David Treleaven

Traumasensitive Achtsamkeit


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ist es, was uns dabei hilft, uns auf den Moment einzustellen, sei es beim Anziehen eines Pullovers, weil uns kalt ist, oder wenn wir aus dem Kino laufen, weil uns der Film in Angst und Schrecken versetzt. Achtsamkeit, so behaupten Wissenschaftler, erhöht unsere Fähigkeit zur Selbstregulation, was uns letztlich ermöglicht, auf die Welt flexibel zu reagieren.

      Bedenken wir, dass Menschen, die an posttraumatischem Stress leiden, oft Schwierigkeiten damit haben, sich sicher und selbstkontrolliert zu fühlen. Weil sie kontinuierlich mit verstörenden Gedanken, Erinnerungen und unerträglichen Empfindungen bombardiert werden, haben sie das Gefühl, am Steuer eines Schiffs zu stehen, das sie nicht effektiv manövrieren können. Theoretisch können Traumaüberlebende jedoch ihre Handlungsfähigkeit zurückerlangen, indem sie achtsame Aufmerksamkeit nutzen, um angemessen mit den inneren Angriffen zu arbeiten. Sie können ihre innere Welt beobachten und aushalten, und sie können lernen, ihre Gedanken und Emotionen mit Mitgefühl zu erforschen, statt sie gewohnheitsmäßig zu vermeiden. Diejenigen von uns, die sich als traumasensitive Praktiker mit Trauma befassen, können Achtsamkeit dazu nutzen, mit Trauma in all seinen Formen – individuell wie systemisch – präsent zu sein. Durch die erhöhte Selbstregulation können wir die Geschichten, die uns unsere Klienten erzählen, besser aushalten – ob es sich nun um einen Meditationsschüler handelt, dessen Familienmitglied die Abschiebung droht, oder ob es der Klient ist, der sich seinen Erinnerungen an sexuellen Missbrauch in seiner Familie stellt. Achtsamkeit kann Menschen unterstützen, die Traumasymptome erleben bzw. diejenigen, die mit Traumaüberlebenden arbeiten.

      Basierend auf neueren neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, die ich in Kapitel 4 näher beleuchten werde, gibt es die Annahme, dass Achtsamkeit Selbstregulation auf drei Weisen unterstützt: durch die Regulation von Aufmerksamkeit, durch Körpergewahrsein und durch emotionale Regulation (siehe Abbildung 2.1).64 Um die Bedeutung dieser Komponenten im Zusammenhang mit Trauma zu untersuchen, lassen Sie uns zu Nick zurückkehren.

      Abbildung 2.1: Achtsamkeit und Selbstregulation)

      AUFMERKSAMKEITSREGULATION

      Während Tara und Connor weggefahren waren, um die Familie zu besuchen, haderte Nick zu Hause mit sich. Immer wieder spielte sich die Erinnerung daran, wie er das Glas gegen die Wand geschmissen hatte, vor seinem inneren Auge ab, und er konnte dem mächtigen Feuerball in seinem Magen nicht entkommen. Für Nick waren diese Bilder und Empfindungen wie ein Traktorstrahl, der seine Aufmerksamkeit unablässig von der Gegenwart abzog. Nachts, wenn er endlich in sein Bett kroch, kämpfte er stundenlang mit Grübel-Kreisläufen, bei denen er sich durch Erinnerungen an seinen Vater und seine Ängste, Connor zu verletzen, kämpfte. Irgendwann schaltete er das Licht ein und versuchte, sich mit einem Buch abzulenken, aber er war mit den Nerven am Ende. Unter all dem lag ein Gefühl des Aufruhrs, das einfach nicht verschwinden wollte.

      Wie ich vorhin bereits erwähnte, haben Menschen mit posttraumatischem Stress häufig Probleme mit ihrer Aufmerksamkeit. Ununterbrochen sind sie mit traumatischen Auslösern in Form von Erinnerungen, Empfindungen und Emotionen konfrontiert. Bevor wir angefangen hatten, miteinander zu arbeiten, war Nicks Aufmerksamkeit gewohnheitsmäßig und unbewusst in die Richtung dieser Trigger gezogen worden, was ihm das Gefühl gab, frustriert, überfordert und außer Kontrolle zu sein. Immerfort war er abgelenkt und nervös. „Ständig kontrolliere ich mein Smartphone“, sagte er, „um mich mit x-beliebigen Nachrichten, die ich nicht mal lesen möchte, abzulenken. Wenn ich das nicht tue, bin ich meinen beschissenen Erinnerungen und dem Gefühl, nicht okay zu sein, ausgeliefert.“

