heran, aus sich heraus und über sich hinaus. Bei Kindern können wir das beobachten. Sie verändern sich zusehends, es gibt eine erstaunliche Beschleunigung im Wachstum bei der Geburt und in der Pubertät. Die Folge: Wenn sich der Körper ändert, ändert sich auch der Geist, das Bewusstsein.
Zuletzt ist so ein Schub vor 10.000 Jahren passiert. Zur Zeit der neolithischen Revolution. Die Menschen entwickelten ein Gehirn, das fähig war, einen sozialen Zusammenhalt zu schaffen. Jäger und Sammler ließen sich nieder, wurden sesshaft. Eine neue Epoche brach an.
Heute befindet sich der Mensch wieder an so einer Weggabelung. Links steht das Schild Homo sapiens sapiens: der Mensch, der Bescheid weiß und reif ist, Höheres zu erreichen. Rechts steht das Schild Homo sapiens bestialis, der Mensch, der ein Raubtier bleiben will.
Der eine Weg führt zu einem umfassenden Bewusstsein, möglicherweise zu neuen Fähigkeiten wie einem hochsensiblen Einfühlungsvermögen, das an Telepathie grenzt, kurzum zu einer Zukunft in intelligenter Harmonie.
Der andere Weg führt zu einem neuen Menschen, der zwar alle Voraussetzungen mit sich bringt, gescheiter zu werden, trotzdem aber in eine Steinzeitnatur zurückfällt. Er stellt das Faustrecht über das Recht der Allgemeinheit. Er schwingt die Keule, nicht den Geist.
Wohin der Mensch seinen Weg fortsetzt, ist die große Frage. Ob es in die Brutalität oder in die Humanität hineingeht, das weiß man nicht. Wie auch immer, die Weggabelung ist erreicht. Man könnte sagen, wir stehen am Scheideweg des Schicksals.
Und die Evolutionsbiologen blinzeln: Was wird im 21. Jahrhundert passieren – bevor es zu Ende geht?
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Größer, breiter, gescheiter
Die Geburt des neuen Menschen
Es existiert.
Es geht weiter.
Es, die Evolution.
Wir sehen sie nicht, aber sie ist schon im Gange.
Die Verwandlung des Menschen.
Ein neuer Homo sapiens erscheint am Horizont.
Der neue Mensch.
Er existiert.
Der Mensch, wie er jetzt ist, ist nicht der Endpunkt der Evolution, das dürfen wir als sicher annehmen. Mutter Natur hat noch große Erzählungen vorbereitet und ist drauf und dran, sie auch umzusetzen. Die Evolution bleibt nicht stehen, auch das dürfen wir als sicher annehmen. Sofern wir uns jetzt nicht in die Luft sprengen mit unserem Raumschiff Erde, wird es uns noch eine Zeit lang geben. Die Frage ist nur: in welcher Form, in welcher Gestalt, in welcher Ausführung?
Eine Verwandlung des Menschen ist ein transhumaner Schritt. Mitunter ein großer. So wie einst vom Schimpansen zum Homo sapiens ereignet sich jetzt ein Progress vom Homo sapiens zum Homo sapiens sapiens. Der Übergang zu diesem neuen Menschen ist keine leichtfertige Behauptung, kein überzogener Gedanke, keine Utopie. Es scheinen sich gewisse Symptome abzuzeichnen. Eine ganze Reihe von Indizien.
In den Vereinigten Staaten ist der Transhumanismus im Gegensatz zu Europa schon ein großes Thema. Dort versteht man darunter allerdings, dass man dem Menschen Chips ins Gehirn einsetzt oder künstliche Gelenke einbaut, die mehr Bewegung ermöglichen. Der vorhandene Mensch soll verbessert werden, man strebt ein ausgereifteres Modell an, als wir jetzt haben. Es soll weniger anfällig, länger haltbar und leichter zu reparieren sein. An eine ganz neue Serie wird dabei nicht gedacht. Ein Evolutionssprung ist der Transhumanismus für die Amerikaner nicht. Sie stellen sich nicht vor, dass der Mensch jetzt das gleiche macht, was er vor hunderttausend Jahren mit den Primaten gemacht hat: nämlich, dass er hier aufspringt und dort als eine andere Spezies landet. Dass er sich verwandelt.
Genau das zeichnet sich aber ab. Eine Verwandlung des Menschen. Sie drückt sich zunächst in ganz einfachen Parametern aus, die wir bei uns im Wiener AKH schon seit einem halben Jahrhundert untersuchen. Als Gynäkologe war ich bei diesen Verwandlungsbeobachtungen sozusagen von Geburt an dabei.
