Tilo K. Sandner

Dracheneid


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stark verändern wird. Trotzdem wird es unser Allturith sein. Ich verspreche dir, dass ich mein Leben dafür einsetzen werde, dass wir wieder mit unserem Sohn zusammen sein können. Nichts wird mich von dieser Mission abhalten können. Ich bringe uns unseren Jungen zurück, das schwöre ich dir.“

      Mit diesen markigen Worten wollte Merthurillh nicht nur die Verlustängste von Zaralljah unterdrücken, sondern auch seine eigenen.

      „Ich habe dich seit deinem Erwachen aus dem Heilschlaf noch gar nicht über Adalbert reden hören“, stellte Zaralljah etwas später fest, „haben sich deine Gefühle für ihn verändert?“

      „Nein, das ist es nicht“, antwortete Merthurillh, „es fällt mir im Moment nur schwer, meine Gefühle ihm gegenüber zu ordnen. Du weißt, dass ich diesen Menschenknaben tief in mein Herz geschlossen habe. Ich bezeichne ihn nicht nur als Sohn, irgendwie ist er das auch geworden. Dabei wird er natürlich nie den Platz von Allturith einnehmen können, aber spätestens seit dem Moment, als ich erfuhr, dass er zum Seelenträger unseres Sohnes geworden ist, habe ich ihn als mein zweites Kind angenommen.“

      „Das verstehe ich gut, mein lieber Merthurillh, aber was ist es dann, was dich beschäftigt?“, fragte Zaralljah nach.

      „Ich bin mir über die Gefühle nicht sicher, die ich haben werde, wenn die Seelenrettung erfolgreich war. Werde ich mich dann ausschließlich um unseren wiedergeborenen Sohn kümmern und Adalbert vernachlässigen? Das würde ihn bestimmt sehr enttäuschen. Was werde ich aber empfinden, wenn der schlimmste Moment kommen sollte und wir Allturiths Seele verlieren. Kann ich dann überhaupt noch irgendetwas für Adalbert empfinden? Sind meine Gedanken nicht fürchterlich?“, wollte er wissen.

      „Ich bin sehr überrascht, ausgerechnet von dir solche Zweifel zu vernehmen. Bist es sonst nicht immer du, der stets davon redet, dass man die Dinge auf sich zukommen lassen und sich vor der Zukunft nicht sorgen soll? Ich bin davon überzeugt, dass du ganz beruhigt sein kannst. Ich kenne dich nun schon so viele Jahre und habe dich stets für deine Weisheit und Gerechtigkeit bewundert. Zu dir habe ich schon immer aufgeschaut. Du bist für mich der prächtigste Drache, den das Drachenland je gesehen hat. Adalbert wird von dir stets die Liebe erfahren, die er sich so redlich verdient hat. Und solltest du das doch einmal vergessen, kannst du dich darauf verlassen, dass ich dich schon daran erinnern werde, unsere beiden Söhne gleichzubehandeln.“

      Merthurillh sah seine Frau lange und sehr nachdenklich an, fast so, als wenn er sie zum ersten Mal sehen würde.

      „Deine Worte klingen wundervoll, meine geliebte Frau. Fast hätte ich vergessen, wie bezaubernd du bist. Der Funke zwischen uns scheint ja noch nicht völlig erloschen zu sein!“

      „Ganz und gar nicht, mein Held!“

      ***

      Adalbert und Jordill kletterten schon seit einiger Zeit auf den ständig steiler werdenden Eisklippen, ohne viel zu sprechen. Die vergangenen Erlebnisse, ganz besonders der tragische Tod von Tork, beschäftigten sie zu sehr.

      Noch lag der Gipfel des Eisgebirges in dichtem Nebel. Jedes Mal, wenn Adalbert nach oben sah, um sich zu orientieren, erschien ihm diese nebulöse Welt hoch über ihnen wie eine verschwommene Geisterwelt. Was mochte sie wohl dort erwarten? Welche Gefahren würden sich dort versteckt halten, die nur auf den richtigen Moment warteten, um plötzlich zuzuschlagen?

      Da erklang hoch über ihrem Rücken der Schrei eines Adlers. Als Adalbert sich umsah, erkannte er den königlichen Vogel sofort wieder.

      „Das ist der Adler, der laut aufschrie, als ich am Krähenpass abstürzte. Ich glaube fast, er folgt mir“, staunte er.

      „Dich umgibt eine ganz besondere Aura, mein lieber Freund. Bist du dir eigentlich im Klaren darüber, wie einzigartig du bist? Ich habe von Anfang an daran geglaubt, dass du der Erwartete bist, daher habe ich mich auch darum gerissen, dich bei deinen Abenteuern begleiten zu dürfen. Aber selbst wenn ich bis jetzt noch nicht daran geglaubt hätte, spätestens seit dem seltsamen Erscheinen des Ijsvargs und dieses Adlers hier könnte ich nicht mehr an deiner Bestimmung zweifeln.“

      Da waren sie wieder, die Zweifel, die tief in Adalberts Brust nagten, ob er wirklich dieser Erwartete sein konnte und, wenn er es tatsächlich wäre, ob er den Aufgaben gewachsen wäre, die vor ihm liegen würden. Doch seit seinem letzten Gespräch mit Merthurillh wollte er diese Zweifel sofort im Keim ersticken, sobald sie aufzusteigen drohten. So auch jetzt. Adalbert konzentrierte sich schnell auf den weißen Wolf, der ihm das Leben gerettet hatte, und schon waren seine Zweifel wie von Zauberhand verschwunden.

