Liebe mit 77 - Hundert Briefe zur Nacht
1. Auflage, erschienen 4-2021
Umschlaggestaltung: Romeon Verlag
Text: Mathilde Urban
Layout: Mathilde Urban
Bildquelle für die Seiten 15,49,105:
Codex Manesse, UB Heidelberg
ISBN: 978-3-96229-815-9
Copyright © Romeon Verlag, Jüchen
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Mathilde Urban
Liebe mit 77
Hundert Briefe zur Nacht
Liebe im Alter – kann so romantisch sein…
Auf dem Gymnasium lernten sie sich kennen, zumindest versuchten sie es – sie war 17, er 18. Aber außer ein paar zaghaften Küssen geschah nichts. Dann verloren sich beide aus den Augen, fast 60 Jahre lang…
Und nun waren sie alt geworden, beide verwitwet. Aber eines Tages tauchte im Freundeskreis die Frage auf: „Gibt es eigentlich die Hilde noch? Weiß jemand etwas von ihr?“ Freund Werner, der im Umkreis von einigen hundert Kilometern jeden kannte, wusste tatsächlich Bescheid. Und schon kamen die ersten Anrufe und bald auch Briefe.
Und im Laufe der nächsten Wochen und Monate entwickelte sich eine wundervolle Liebesgeschichte – mit Höhen und Tiefen und allem was dazu gehört.
Aber sehen Sie selbst…
Ich kenne dich nicht –
und bin doch so sehnsuchtsvoll. Fern bist du – und doch meinem Herzen so nah.
Liebe Du, was zieht mich zu Dir? Eigentlich weiß ich nicht, wer Du bist. Was ist denn da in mir geblieben über die Jahrzehnte, dass ich wie elektrisiert auf die Nachricht reagierte, die Hilde gibt’s noch und sie trifft sich demnächst mit einer Freundin im Fränkischen?
Nun habe ich eine Spur und reise zu ihr hin. Ich reise zu Dir. Ich stelle mir vor, Du seist das Mädchen von damals, und ich bin glücklich darüber, dass Du Dich über mein Kommen freust.
Ich werde Dich in meine Arme nehmen, und trotz aller Fremdheit werde ich vielleicht die Vertrautheit erleben, die sich schon in unseren Telefon-Gesprächen andeutet.
Und ich werde Tee mit Dir trinken zur Kaffeestunde. Und die Freude wird groß sein, wenn wir unsre Gläser klingen lassen und uns einem seligen Tag des Wiedersehens anheimgeben.
Geliebte Hilde, ich bin ein alter Mann, der mit einem ihm selbst nicht recht bewussten Traum durch die Zeit stolpert. Ein Traum, der zum Teil einem Märchen gleicht…
Ich kannte ein Mädchen und verliebte mich in sie. Sie war die einzige, zu der ich mich hingezogen fühlte. Der Himmel war weit offen und strahlte auf uns hernieder.
Ob wir uns erneut begegnen dürfen? – Die absurdesten Ideen kommen mir.
Liebe Hilde,
in 48 Stunden, oder gar noch eher, bin ich ganz in Deiner Nähe. Das ist schon aufregend. Wie werden wir uns begegnen? Etwas ängstliche Gefühle kommen mir zwischendurch. Ja, mein Herz klopft aufgeregt in mir, wie „jünglingsmäßig“…
Ach, wie schön das ist, wie mich die Freude doch mitnimmt, meine fremde Liebste, Du. Es ist alles so verwunderlich – wir werden uns sehen!
Lieber Georg,
Danke, für Deine duftenden Mails, die wie Blütenblätter in meinen Tag fallen. –
Noch ganz kurz zu Deiner Fahrt morgen. Bitte bedenke, dass hier die Geschwindigkeitsbegrenzungen, auch in den kleinen Dörfern äußerst genau überwacht werden.
Ich hab grad einen Kuchen für Sonntag im Ofen, und auch sonst war der Tag voll der mannigfachsten Vorbereitungen…
Ich staune und bin voll Dankbarkeit …
Ist es Liebe, was uns geschieht, ja – nein? Wie entsteht eine so tiefe Zuneigung? Glück gehabt – oder unbemerkt einen Liebestrank geschlürft, der uns fast 80-Jährige in jugendliche Begeisterung versetzt?
Eine Nebelwand lichtete sich und ich konnte Dich finden, wir lächelten uns an. Ist es Liebe, wenn es licht wird? Wir wissen es nicht, aber es ist hell und warm, wenn wir zusammen sind. Wir suchen einen gemeinsamen Weg und sagen DANKE jeden Tag.
Wenn ich an Dich denke, wenn wir uns sprechen, überkommt mich ein tiefes Glück.
Liebes zauberhaftes Du,
schon schlägt mir das Herz wieder bis zum Hals. Ich habe heute ein so starkes Bedürfnis nach Dir. Könnte ich Dich doch an mein Herz drücken, meine Arme um Dich legen.
Der Wunsch ist so stark, dass ich es mir heute sogar zutrauen würde, mit Dir bis zu den Seerosen zu schwimmen… Damit ich mich Dir näher fühle, habe ich zum Trost Deinen grünen Pullover angezogen.
Ich habe nochmal die Briefe
von vor 60 Jahren gelesen – mich dabei über ein Kleeblatt und einen Scherenschnitt gefreut – und Deine Worte in mich aufgenommen.
Jetzt wollte ich zu Bett gehen, da spürte ich den Wunsch, uns zuzuprosten und habe eine Flasche Sekt geöffnet.
Du mein Schatz, ich bin so glücklich, dass ich Dich endlich lieben darf. Dass ich endlich bei Dir sein kann, Dich wahrnehmen und erkennen, und mich Dir öffnen.
Vor 60 Jahren schriebst Du mir von unserer besonderen Freundschaft, und wolltest mit mir darüber sprechen. Jetzt erst stehe ich vor Dir und darf davon kosten. Dank dem Himmel, dass wir uns damals begegneten – und dass ich Dich wiedergefunden habe.
Du bist die Liebste,
der ich Minnelieder singe, du bist die Zauberin, die mich zu verwandeln vermag – in einen Liebenden und einen Lernenden.