie eine amtliche Aufforderung, mich zu meiner Hinrichtung einzufinden. Der liebenswürdig formulierte Brief auf dünnem veilchenfarbenem Papier lud mich zu einem Sippentag auf den Stammsitz eines betagten Onkels. Mir wurde mit Schrecken bewusst, dass ich mein schändliches Geheimnis vor der Verwandtschaft, die ich in den letzten Jahren so sorgfältig gemieden hatte, nicht länger verbergen konnte. Die Werbung belegt solche wie mich mit dem beschwichtigenden Attribut »vollschlank«. Aber machen wir uns nichts vor. Ein einfaches Wort mit vier Buchstaben sagt alles.
Gab es irgendeine Verschleierungstaktik? Nicht in Form neuer Garderobe (mein Vertrauen in Kleidungsstücke war dahin), sondern allenfalls in Gestalt eines breitschultrigen Mannes an meiner Seite. Zum Beispiel ein gutaussehender, liebevoller Ehemann sowie eine Schar entzückender, goldblonder Kinder, die stets mit geschlossenem Mund kauen und in Gegenwart Fremder nie unanständige Wörter benutzen. Mit deren Unterstützung konnte ich vielleicht dem Blick meiner deprimierend hübschen Cousine Vanessa standhalten. Ach, alles Tagträume! Ich war natürlich alleinstehend und würde es – es sei denn, Zeus stiege plötzlich vom Olymp herab und machte mir einen Heiratsantrag – aller Wahrscheinlichkeit nach auch bleiben.
Das