      Erfreut darüber, dass diese Ablenkungstaktik so gut und vor allem so schnell funktionierte, wollte er Jordill gerne von dem erzählen, war er unmittelbar vor dem Angriff der untoten Narsokk-Wölfe geträumt hatte.

      „Jordill, ich hatte gestern einen komischen Traum, in dem Tork eine wichtige Rolle spielte. Ich weiß nicht, wie ich es richtig beschreiben soll, aber irgendwie denke ich, dass er absichtlich in meinem Traum erschienen ist. Ich möchte aber auch nicht taktlos erscheinen, wenn ich jetzt von unserem Freund erzähle, obwohl er erst vor kurzem gestorben ist“, zögerte Adalbert, der Jordills Trauer in jeder Faser seines eigenen Körpers spürte.

      „Wir trauern lange und vergessen nie, nehmen aber trotzdem schnell Abschied. Torkdill wird uns für immer begleiten, denn selbst in vielen Generationen werden unsere Kindeskinder und deren Kinder noch von seinen Taten hören.“

      „Das erinnert mich an das, was mir Orax erzählte, nachdem dein Bruder Trulljah seinen hinterlistigen Bruder töten musste. Auch die Trolle besingen ihre Toten für viele Generationen. Wie könnt ihr euch bloß all diese Namen von euren Vorfahren merken, die ihr nie gesehen habt?“, fragte Adalbert staunend.

      „Das ist gar nicht so schwer, wie es auf den ersten Moment erscheint. Wir hören ja nicht nur die Namen, sondern auch die Geschichten, die dazugehören. Diese werden uns schon im Kindesalter von unseren Eltern und Großeltern möglichst spannend erzählt. Dadurch werden sie für uns Kinder so interessant, dass sie leicht zu behalten sind. Du kennst doch auch deine Eltern, deine Großeltern und deren Eltern, oder?“, fragte Jordill.

      „Ich weiß nicht viel von meiner Mutter. Wer ihre Eltern waren, habe ich nie erfahren. Von den Eltern meines Vaters weiß ich nur, dass mein Großvater auch ein Drachenjäger war. Er wurde bei seiner Arbeit von einem Drachen zerrissen.“

      „Das tut mir wirklich leid, denn das ist wahrlich nicht viel. Wir alle brauchen unsere Vorfahren, um zu wissen, woher wir kommen und wo unsere Wurzeln sind. Wir Elfen schöpfen aus dem Bewusstsein unserer Vorfahren seelische Kraft und manchmal auch Trost, wenn wir von den Unsrigen lange getrennt sind. Wenn du möchtest, können wir uns später einmal darum kümmern, mehr über deine Ahnen herauszufinden. Ich würde dir dabei sehr gerne behilflich sein. Der Erwartete des ganzen Drachenlandes braucht doch schließlich eine eigene Ahnenhistorie! Doch ganz so schlimm steht es um dich nicht, denn du hast ja nicht nur die Familie deines Vaters und deiner Mutter.“

      „Das verstehe ich nicht. Man hat doch immer nur die Familien seiner Eltern“, fragte Adalbert verwirrt.

      „Normalerweise schon. Aber in deinem besonderen Fall sieht die Realität anders aus. Durch deine heilige Aufgabe als Seelenträger wirst du, sobald die Seelenübertragung abgeschlossen ist, bis zu deinem Tod mit Allturith und dem seelenlosen Drachen, von dem wir annehmen, dass es sich um den sagenumwobenen Rorgath handelt, verbunden sein. Du bist dann zu gleichen Teilen ein Familienmitglied dieser beiden Drachen. Dann wirst du eine Menge zu lernen haben, denn sowohl Merthurillhs als auch Zaralljahs Stammbäume sind sehr interessant. Doch diese Familienchroniken sind noch nichts gegen das, was dich bei den Brüdern Rorgath und Fantigorth erwartet. Ihre Vorfahren reichen direkt bis zum Drachengott Wargos zurück!“

      Adalbert wurde ganz schwindelig bei der Vorstellung, dass er das alles lernen sollte.

      „Mach dir darüber keine Sorgen. Nahezu die ganze Geschichte des Drachenlandes ist mit den Vorfahren Rorgaths verbunden. Du brauchst also nur etwas mehr über die Geschichte zu lernen und schon reihen sich die Namen aller Vorfahren wie wunderbare Perlen an einer unsichtbaren Kette auf“, ermutigte der Elf Adalbert.

      „Jetzt