Jürgen Dümchen

Der fette Blinde


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      Jürgen Dümchen ist Mitte 50 und lebt – wo auch sonst? – in Potsdam Waldstadt.

      Wenn er nicht gerade als tiefenpsychologischer Psychotherapeut und leitender Psychologe in einer Klinik in Berlin arbeitet, hört er zu viel Brahms, Baker, Chet that is, Mahler, Schubert, Cohen, Leonard natürlich, und Schumann, liest immer wieder im Josephs-Roman und im Zauberberg, geht nie ins Theater, schon gar nicht in die Berliner Volksbühne, manchmal aber ins Kino – Toni Erdmann sagt er, hätte wahrlich einen Platz auf Tele 5 – SchleFaZ – verdient, Politik interessiert ihn nicht, Diskussionen um gesunde Ernährung und Gender langweilen ihn, gesellschaftlich hat er sich zuletzt für die vollständige Bebauung des Tempelhofer Feldes mit bisher unverwirklichten Bauten Frank Lloyd Wrights und Zaha Hadids eingesetzt – leider erfolglos.

      Jürgen Dümchen meditiert viel – Kundalini Yoga – und sieht viel fern, am liebsten „Das perfekte Dinner“ auf VOX.

      Als höchste Tugend gilt ihm die Ehrlichkeit.

      Im Engelsdorfer Verlag ist von Jürgen Dümchen ebenfalls erschienen: „Potsdamer Capriccio“ – gehobene Strandlektüre für Psychiatrie-Erfahrene – und solche, die es werden wollen!

      Jürgen Dümchen

       DER FETTE

       BLINDE

       Geschichten aus Potsdam Waldstadt

      Engelsdorfer Verlag

      Leipzig

      2018

      Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

      Copyright (2018) Engelsdorfer Verlag Leipzig

      Alle Rechte beim Autor

      Titelbild: Fuunny overweight, retro swimmer by the

      lake, at the sunset with copy space © rangizzz

      Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

       www.engelsdorfer-verlag.de

       Für JaJoJo

       INHALT

       Cover

       Titel

       Impressum

       Der Ortsvorsteher von Mahlow

       Der fette Blinde

       Auschwitz hat es nie gegeben

       Judith und der Jüngling

       Die Verwaltungsfachangestellte, die Liebe und der Hass

       Der unwürdige Moribunde

       Anmerkungen

      „Deine Waldstadt liegt irgendwo im De-Sitter-Sumpfland! Das gefällt mir!“

       Kommentar meines Freundes Prof. Sascha Zubak,

       Stringtheoretiker und kritischer Fan von Cumrun Vafa, nach dem Lesen des Manuskripts.

       DER ORTSVORSTEHER VON MAHLOW

      Der Ortsvorsteher von Mahlow war emsig damit beschäftigt, seinen Arbeitstag zu beenden: Er fuhr seinen Computer herunter, verschloss die Schubladen des aus dunklem Eichenholz bestehenden Schreibtischs mit seinem Schlüssel, steckte diesen in die Tasche seines ebenfalls dunklen Sakkos, schaute kurz in den Spiegel über dem zerkratzten Waschbecken, und rückte seine pinkfarbene Fliege zurecht.

      Sein Blick fiel dann noch einmal auf seinen Schreibtisch. Dessen Aufgeräumtheit ließ ihn plötzlich erschauern. Der Ortsvorsteher von Mahlow fühlte, wie Panik in ihm aufstieg. Sein Atem ging schneller, sein Herz war in den Galopp übergegangen, er spürte einen leichten Schwindel, seine Hände zitterten, er fürchtete, die Kontrolle über sich zu verlieren.

      Hastig verließ er das Dienstgebäude, wie üblich über den Hintereingang, der direkt zum Behördeneigenen Parkplatz führte.

      In den letzten Jahren waren hier mehrmals Autos gestohlen worden, das Amt hatte deshalb die Stelle eines Wächters ausgeschrieben und einen Mann eingestellt, der vor allem durch seine Größe imponierte und der dem Ortsvorsteher jetzt mit wissendem Lächeln überflüssigerweise den Weg zu dessen Auto wies.

      Beim Wagen des Ortsvorstehers von Mahlow handelte es sich um eine inzwischen recht betagte, große Limousine schwedischer Bauart, die ihm seine Frau im Rahmen der Trennung als Ausgleich für eine Schrankwand und weitere Möbel aus dem Schlafzimmer zugebilligt hatte.

      Die Tür auf der Fahrerseite ließ sich aufgrund von Materialverschleiß – so jedenfalls die Autowerkstatt – nur schwer öffnen, die anderen Türen des Wagens funktionierten problemlos.

      Es war ein schon recht warmer Abend im Mai. Der Ortsvorsteher von Mahlow ließ die Seitenscheibe herunter – die Klimaanlage war seit langem defekt – kurbelte das schwergängige Schiebedach auf, wandte den Blick also leicht nach oben und so auch nach hinten, konnte nun für Sekundenbruchteile unwillkürlich ein wenig auch die Rücksitzbank einsehen, als er im Wenden seines Kopfes innehielt: Auf der Rücksitzbank saß mittig ein Mädchen, eine Stoffpuppe an sich drückend, und schaute ihn, der sich nun mit seinem Oberkörper fast vollständig zu ihr umgewandt hatte, an.

      Die Panik, die er noch beim Einsteigen deutlich gespürt hatte, war verschwunden.

      Der Blick des Mädchens war vollkommen ohne Angst, unschwer nahm er darin aber auch Ratlosigkeit wahr, insgesamt imponierte ein Zug der Verlorenheit.

      Er hatte sie sofort erkannt.

      Keiner der beiden sprach.

      Im Kopf des Ortsvorstehers gab es auch keine Worte, die er hätte aussprechen wollen. Dafür überkam ihn ein Wohlgefühl, wie er es seit etlichen Jahren so nicht mehr empfunden hatte.

      Er drehte sich nach vorne, legte den Sicherheitsgurt an, der Wagen ruckelte kurz beim Starten, und der Ortsvorsteher von Mahlow fuhr mit weit mehr Schwung als sonst vom Parkplatz seiner Dienststelle in Richtung seines Zuhauses in Waldstadt.

      Während der Fahrt blickte er immer wieder in den Rückspiegel und in das Gesicht des Mädchens.

      An seiner Wohnung angekommen, parkte er den Wagen, sah vor dem Aussteigen noch ein letztes Mal zum Rücksitz und ging dann in seine Wohnung.

      Dort war alles genau so wie am Morgen, als er sie verlassen hatte.

      Er duschte, schaltete das Radio ein – Radio 1 – hörte der Moderatorin aber nur oberflächlich zu, goss sich ein großes Glas alkoholträchtigen Rotwein ein – dachte an das Mädchen – natürlich würde er sie wiedersehen – und war weiter voller