brauche nur die gesamte Geschichte des Drachenlandes zu lernen“, wiederholte er seufzend „und schon sehe ich Tausende von Drachennamen, die ich kaum auszusprechen in der Lage bin, wie eine blöde Perlenkette vor mir?“
Jordill sah in an und lachte plötzlich laut auf.
„Was ist denn jetzt so lustig?“, brummelte Adalbert.
„Du müsstest dich sehen. Der unerschrockene Kämpfer und Anführer, den ich in dir kennengelernt habe, der schon mutig gegen hässliche Trolle und grässliche Feuerköpfe gekämpft hat, sitzt hier wie ein trauriges Häufchen Elend und ängstigt sich davor, ein paar Namen zu lernen. Das ist wirklich komisch!“
Es dauerte nur einen kurzen Augenblick, bis sich auch Adalberts Miene verzog und er herzhaft mitlachte.
„Es tut der trauernden Seele richtig gut, wieder lachen zu können“, meinte Jordill, als sie sich etwas beruhigt hatten.
„Doch du wolltest mir ja eigentlich etwas über den Traum von Tork erzählen, bevor ich dir deine schillernde Zukunft vorhergesagt habe“, fragte der Elf dann neugierig nach.
Adalbert reagierte nicht sofort, sondern beobachtete zuerst, wie der riesige Eisadler hinter einem Bergrücken verschwand, stand dann auf und setzte zusammen mit Jordill nachdenklich seinen beschwerlichen Aufstieg zu den eigenartigen Geisterwolken fort, bevor er endlich antwortete.
„Kurz vor unserem schrecklichen Erwachen träumte ich genau das, was nur wenige Augenblicke zuvor tatsächlich passiert war. Ich musste regungslos zusehen, wie Tork von wilden Bestien, die ich aber nicht richtig erkannte, zerrissen wurde. In diesem grässlichen Traum röchelte mir der arme Tork noch im Sterbenskampf zu, dass er mich jetzt verlassen müsse und ich treu meinen Weg weitergehen sollte. Das alleine ist schon seltsam, aber da war noch etwas anderes, das er mir mitteilte. Im Traum konnte ich es aber nicht richtig verstehen, weil seine Worte immer leiser wurden. Erst später, als dieser fletschende Narsokk drohend über mir stand, kamen die Worte Torks endlich deutlich zu mir durch, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits tot war. Ist das nicht seltsam?“
Diesmal war es der Elf, der eine ganze Weile schweigend neben seinem Weggefährten herlief.
„Tork hat nie zu mir oder einem meiner Brüder gesprochen. Wir konnten uns immer nur mit Gefühlen oder Emotionen verständigen, obwohl ich oft davon überzeugt war, dass er jedes Wort von uns genau verstehen konnte“, begann Jordill.
„Das verstehe ich jetzt nicht. Ich dachte, dass diejenigen von euch, die die Schlussmetamorphose, also den Kreislauf von Elf über Pflanze, über Tier bis zurück in den Elfenkörper abgeschlossen haben, genau wissen müssten, ob sie die anderen in den einzelnen Phasen des Wechselkreislaufs verstanden haben“, fragte Adalbert etwas verdutzt.
„Nein, so ist das leider nicht. Nach der letzten Metamorphose können wir uns nur an vage Empfindungen und Emotionen unserer früheren Leben als Tier oder Pflanze erinnern, aber bedauerlicherweise an keine Einzelheiten. Lediglich das erste Leben als Elf ist uns noch so in Erinnerung, als wenn wir erst gestern unseren Wechsel erlebt hätten. Daher können wir nicht mit Bestimmtheit wissen, was wir in den Zwischenleben tatsächlich von unserer Umwelt und den anderen Lebewesen mitbekommen.
Soweit ich weiß, hat es noch nie zuvor einen direkten Gedankenaustausch zwischen einem Wandler und einem Elfen oder gar einem Menschen gegeben. Das ist etwas Einzigartiges und daher von ganz besonderem Wert.
Aber wie schon gesagt, ich war immer davon überzeugt, dass mich Tork verstehen konnte. Nun lieferst du mir dafür den Beweis. Ich bedaure es nur, dass er nicht mit mir auf diese Weise in Verbindung treten konnte wie mit dir. Ich beneide dich um diese seltene Gabe, die du besitzt.“
Jordills Worte klangen traurig, aber keinesfalls neidisch.
