Roland Lange

Harzhunde


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Saloon zu betreiben, war verlockend und gleichzeitig seine Rettung gewesen. Seine Bedingung, fernab der Kundschaft im Verborgenen zu arbeiten, hatte Katja nur zu gern akzeptiert und die ungeliebte Verwaltungsarbeit auf ihn abgeschoben. Was er darüber hinaus in der Baracke trieb, wollte sie gar nicht so genau wissen.

      Im hinteren der beiden Zimmer, dem offiziell als Abstellraum deklarierten, kauerte Blume vor seinem Computer und betrachtete die Fotos, die er geschossen hatte. Eins nach dem anderen sicherte er sie in einem Ordner. Dann schloss er das Bildbearbeitungsprogramm und schob einen USB-Stick in die dafür vorgesehene Buchse. Er startete den Kopiervorgang. Mit einem leisen Pfeifton blies er die Luft aus, starrte auf den Balken, der den Fortschritt des Vorgangs signalisierte. Heute konnte er seinem Klienten endlich die Ergebnisse seiner Recherche präsentieren. Der Mann war nach seiner Geschäftsreise wieder zu Hause und hatte ihn um ein Treffen gebeten.

      Als die Übertragung beendet war, zog Blume den Stick heraus und schaltete den Computer ab. Sein Auftraggeber würde zufrieden sein – mit ihm und seiner Arbeit. Nicht mit dem Ergebnis der Observation. Die bestätigte eindeutig den lang gehegten Verdacht des Mannes: Seine Ehefrau ging fremd.

      Blume hatte zuletzt noch einmal rund zwei Stunden auf seinem Beobachtungsposten verbracht und fotografiert. Eine lückenlose Dokumentation des Liebesspiels. Die Frau und ihr Liebhaber hatten sich nicht die Mühe gemacht, die Fenster der Hütte abzudunkeln. Sie mussten sich in der Abgeschiedenheit des Waldes vollkommen sicher gefühlt haben. Blume hatte die Überwachung vorzeitig abgebrochen, ohne zu wissen, wie die Nacht der beiden Liebenden zu Ende gegangen war. Er hatte die Beweise, die er brauchte, alles andere konnte ihm egal sein.

      Ohnehin interessierte es Blume nicht, wie es die Leute mit der Treue hielten. Er war kein Moralapostel. Wenn es zahlungskräftige Auftraggeber oder Auftraggeberinnen gab, die ihren jeweiligen Ehepartner des Seitensprungs überführen wollten, dann half er ihnen eben. Erledigte distanziert und emotionslos seinen Job. Immer wieder mal tauchten solche und Kunden mit anderen Observierungswünschen bei ihm auf. Sie gaben sich nicht die Klinke in die Hand, was einerseits an seinen Stundensätzen lag, die sich nur wenige leisten konnten oder wollten. Andererseits blieb sein Auftragsaufkommen auch deshalb gering, weil er als Privatermittler einzig einem handverlesenen, vertrauenswürdigen Publikum die Tür öffnete. Seine Adresse wurde, wenn überhaupt, nur mit seiner Zustimmung und hinter vorgehaltener Hand weitergegeben. In keinem Verzeichnis, ob gedruckt oder digital, fand man einen Hinweis auf seine kleine Nebenerwerbsdetektei. Für die Behörden war er ein relativ unbeschriebenes Blatt, ein Mann, der als Büroangestellter für Katja Ortlepp und ihren Ponytale Saloon arbeitete, mit Sozialversicherungsnummer, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Auf das Gehalt, das er monatlich von ihr überwiesen bekam, zahlte er Steuern und Beiträge. So, wie es sich gehörte.

      Das Geld aus seinen Schnüfflertätigkeiten blieb im Verborgenen, tauchte nirgends als Transaktion in digitaler oder Papierform auf. Nur er selbst, Katja und seine jeweiligen Klienten wussten davon. Blume genoss dieses lukrative Zubrot. Die größere Befriedigung verschaffte ihm aber die gelegentliche Abwechslung von seiner stupiden Büroarbeit. Der Außendienst, wie er das Beschatten verharmlosend nannte.

      Alles in allem achtete er darauf, dass er in der Öffentlichkeit, so gut es ging, unsichtbar blieb. Wie er es immer gehalten hatte seit jener unseligen Flucht auf die Philippinen vor ein paar Jahrzehnten und seiner späteren Rückkehr.

      Noch immer fürchtete er die Schatten der Vergangenheit. Die Angst quälte ihn zwar längst nicht mehr so wie in seinen Jahren in Hannover. Vorbei waren die Nächte, als er regelmäßig aus dem Schlaf hochgeschreckt war und geglaubt hatte, seine Jäger stünden im Zimmer und würden ihn im nächsten Augenblick liquidieren. Auch wenn er jetzt ruhig und traumlos schlief, tagsüber begleitete ihn immer noch der Gedanke, er könne enttarnt werden. Die Sorge ließ ihn nicht los, jemand würde seine wahre Identität eines Tages aufdecken. Ungeachtet der starren Mimik, die er der unprofessionellen Arbeit eines Kurpfuschers verdankte, und trotz des Vollbarts, mit dem er dieses Maskenhafte in seinem Gesicht zu kaschieren versuchte.

