Tilo K. Sandner

Dracheneid


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konnte oder wollte er noch etwas mit seinem Schicksal hadern. So war er eben.

      „Deine Erfahrung und deine Weitsicht werden dringend am Hof in Kronenberg benötigt“, erwiderte der Elfenkönig.

      „Was bitte soll ich denn bei diesem ignoranten Menschenkönig Ekleweif? Der denkt doch nur an sich und macht keinen Hehl daraus, dass er jeden Zwerg, jeden Elfen und alle Drachen hasst. Ihn interessiert doch nur, wie er noch mehr Steuern aus seinen Untertanen herauspressen kann, um sich seinen kostspieligen Lebensstil leisten zu können. Ekleweif schert sich nicht im Geringsten um das Wohl des Drachenlandes. Jede Bemühung, mit ihm zu reden, ist bereits im Vorfeld zum völligen Scheitern verurteilt!“, protestierte Kronglogg, der die Einsamkeit des Eisgebirges dem überlaufenen und hektischen Hofleben in Kronenberg vorgezogen hätte.

      „Ich stimme dir zu, König Ekleweif ist nicht die beste Wahl für unser Land. Aber trotzdem ist dieser Besuch enorm wichtig, denn ohne die Unterstützung der Menschen werden wir im Ernstfall nicht viel gegen Snordas’ Horden ausrichten können. Außerdem ist kein Gespräch jemals überflüssig, denn man weiß nie, welche Ohren für das eigene Anliegen offen stehen“, schloss Erithjull seine Rede.

      „Denkst du dabei etwa an Ekleweifs jüngeren Bruder Norman? Das ist doch noch ein völliger Grünschnabel, auf den wir nicht zählen brauchen. Auch die Königsmutter, die ehrenwerte Lady Kassandra, hat schon lange nicht mehr die Macht, die sie früher einmal hatte“, gab Kronglogg zu bedenken.

      „Wir wissen natürlich nicht, wer uns tatsächlich zuhören wird, aber am Hof in Kronenberg gibt es auch noch eine Menge ehrenhafter Ritter und viele tüchtige Kaufleute, die nicht immer mit den Entscheidungen ihres Königs einverstanden sind. Ich möchte natürlich nicht, dass wir dort am Hof Zwietracht säen, aber wir sollten den Menschen von unseren Erlebnissen der letzten Zeit berichten und ihnen unsere Einschätzung der momentanen Lage nicht vorenthalten.“

      Kronglogg dachte über die Worte des Königs nach, zwirbelte nachdenklich an seinen buschigen Augenbrauen und stimmte Erithjull schließlich mit einem Kopfnicken zu.

      ***

      „Hörst du ihn schon?“, fragte Jordill Adalbert, als sie gerade ihr karges Abendmahl einnahmen.

      „Wen soll ich hören?“, wollte Adalbert überrascht wissen.

      „Da kommt unser lieber Torgorix. Wenn du dich ganz stark auf den Flügelschlag konzentrierst, kannst du irgendwann alle Drachen voneinander unterscheiden. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Flugstil und damit auch seinen eigenen, unverkennbaren Klang. So erkennst du beispielsweise den alten Drachen Rostorrh an einem harten Flügelschlag, wohingegen der Klang der flinken Lady Zaralljah eher an einen Peitschenklang erinnert. Torgos Flügelschlag klingt noch sehr unbeholfen, irgendwie ledern. Kannst du ihn jetzt hören?“

      „Torgo klingt immer wieder gut. Das gefällt mir“, entgegnete Adalbert und konzentrierte sich nun seinerseits auf das angekündigte lederne Schlagen des jungen Drachen. Da der Fuß ihres Berges längst in stumme Dunkelheit getaucht war und ihm der Blick ins unter ihnen liegende Tal nichts nutzte, strengte der Junge seine Ohren noch etwas mehr an. Tatsächlich konnte er jetzt ganz leise etwas hören, das so ähnlich klang, wie wenn eine Magd Lederlappen auf den nassen Boden schlug. Adalberts Miene hellte sich auf, als er immer deutlicher hören konnte, wie sich ihnen ihr junger Drachenfreund näherte.

      „Da seid ihr ja!“, rief Torgorix, als Adalbert endlich dessen undeutliche Konturen aus der Dunkelheit emporsteigen sah.

      „Wenn ihr nur ein paar Schritte weiter nach oben steigt, kommt ihr zu einer kleinen Plattform, auf der ich landen kann“, rief er ihnen noch zu, dann schoss er senkrecht an ihnen vorbei, dem Gipfel entgegen.

      Die beiden packten rasch ihre Sachen zusammen und folgten Torgorix, der längst nicht mehr zu sehen war. Adalbert wünschte sich sehnlichst, auch fliegen zu können, dann würde er nicht mehr so viel laufen müssen und käme wesentlich schneller voran. Welche Möglichkeiten sich wohl auftun würden, wenn er ähnlich den Drachen in den Himmel steigen könnte?

