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Stephan Hähnel
Verschwiegene Wasser
Morgenstern ermittelt
Ein Berlin-Krimi
Jaron Verlag
Originalausgabe
1. Auflage 2016
© 2016 Jaron Verlag GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.
Umschlaggestaltung: Bauer+Möhring, Berlin, unter Verwendung eines Fotos von Günter Schneider
Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN 978-3-95552-226-1
Inhalt
Ebenfalls im Jaron Verlag erschienen
Prolog
Es war der bisher heißeste Tag im Mai 1985. Seit dem frühen Morgen schien die Sonne gnadenlos auf das kleine Dorf in Tamil Nadu, dem südlichsten Bundesstaat Indiens.
»Lass es ein Junge sein! Parvati, Gefährtin Shivas, du gütige Mutter, sei gnädig! Schenke uns einen Jungen. Ich flehe dich an!«
Die ersten Schreie klangen kräftig. Das Kind begrüßte das Leben, als wolle es verkünden: Schaut her, hier bin ich, ich lebe! Apsara, die junge Frau, die das Kind in einer schlichten Hütte auf einer einfachen Liege zur Welt brachte, war froh, dass es vorbei war. Schweiß stand auf ihrer Stirn. Sie zitterte. Noch spürte sie die Schmerzen der Geburt, wusste aber, sie würden vergehen, wie die beiden Male davor. »Ich flehe dich an, lass mich einen Jungen geboren haben!«, flüsterte Apsara erneut und richtete sich auf.
Ein Raunen erfüllte den kleinen Raum. Die Frauen des Dorfes rückten zusammen und betrachteten das Neugeborene. Es wurde ruhig. Die meisten schwiegen, vereinzelt waren Klagen zu hören. Die Älteste des Dorfes hob den Blick. Ein leichtes Kopfschütteln verriet Apsara, dass die Muttergöttin ihre Gebete nicht erhört hatte. Die ersten Nachbarinnen gingen, schweigend, in sich gekehrt. Niemand verabschiedete sich. Alle wussten, was geschehen würde. Einzig die Dorfälteste blieb und hielt das Kind im Arm. Sie beruhigte es, bis es einschlief.
Apsaras Ehemann schob den Vorhang am Eingang der Hütte zur Seite und betrat den Raum. Sein Gesicht war vor Verzweiflung verzerrt. Auch die Gebete des Vaters waren nicht erhört worden. Er würdigte das Neugeborene keines Blickes. Zorn ließ seine Stimme beben. »Wir haben schon zwei Mädchen. Du solltest mir einen Sohn schenken! Immer nur Mädchen!«
Im schwachen Schein einer Glühbirne sah Apsara einen Moment seine glänzenden Augen. Nie zuvor hatte sie ihn weinen sehen. Er war ein anständiger Mann, fleißig, ehrlich und treu. Dennoch wusste sie, dass es sinnlos war, ihn zu bitten. Mit einer abfälligen Handbewegung verließ er die winzige Hütte.
Sie hatte versagt, so glaubte die junge Frau. Sie hatte ihn enttäuscht. Auch Apsara war enttäuscht. Niemals würde es ihnen gelingen, drei Mädchen großzuziehen, geschweige denn, sie zu verheiraten. Dafür waren sie zu arm. Ein Wunder, dass er sie nach der zweiten Tochter nicht verlassen hatte.
Die Älteste des Dorfes trat langsam an die Liege. Sie wusste, was zu tun war. Zu oft hatte sie in ihrem kläglichen Leben helfen müssen. Apsara schaute die Frau flehend an. Die Hand, die ihr die Alte reichte, war dünn und fühlte sich an wie Pergament. Liebevoll strich sie über die schwarzen Haare der jungen Frau. Mit brüchiger Stimme sagte sie: »Ihr braucht sie nicht. Wenn du es wünschst, erlöse ich sie.«
Apsaras Gesicht verkrampfte sich. Entsetzt griff sie sich an den Bauch. Die Älteste des Dorfes blickte erstaunt zu der jungen Frau. Dann verstand sie. Schnell wickelte sie das Neugeborene in eine Decke und legte es in einen Korb neben dem Eingang. »Es ist noch nicht vorbei«, sagte sie. »Apsara, du bekommst Zwillinge!«
Sonntag, 15. November 2015
Der Mercedes-Transporter fuhr mit abgeblendetem Licht die schmale vereiste Straße entlang zu einem der Seiteneingänge. Um diese Zeit waren die Lichter in den Büros und Labors erloschen. Der Biotechpark in Berlin-Buch schien sich von einer anstrengenden Arbeitswoche zu erholen. Die beiden Männer, die aus dem Wagen stiegen, beobachteten aufmerksam die Umgebung. Als sie sicher waren, dass niemand sie stören würde, begannen sie mit ihrer Arbeit.
»Na, dann wollen wir mal!«, flüsterte aufgeregt der Dickere der beiden, den der Auftraggeber mit der wenig schmeichelnden Beschreibung »Riesenbaby« angekündigt hatte. Ein pizzafressender Computernerd. Sein feistes Gesicht war hinter einer grauen Sturmhaube versteckt. Nervös schaltete der aufgeblähte Kerl sein Smartphone ein. Wenige Sekunden fehlten, dann war es drei Uhr. Die ersten Mitarbeiter würden frühestens in fünf Stunden ihre Rechner hochfahren. Bis dahin waren die beiden schon wieder verschwunden.
»Ausmachen, sofort!«, schnauzte ihn der andere, der sich Kolja Rudenko nannte, an. Sein osteuropäischer Akzent verriet,