Anke Handrock

Vergeben


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      Anke Handrock / Christoph Soyer

       Vergeben

      Psychologisch – biblisch – ignatianisch

       Ignatianische Impulse

      Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ und Stefan Hofmann SJ

      Band 84

      Ignatianische Impulse gründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.

      Ignatianische Impulse greifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.

      Ignatianische Impulse werden begleitet durch den Jesuitenorden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.

      Anke Handrock / Christoph Soyer

      Vergeben

      Psychologisch – biblisch – ignatianisch

      echter

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

      © 2019 Echter Verlag GmbH, Würzburg

       www.echter.de

      E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

      ISBN

      978-3-429-05399-4

      978-3-429-05042-9 (PDF)

      978-3-429-06452-5 (ePub)

       Inhalt

       1. Einleitung

       2. Was ist Vergeben?

       3. Was hindert mich am Vergeben?

       4. Vergeben, wie geht das denn?

       5. Wie kann ich mit Ignatius meditieren?

       6. Einen Vergebensprozess beginnen

       7. Verletzungen und den Verlust in vollem Umfang anerkennen

       8. Vergebungsritual

       9. Wie gehe ich mit meinen Gedanken und Gefühlen um?

      10. Wie will ich jetzt meine Zukunft gestalten?

      11. Und was ist, wenn ich Mitschuld habe – oder mich mitschuldig fühle?

      12. Das Sakrament der Versöhnung

      13. Ausblick

      Anmerkungen

      1. Einleitung

      Im Vaterunser beten wir »und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigem«. Also sollen wir vergeben! Viele gläubige Menschen fühlen sich dadurch unter Druck gesetzt oder überfordert.

      In Gesprächen, die sich um das Thema Vergebung drehen, fallen oft Sätze wie:

      • Ich weiß, ich müsste jemandem vergeben, aber das geht nicht so einfach.

      • Ich habe zwar vergeben, aber die Gedanken quälen mich immer noch und manche Bilder bekomme ich einfach nicht aus dem Kopf.

      • Ich habe doch vergeben. Jetzt müsste es doch wieder so sein wie früher, aber das stimmt nicht.

      • Ich würde ja vergeben, aber der andere will einfach nicht.

      Vergeben: Was ist das? Was bringt das? Wie macht man das? Welche Schritte sind dazu notwendig? Um diese Fragen geht es in diesem Buch. Wer vergeben möchte, hat Schweres erlebt. Jemand ist Opfer geworden. Opfer fühlen sich oft machtlos und hilflos, sind verzweifelt, beschämt und wütend. Ein anderer, der Täter oder die Täterin, hat absichtlich oder billigend in Kauf genommen, das Opfer zu verletzen. Das Leben des Opfers ist nicht mehr wie zuvor. Die Ungerechtigkeit und der erlittene Schaden sind – emotional, körperlich, materiell oder sozial – greifbar. Und in solch einer Situation soll das Opfer dem Täter auch noch vergeben – ist das nicht unzumutbar? Was bringt das denn? Neue Forschungen zeigen, dass Vergeben vor allem für das Opfer viele positive Wirkungen hat. Natürlich gibt es noch andere schwere Situationen wie Unfälle, Naturkatastrophen o.Ä., bei denen es keine Täter gibt. Dann geht es jedoch um Akzeptanz und nicht ums Vergeben.

      Vergeben ist ein Prozess, in dem ein Opfer seine Aufmerksamkeit – weg vom Täter – wieder auf das eigene Leben richtet. Die meisten Menschen können nicht »einfach mal so« jemandem vergeben, als sei dann »alles wieder gut«. Ein Prozess des Vergebens braucht zu Beginn die klare Entscheidung, vergeben zu wollen. Ja zu sagen zu einem Vergebensweg. Dieses Ja beinhaltet:

      • das Ja zum eigenen Leben

      • das Ja zu den Verwundungen und Verletzungen

      • das Ja zu der Person des Täters oder der Täterin (nicht zu der Tat!)

      • das Ja zu eigenen möglichen Schuldanteilen

      • das Ja zur eigenen Zukunft, die ich gestalten will

      Jede Verletzung und jede Verwundung wirken wie ein Nein, das mein Ja erschwert. Sich auf den Vergebensweg zu machen ist ein bewusster Schritt hin zu diesem Ja des Lebens.

      Bevor wir dieses Buch begonnen haben, haben wir zahlreiche Veranstaltungen zum Thema Vergeben durchgeführt. Dabei beginnen wir mit einer »Steine-Übung«. In der Mitte des Raumes liegen viele größere Steine. Drei Freiwillige nehmen für diese Übung die Rolle eines »Täters« ein. Ihre Aufgabe ist es, sich frei im Raum zu bewegen. Drei weitere Freiwillige stellen jeweils die »Opfer« eines »Täters« dar. Sie haben in dieser Übung die Aufgabe, sich je einen Stein aus der Mitte zu nehmen. Dieser Stein ist dann das Symbol für die Verletzungen, die das »Opfer« durch den »Täter« erlitten hat. Mit diesem Stein in beiden Händen folgen die »Opfer« jeweils »ihrem Täter«. Sie passen sich dessen Geschwindigkeit und Bewegungen an, sie tragen dem »Täter« also den Stein nach. Nach einigen Minuten wird die Übung beendet, indem die »Opfer« aufgefordert werden, ihre Steine vor den Füßen des jeweiligen »Täters« abzulegen. »Täter« und »Opfer« werden anschließend nach ihren Erfahrungen zu dieser Übung befragt.

      Ihre Reaktionen sind unterschiedlich. Manche »Täter« haben das Hinterhertragen wahrgenommen. Andere »Täter« berichten, dass sie kaum bemerkt haben, dass ihnen etwas hinterhergetragen wurde. Und wenn doch, dann habe sie das kaum gestört. Einige sind dann am Ende auch bereit, den Stein zur Kenntnis zu nehmen. Andere steigen über ihn hinweg.

      Die »Opfer« erzählen von der körperlichen Anstrengung, den Stein hinterherzutragen. Auch berichten sie von der Einschränkung, ihre Hände nicht anders benutzen zu können. Außerdem sprechen sie davon, wie aggressiv es sie macht zu merken, dass es dem »Täter« anscheinend völlig egal war, wie schwer sie zu tragen hätten. Bei manchen tauchte auch der Wunsch auf, dem »Täter« den Stein vor die Füße zu knallen. Alle »Opfer« erlebten ein Gefühl der Unfreiheit. Manche fragten sich nach der Sinnhaftigkeit ihres Tuns. Nach dem Ablegen der Steine konnten viele der »Opfer« wirklich durchatmen, sich aufrichten und den Raum und die anderen Teilnehmer erstmals wahrnehmen. Auch die Zuschauer erleben meist mannigfaltige Gefühle. Diese Übung hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck und macht körperlich erfahrbar, was Vergeben bedeutet: aufhören, jemandem einen Stein hinterherzutragen.

      Einladung: Stellen Sie sich vor, Sie sind in einer solchen Veranstaltung. Welche Rolle würden Sie sich auswählen? Welche Gedanken kommen Ihnen?

      Im Folgenden geht es darum, solche Steine,