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Foto 1: Feuerzeit (Markus Vilain)
Foto 2: Leben in Ton (Andrea Schürgut)
Inhalt
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Heft 3.20 · Künste
Editorial
Sr. M. Ancilla Röttger osc
Ein geistlicher Mensch – ein Lebenskünstler?
Albert Gerhards
Vom Umgang mit der ästhetischen Tradition
Christian Fröhling
Tarkowskijs Zauber
Daniel Weidner
Das Wort ward Fleisch
Rainer O. Neugebauer
Es wird einmal gewesen sein
Skizzen und Gedanken von Kunstschaffenden
Könige
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
in den vergangenen Wochen der Sommer- und Ferienzeit, die coronabedingt möglicherweise anders als geplant für Sie verlaufen sind, hatten Sie vielleicht doch die Gelegenheit Ihren Alltag zu unterbrechen. Dabei hat möglicherweise die ein oder andere Kunst eine Rolle gespielt – ein Konzert im Freien, ein Museumsbesuch, kunstvoll zubereitetes Essen, ein gutes Buch, ein beeindruckender Film… vielerlei Künste mehr ließen sich aufzählen.
Künste gibt es in vielen Gestalten und sie werden auf unterschiedliche Art und Weise wahrgenommen. Ob etwas ›Kunst‹ ist entscheidet sich nicht an der Frage nach Funktionalität. Kunst lässt aufmerken. Sie unterbricht den Trott und das Gewohnte. Indem sie inspiriert und irritiert schafft sie Räume, in denen wiederum Neues entstehen kann. Diese Kraft der Künste verweist auf ihre religiöse Dimension – unterbrechen, irritieren, inspirieren.
In diesem Heft werden ganz unterschiedliche Aspekte von Kunst beleuchtet – der Umgang mit ästhetischen Traditionen, Filmkunst und die Bedeutung des ›Sehens‹, wo biblischer Text die Dichtung inspiriert hat und wie Musik und Zeit ein ganz besonderes Kunsterlebnis ermöglichen. Darüber hinaus gewähren und Künstlerinnen und Künstler Einblicke in ganz verschiedene Künste: Performancekunst, Schmiedekunst, Keramikkunst, Malerei, Kirchenmusik, Improvisationstheater und Kunst aus Brüchen. Bei allen Unterschiedlichkeiten verbindet die vielen Einblicke eines – die Inspiration.
Eine inspirierende Zeit mit dieser Ausgabe wünscht Ihnen,
Clarissa Vilain
Sr. M. Ancilla Röttger osc
Ein geistlicher Mensch – ein Lebenskünstler?
Was haben Kunst und geistliches Leben gemeinsam? Sowohl Kunst als auch religiöse Erfahrungen lassen uns über uns selbst hinausschauen. Sie eröffnen beide eine Welt, die über das Anfassbare, Sichtbare hinausgeht. Sr. M. Ancilla Röttger greift diese Gedanken auf und zeigt uns, dass es äußerst lohnenswert ist, diese Schnittstelle zwischen äußerer Welt und dem Erlebten im Inneren zu erforschen.
Geistliche Begleitung als Hilfe zur Lebenskunst? – Ich denke: Ja! Es geht in der geistlichen Begleitung doch auch darum, kreativ im eigenen Leben zu werden und die Kunst des Lebens zu erlernen. Dabei gehe ich hier ganz unbefangen mit diesem Wort um, ohne Bezug auf irgendwelche philosophische Definitionen der »Lebenskunst«.
Von einer Künstlerin aus Berlin, die nach ihrer Konversion einige Jahre lang einmal im Jahr mit uns eine Woche lebte, habe ich damals gelernt, was Kunst ist. Kunst – so sagte sie zumindest – entsteht nicht einfach im Innern des Künstlers, sondern an der Schnittfläche der äußeren Welt und des im Inneren Erlebten. Ein Künstler, eine Künstlerin – das sind Menschen, die hochsensibel für Wahrnehmung sind, die sich auf die sie umgebende Wirklichkeit einlassen, die in dem, was sie zuinnerst von dieser Wirklichkeit berührt, zur Hingabe fähig sind. Ist das nicht ein Ziel der geistlichen Begleitung, Menschen dahin zu unterstützen?
Geistliches Leben entsteht an der Schnittfläche der äußeren Welt mit dem verinnerlichten Evangelium.