Kurz darauf drängelte er: „Nun spann mich nicht länger auf die Folter, sondern sage mir endlich, was er dir mitgeteilt hat. Was waren seine letzten Worte? Sie könnten vielleicht wichtig für uns und unser weiteres Vorhaben sein!“
„In dem Moment, als ich dachte, dass mich der untote Wolf gleich zerfetzen würde, drangen Torks letzte Worte so klar zu mir hindurch, wie unser Gespräch in diesem Moment“, begann sich Adalbert an die letzten Worte des Keilers zu erinnern. „Er sagte Folgendes: Ich werde leider nicht mehr an deiner Seite sein können, um dich zu beschützen. Meine Reise endet hier, noch bevor ich die Ehre der Schlussmetamorphose erlangen werde. Ich möchte dich bitten, meinem geliebten Volk den Abschiedsgruß zu überbringen und sage meinen drei Neffen, dass ich sehr stolz auf sie bin und sie sehr liebe.“
Adalbert musste kurz innehalten, so sehr bewegte ihn die Erinnerung an Torks letzte Worte. Jordill schossen Tränen aus den Augen und liefen leise über seine markanten Wangenknochen und an seinem Kinn hinunter. Mit einer Handbewegung forderte er Adalbert auf, fortzufahren.
„Die Lorhdrachin Murwirtha kann manchmal sehr launisch und unfreundlich erscheinen. Habe einfach etwas Geduld und bestell ihr einen lieben Gruß von mir, dann wirst du ihre volle Aufmerksamkeit bekommen, denn wir kannten uns einst gut.
Ich möchte dir noch einen weiteren Tipp geben. Deinen Geistdrachen wirst du nicht hier im Eisgebirge, sondern nur in der geheimen Adlerhöhle finden, wenn du dich … hier endeten die Worte aus meinem Traum, die ich erst später verstand, und ich erwachte mit dem Blick in diese schrecklichen, wässrig blauen toten Augen des Narsokk-Wolfs“, beendete Adalbert seine Erzählung.
„Mein Onkel kannte die edle Lorhdrachin!“, wunderte sich Jordill. Er hatte sich wieder etwas gefangen und weinte nicht mehr. Plötzlich schien ihm etwas einzufallen, was bisher tief verborgen gewesen war. „Wie konnte ich das bloß vergessen, mein Onkel Torkdill war früher ja auch ein Mitglied des Drachenrates! Wie ich aus dem entnehme, was er dir im Traum erzählt hat, stand er der ehrenwerten Lorhdrachin Murwirtha irgendwie nahe, warum sonst hätte er dir gesagt, dass du sie von ihm grüßen sollst? Wie tragisch, dass Tork nicht mehr dazu kam, dir den genauen Ort zu nennen, wo sich diese geheime Adlerhöhle befindet.“
Erneut schweigend stiegen sie der einbrechenden Nacht entgegen.
Kapitel 9
Der große Weiße
Kronglogg machte sich große Sorgen um Adalbert, der die tückischen Gefahren des Eisgebirges nicht kannte. Der Zwerg wollte nur so schnell wie möglich zu seinem Freund aufbrechen, um ihm mit seinen einzigartigen Ortskenntnissen zur Seite zu stehen.
Die seelische Verletzung, die er durch den ungewollten Ritt auf dem Drachenrücken davongetragen hatte, ließ ihm ebenfalls keine Ruhe. Selbst die versöhnlichen Worte des Elfenkönigs Erithjull konnten daran kaum etwas ändern. Sicherlich hatte der Zwerg verstanden, dass er es wohl nicht mehr rechtzeitig zu den Elfenheilern geschafft hätte, hätten ihn seine Freunde Merthurillh und Adalbert nicht mit einer frechen List überrumpelt, aber sein Zwergenstolz konnte nicht mit dem Wissen umgehen, von einem Drachen getragen worden zu sein. Es ärgerte ihn selbst am meisten, dass er hier nicht über seinen Schatten springen konnte, aber von Kindesbeinen an hatte man ihm eingetrichtert, dass sich ein gesunder Zwerg niemals tragen ließ. Doch an diesem Punkt konnte der Elfenkönig etwas Einsicht erzielen, denn Kronglogg war ja kein gesunder Zwerg gewesen.
„Du musst deinen treuen Freunden ihre List verzeihen, denn ohne sie wärst du bereits an der Tafel des großen Axtschwingers“, sprach der König gerade.
„Was wäre daran so schlimm? Es gibt nichts Ehrenvolleres für einen ordentlichen Zwerg, als nach einem heldenhaften Kampf in die heiligen Zwergenstollen einzufahren und an der weiten Tafel des großen Axtschwingers seinen Platz einnehmen zu dürfen“, antwortete ihm der Zwerg knurrig.
„Wäre dir dein Tod also lieber gewesen, als mit deinen treuen Weggefährten und Freunden weitere Abenteuer erleben zu dürfen, von denen noch künftige Zwergengenerationen ihren Kindern erzählen werden?“
„Alles papperlapapp! Ich bin kein kleiner Zwerg mehr, dem man mit solchen Reden kommen muss“, unterbrach ihn Kronglogg mürrisch.
Erithjull