      „Wach endlich aus deinen Träumen auf, Adalbert. Du musst dich unbedingt auf den schwierigen Weg konzentrieren, sonst stürzt du uns noch ab und diesmal ist kein Adler in der Nähe, der durch seinen schrillen Warnschrei Merthurillh herbeirufen kann wie damals am Krähenpass“, ermahnte ihn der Elf lächelnd.

      Keuchend kamen sie schließlich oben an.

      „Wisst ihr eigentlich, dass ein großer weißer Wolf hinter euch herläuft? Eine ganze Weile habe ich ihn aus der Luft beobachtet. Als ich mir sicher war, dass er tatsächlich eurer Spur folgte, habe ich versucht, ihn zu verjagen. Er ließ aber nicht locker, selbst als ich ihn mit einem Feuerstoß zu vertreiben versuchte, jaulte er nur kurz auf, ließ sich aber nicht beirren. Irgendwie habe ich seine Hartnäckigkeit bewundert. Dann habe ich ihn alleine gelassen, denn er kann euch ja nichts tun, wenn ich in eurer Nähe bin“, erklärte Torgorix leicht angeberisch.

      „Oh Torgorix, du dummer Tölpel! Du hast unseren Retter, den mutigsten aller Ijsvargs angegriffen! Ich hoffe nur, dass du ihn nicht schwer verletzt hast. Er folgt uns, um Adalbert zu beschützen“, rief Jordill verärgert.

      „Oje, das habe ich nicht gewusst. Ich bin doch wirklich zu nichts zu gebrauchen. Ich wollte euch nur helfen. Überall mache ich mich entweder lächerlich oder ich tue etwas, das völlig falsch ist.“

      In der Stimme des Drachen schwangen nun ehrliche Traurigkeit und Resignation mit.

      „Das konntest du doch nicht wissen, lieber Torgorix“, versuchte Adalbert seinen einstigen Schützling etwas zu trösten. „Wie weit ist der Ijsvarg denn von uns entfernt?“

      „Nur ein kleines Stück bergabwärts. Wenn du möchtest, werde ich zu ihm fliegen und nachsehen, wie es ihm geht.“

      „Nein, das werde ich lieber selbst tun. Wenn er dich sieht, könnte es sein, dass er vielleicht doch noch wegläuft. Ich werde mal schauen, ob ich ihn finde. Vielleicht lässt er sich von mir helfen“, hoffte Adalbert.

      Jordill wollte sich seinem Freund anschließen, doch der junge Anführer ließ das nicht zu. Er wollte den verletzten Wolf alleine aufsuchen, sich ihm so weit wie möglich nähern und ihn in dieser Nacht nicht alleine lassen. Adalbert hoffte, dass er das Glück haben würde, heute über den Wolf zu wachen. Er wusste zwar, dass er sich beim Wolf für seine Rettung nicht durch Taten oder Worte bedanken konnte, aber vielleicht würde dieser erkennen, dass ihm Adalbert mit dieser Geste etwas zurückgeben wollte. Schnell nahm er seine Tasche und lief vorsichtig in die stockfinstere Nacht.

      „Sei mir bitte nicht böse, dass ich eben so unfreundlich zu dir war. Ich wollte dich wirklich nicht beleidigen. Du konntest ja nicht wissen, dass uns der weiße Wolf vor den grässlichen Narsokk-Wölfen retten wollte, bevor er unglücklicherweise von Pfeilen der Kapuzenmänner getroffen wurde, die ihn auch für einen angreifenden Wolf hielten“, entschuldigte sich Jordill bei dem Drachen und berichtete anschließend, was sich alles ereignet hatte, seit dieser zur Drachenschule geflogen war. Torgorix war entsetzt, als er von dem grausamen Tod Torks hörte.

      Adalbert konnte seine eigenen Hände vor Augen nicht sehen, so dunkel war diese eisige Nacht. Der weite Himmel über ihm war komplett mit pechschwarzen Gewitterwolken verhangen, aus denen hier und da ein vereinzelter Blitz zur Erde hernieder schoss. Nur in diesen kurzen Augenblicken konnte er zumindest für einen winzigen Moment einen flüchtigen Eindruck von der steilen Felswand erhaschen, die er vorsichtig hinabstieg, in der stillen Hoffnung, bald auf den mutigen Ijsvarg zu treffen. Adalberts Gedanken kreisten nur noch um den Wolf. Hoffentlich würde er ihn finden und insgeheim hoffte er, dass dieser sich von ihm berühren ließe.

      Je weniger er sehen konnte, umso mehr konzentrierte sich Adalbert auf seine neu gewonnenen Fähigkeiten. Dabei schloss er oft seine Augen und vertraute vollkommen seinem Tast- und Orientierungssinn. So war er bereits eine Weile unterwegs, als unmittelbar neben ihm laut krachend ein Blitz in einen Felsen einschlug und diesen in der Mitte teilte. Dieser ohrenbetäubende Knall erschreckte Adalbert so sehr, dass er seine Augen weit aufriss. Und da stand der riesige weiße Wolf, nur wenige Schritte vor ihm. Sein Körper war leicht geduckt, als wenn er entweder gleich angreifen