Das halte ich immer noch für eine grandiose Definition von Kunst, die für alles zutrifft, was kreativ entsteht. Jede Lebensgestaltung, jede echte Beziehung, jedes Werk, das ich schaffe, wird in dieser Schnittfläche geboren. In diesem Sinn könnte man sagen, dass geistliches Leben an der Schnittfläche der äußeren Welt mit dem verinnerlichten Evangelium entsteht. Und wenn man genau hinschaut, wird diese Schnittfläche zu einer Mandorla, in der in der Kunst meist Christus selbst als Weltenherrscher dargestellt wird. Eine Mandorla, die manchmal in der Frühzeit des Christentums aus zwei Lebenskreisen gebildet wurde, die sich überschneiden: Christus, der Herr, in meinem konkreten Leben, da, wo sich der Alltag vom Evangelium durchdringen lässt. Damit eine Schnittfläche entstehen kann, gilt es zunächst, wahrzunehmen, was ist. Woher nehme ich meine Informationen über die Welt, in der ich lebe? Dazu gehören Kultur und Gesellschaft einerseits, wie die kirchliche Situation andererseits. Wie nehme ich die Welt wahr? Durch Gegenwartsanalysen von Wissenschaftlern? Durch Medienberichte? Aus Umfragen? Aus zeitgenössischer Literatur? Oder vielleicht vorwiegend aus Gesprächen und Begegnungen?
Eine Schülerin einer Schulklasse, die zu uns zum Gespräch kam, meinte bezüglich unserer Ordenstracht, dass sie ja schon eine gewisse Einseitigkeit vorgebe. Worauf ich versuchte zu erklären, dass wir immer nur eine Sache wirklich wahrnehmen können. Und meine Schleierform gibt eine Blickrichtung vor. Wenn ich aber in diese Richtung wirklich bis zum Grund aushalte im Schauen, treffe ich auf die menschlichen Grunderfahrungen, die nichts Einseitiges an sich haben, sondern nur in unterschiedlicher Form an die Oberfläche kommen. Kontemplativ leben heißt für mich, so lange und so intensiv die Welt, den Menschen vor mir anzuschauen, bis ich auf dem Grund das Antlitz Gottes erkenne oder erahne. Ebenso: so lange und so intensiv zuzuhören, bis ich auf dem Grund der Worte Gott höre. Karl Rahner sagte einmal: Wer Christus nicht in der Kontemplation erkannt hat, wird ihn in der Aktion nicht wiedererkennen. Das kontemplative Sehen und Hören ist verwurzelt in der Betrachtung Gottes. Und die Frage, mit der ich schaue oder höre, darf nicht zu eng gefasst sein.
Viele Menschen kommen zu uns zum Gespräch, die Hilfe in der Kirche suchen und doch kein Vertrauen zu den Amtsträgern haben, die meinen, wir seien ja auch so ein bisschen Kirche und doch nicht so viel wie ein Pastor. Und dann sprechen sie von ihrer Not, die auf dem Grund immer die Sehnsucht nach Leben und Gott hat. Es sind die Alltagsgeschichten, die das Gewand dieser Suche ausmachen. Im Zuhören entsteht eine Schnittfläche mit meinem Inneren. Es gibt in den von Martin Buber gesammelten chassidischen Erzählungen die Geschichte von Rabbi Mendel von Rymanow: »Er pflegte zu sagen, alle Menschen, die ihn angegangen hätten, um ihretwillen Gott zu bitten, zögen in der Stunde, da er das stille Gebet der Achtzehn Segenssprüche spreche, durch seinen Sinn. Einst wunderte sich jemand, wie dies möglich sei, da die Zeit doch nicht hinreiche. Rabbi Mendel antwortete: »Von der Not eines jeden bleibt eine Spur in meinem Herzen eingeritzt. In der Stunde des Gebetes öffne ich mein Herz und sage: Herr der Welt, lies ab, was hier geschrieben steht!««
Was geschieht hier? Der Rabbi hält innerlich still, wenn jemand ihm seine Not erzählt, nicht verschlossen und distanziert, sondern offen und verwundbar. Eine Spur der Not des anderen wird im Zuhören in sein Herz eingeritzt – und in der Stunde des Gebets hält er vor Gott offen still. Immer wieder sich der Stille aussetzen und sie aushalten, verändert den Menschen. Und wenn in meinem Herzen die Not der andern schmerzt und ich sie in der Stille vor Gott aushalte, geschieht auch da Veränderung. Gott kommt hinein. Der Ritz in meinem Herzen ist eine schmerzhafte Schnittfläche mit der Welt.
Zu dieser Wahrnehmung der Welt gehört für mich auch, was wir in Psalm 94 beten, der im Stundengebet immer wieder vorkommt: »Sollte der nicht hören, der das Ohr gepflanzt hat, sollte der nicht sehen, der das Auge geformt hat?« (Ps 94,9). Offensichtlich mehr noch als das Sehen ist das Hören ein Weg nach innen,