Wir haben das Körpergewicht, den Körperumfang, den Schulterumfang, die Körpergröße und den Kopfumfang der Neugeborenen untersucht. Diese anthropomorphen Parameter, wie man sie nennt, haben wir über fünfzig Jahre hinweg an 80.000 Babys evaluiert und dabei hochsignifikant gesehen: Die Kinder werden immer größer.
Sie werden immer dicker, die Schultern werden immer breiter, und der Kopfumfang wird immer größer.
Der Grund, warum wir überhaupt auf die Idee kamen, diese Parameter zu messen, war die Tatsache, dass die Kaiserschnitte immer mehr zunahmen. Wir fragten uns, ob vaginale Geburten irgendwann noch möglich sein würden oder ob wir unsere Kinder nur noch mit Kaiserschnitt holen könnten. Wir fragten uns das nicht, weil wir Gynäkologen nicht auf ewig mitten in der Nacht zu normalen Geburten aufstehen wollten, sondern weil die natürliche Art, auf die Welt zu kommen, immer schwieriger wurde.
Die Gedankenkette lässt sich weiterführen. Größere Babys haben einen größeren Kopf. In einen größeren Kopf passt ein größeres Gehirn.
Steckt in einem größeren Gehirn automatisch mehr Verstand?
Die Möglichkeit besteht. In der Medizin wissen wir, dass selbst noch im Erwachsenenalter bestimmte Hormone wie zum Beispiel das Östrogen für das Volumen bestimmter Teile des Gehirns mitverantwortlich sind. Das heißt, das Östrogen steuert, dass ein gewisses Quantum an Nervenzellen in diesem Areal erhalten bleibt. Das wiederum bedeutet, dass nicht nur das Gehirn als Gesamtgröße, sondern auch die Anzahl der Neurone vermehrt werden können. Wenn mit dem Gehirn die Menge der Neurone wachsen kann, dann könnte es sein, dass wir von Natur aus immer gescheiter werden.
Dass der Mensch immer größer wird, ist an sich keine neue Entwicklung. Im Laufe der Zeit ist er immer gewachsen. Wenn wir in der Geschichte zurückschauen, sehen wir es an den römischen Sarkophagen und noch besser an den Grabstätten der einfachen Menschen, die ohne den Zierrat der Reichen begraben wurden. Ihre Skelette waren klein. Auch wenn wir uns die Betten der Menschen im Mittelalter anschauen, kommt uns zu Bewusstsein, was für Zwerge wir einmal waren. Nehmen wir nur das Bett der Kaiser im Kloster Escorial bei Madrid. Da würde heute, legte man ihn zum Vergleich daneben, selbst ein Dreizehnjähriger nur noch mit Mühe hineinpassen.
Letzten Endes sehen wir es an uns selbst. Als ich in der Schule war, war ich einer der Größten. Wenn ich heute im AKH in den Aufzug einsteige, sind die Studenten alle um einen Kopf größer als ich. Ich schaue gern zu ihnen auf. Und ich bin sicher nicht der Einzige, der sich hin und wieder so klein fühlt.
Das Phänomen lässt sich nicht nur über lange Zeitspannen hinweg beobachten, es hat auch Pendants. Die gleiche Entwicklungsbeschleunigung zeigt sich in der Pubertät. Bei Jugendlichen ist sie ein körpereigenes Merkmal. Manche scheinen von einem Tag auf den anderen über sich hinauszuwachsen.
Etwas in der Art beobachtete auch ein gewisser James Flynn in den 1950ern, die Welt am Sonntag berichtete darüber. In der High School hatte er Basketball gespielt und viele Matches gewonnen. Als er fünf Jahre später gegen eine High-School-Mannschaft antrat, überragten ihn baumlange Jünglinge, gegen die er und seine Kollegen keine Chance mehr hatten. Sie waren nicht nur größer, sondern auch um einiges schneller als er, konnten mit der linken genauso gut werfen wie mit der rechten Hand und hatten auch sonst Tricks drauf, mit denen sie die Älteren austricksten.
Dreißig Jahre später fiel Flynn, mittlerweile Professor für Politikwissenschaften in Neuseeland, auf, dass in einigen Ländern die IQ-Werte stetig anstiegen. Er erinnerte sich an seine Basketballzeit und wurde neugierig. Ebenso, dachte er, müsste es doch mit der Intelligenz sein. Die Kollegenschaft war skeptisch, weil Zwillingsstudien längst ergeben hatten, dass Intelligenz zu siebzig Prozent vererbt wird. Der IQ, müsse also über die Generationen hinweg stabil bleiben. Der Flynn-Effekt galt lange Zeit als statistischer Fehler.
2015 bekam James Flynn dann doch Recht. Es waren Forscher der Universität Wien, die erstmals einen weltweiten Anstieg des IQ im 20. Jahrhundert nachwiesen, und der Unterschied war durchaus nennenswert. Der Gesamt-IQ liegt dreißig Punkte höher als 1909. Die Welt