      Unter meiner Anleitung fing Nick an, zweckmäßiger mit seiner Aufmerksamkeit zu arbeiten. Mit dem Ziel, seine innere Stabilität und Selbstregulation zu unterstützen, begann er zu lernen, wie er seine Aufmerksamkeit, gleich einer Taschenlampe, nutzen konnte, um sie auf Stimuli zu richten, die ihm das Gefühl gaben, sicher und selbstkontrolliert zu sein. Manchmal war es eine innere Empfindung, wie der Druck seines Rückens gegen das Sofa, die ihn physisch erdete. Ein anderes Mal achtete er auf die Blätter, die draußen in der Sonne flatterten, und lernte dabei, Gefühle der Lebendigkeit und Wärme zu erkennen, die in ihm als Rückmeldung auf diese Wahrnehmung aufstiegen. Zu entdecken, dass die Ausrichtung seiner Aufmerksamkeit einen profunden Einfluss auf seinen Gefühlszustand hatte, überraschte ihn. „Mir war nicht klar gewesen, dass ich mich auf Dinge konzentriert hatte, die mir Angst machten“, sagte Nick. „Ich erkenne jetzt, wie sehr ich eigentlich mit meinem Geist arbeiten muss.“

      KÖRPERGEWAHRSEIN

      Als ich Nick zum ersten Mal aufforderte, seinem Körper achtsame Aufmerksamkeit zu schenken, schaute er mich verwirrt an. „Warum wollen Sie, dass ich das tue?“, fragte er. „Was ich in meinem Körper fühle, ist rasende Wut. Sie zu spüren, könnte dazu führen, dass ich wieder ein Glas gegen die Wand werfe.“

      Dass Nick seinen Körper lieber vermied, war eine aus seiner Sicht nachvollziehbare Strategie. Es war der Versuch, die überfordernden, nicht integrierten Elemente seines Traumas in Schach zu halten. Nick schnitt seinen Körper von seinem Bewusstsein ab in dem Bemühen, mit seinen Emotionen fertigzuwerden. Aber indem er trauma-bedingte Empfindungen vermied, machte er sich anfälliger dafür, plötzlich von ihnen übermannt zu werden. Ohne Vorwarnung übernahmen sie die Kontrolle. An dem Abend, an dem er das Glas gegen die Wand geworfen hatte, war er der Rage, die sich den ganzen Tag über in seinem Bauch und seiner Brust angestaut hatte, aus dem Weg gegangen, bis es nicht mehr ging.

      Nick erlebte am eigenen Leib, auf welche Weise ein Trauma durch den Körper erfahren werden kann. Statt ein Ort der Zuflucht zu sein, ist der Körper für Traumaüberlebende oft der Feind. Wie die Traumaexperten David Emerson und Elizabeth Hopper schreiben: „Alle diese Menschen erleben ihren Körper möglicherweise als ‚Feind‘. Sie haben das Gefühl, dass er sie absichtlich verletzt, denn wenn sie sich der Botschaften ihres Körpers bewusst werden, merken sie, dass viele dieser Botschaften die Empfindung ausdrücken, verletzt worden zu sein.“ (2012, S. 49) Infolge dessen neigen Traumaüberlebende häufig dazu, die Aufmerksamkeit von ihren Empfindungen abzuziehen, um mit ihrem Schmerz zurechtzukommen.

      Achtsamkeit und Meditation laufen dieser Tendenz zuwider. Sie erhöhen unser Bewusstsein für subtile körperliche Empfindungen, was für Traumaüberlebende von Nutzen sein kann. Erstens können sie uns Informationen über unsere Stimmung, Bedürfnisse und Sehnsüchte geben. Während ich mit Nick arbeitete, erkannte er eine Unzahl an Signalen, die ihm anzeigten, dass sich Stress in ihm aufbaute – Spannung hinter seinen Augen zum Beispiel oder ein plötzlicher Fluss frustrierender Gedanken. In der Stille meiner Praxis fing Nick an, seine Aufmerksamkeit nach innen zu richten, so, als befände er sich in einem Labor. In diesen Momenten wurde ich demütig Zeuge, wie jemand, der seine innere Welt stets gemieden hatte, sich plötzlich in sie hineinwagte. Er entdeckte, dass ihn das Gefühl seiner Füße auf dem Boden erdete und selbstbewusster machte. Weiterhin stellte er fest, dass, wenn er zu viel Aufmerksamkeit auf seinen Bauch richtete, er das Gefühl bekam, überwältigt zu werden. Einfach auf seinen Körper zu achten, war für Nick ein radikaler Schritt.

      Ein erhöhtes Körpergewahrsein kann Traumaüberlebenden auch dabei helfen, zu erleben, dass körperliche Empfindungen sich ständig verändern. Auszuatmen verlagerte die Anspannung in Nicks Bauch ein wenig und erinnerte ihn daran, dass seine innere Welt in stetiger Bewegung und nicht unveränderlich war. Posttraumatischer Stress kann uns überzeugt sein lassen, dass wir feststecken, und so kann uns das Erlebnis, selbst die kleinste Veränderung wahrnehmen zu können, neuen Möglichkeiten öffnen – nämlich, dass wir mit der Sache, die uns so lange Angst eingejagt hat, präsent sein können. Was bisher als bedrohlich und unbezwingbar eingeschätzt wurde, wird zu etwas, mit dem wir präsent sein können.