      Blume steckte sich den USB-Stick in die Hosentasche und verließ das Büro. Zum Hintereingang des Saloons waren es nur ein paar Meter quer über die gepflasterte Hoffläche, die von den beiden rechtwinklig zueinander stehenden Gebäuden und dem Doppel-Carport am gegenüberliegenden Ende begrenzt wurde. Er warf einen schnellen Blick auf die beiden Abfallcontainer neben der Tür zum Saloon und rümpfte die Nase. Es roch heute wieder ausgesprochen streng. Die frühherbstliche Sonne, die seit Stunden die Container beschien, hatte dafür gesorgt, dass sich im Inneren der Behälter stinkende Gase entwickeln konnten.

      Er trat durch die Tür und huschte den schmalen Gang entlang, vorbei an den Toiletten, den zwei Wirtschaftsräumen und dem Zugang zur Küche. An der brusthohen Schwingtür mit ihren beiden Flügeln blieb er stehen und lugte in den Gastraum mit seinen Blockhaus-Wänden aus wuchtigen Rundhölzern und der rustikalen Einrichtung im Wild-West-Ambiente. Er hielt nach Katja Ausschau, suchte sie hinter dem Tresen, der sich in weitem Bogen durch den Raum zog und das Bild des Saloons dominierte.

      Seine Augen blieben an einem Mann hängen, der an der Theke stand und mit dem Barkeeper sprach. Ein ganz normaler Gast auf den ersten Blick. Um die fünfzig Jahre, kantiges, faltiges Gesicht, ein wenig blass. Die dunkelblonden, kräftigen Haare waren streichholzlang, mit einer leichten, vermutlich mit Festiger erzwungenen Neigung nach links. An der rechten Kopfseite war ein Scheitel angedeutet. Ein paar Strähnen hatten sich widersetzt und standen wie Stacheln seitlich vom Kopf ab. Die schmalen Koteletten reichten ihm hinunter bis zum Kinnansatz. Der Mann trug verwaschene Jeans und derbe Lederboots. Das karierte Holzfällerhemd hing ihm locker über der Hose. Er schien bestens in das Saloon-Milieu zu passen, machte einen auf Outdoor-Freak. Aber das war er nicht. Allem Augenschein zum Trotz wirkte er eine Spur zu gepflegt, eher der Stadtmensch. Darüber konnte seine Aufmachung nicht hinwegtäuschen. Auch sonst benahm sich der Mann merkwürdig. Vermutlich fielen die kleinen Unstimmigkeiten keinem der anderen Gäste oder dem Personal auf. Blumes geschulten Augen hingegen entgingen weder der aufmerksam beobachtende Blick des Mannes noch dessen kontrollierte Bewegungen – wie ein Raubtier auf Beutezug.

      Blume spürte die alte Angst, die ihm im Nacken hochkroch. Seine Muskeln spannten sich. Reiß dich zusammen, ermahnte er sich stumm, du siehst Gespenster. Der Kerl ist ein normaler Gast! Nicht wieder deine Scheiß-­Paranoia. Hör auf damit! Er hatte Mühe, seine Augen von dem Mann loszureißen. Dann entdeckte er Katja, nahm Sichtkontakt auf. Sie kam zu ihm herüber.

      „Was ist los, Blume?“, fragte sie ihn und grinste herausfordernd. „Schon Feierabend? So gut möchte ich es auch mal haben.“

      Er ging nicht auf ihre Sticheleien ein. Mit einer Bewegung seines Kopfes deutete er zum Tresen hin. „Kennst du den?“

      „Wen?“ Katja wandte sich um, ließ ihren Blick durch den Raum wandern.

      „Den Kerl da an der Theke. Der einen auf Holzfäller macht und deinen Barkeeper von der Arbeit abhält.“

      „Ach der.“ Katja schüttelte den Kopf. „Nee, nie vorher gesehen. Ist das erste Mal hier. Warum? Was ist mit dem?“

      „Gar nichts“, entgegnete Blume. „Ich dachte nur ...“ Er zögerte.

      „Ja?“ Sie runzelte die Stirn, sah ihn skeptisch an.

      „Vergiss es“, antwortete er und winkte ab. „Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich zu meinem Klienten fahre und ihm die Rechercheergebnisse mitteile.“

      Katja zog die Augenbrauen hoch. „Kullmann? Die Seitensprunggeschichte?“, fragte sie mit leiser Stimme.

      „Genau die.“

      Katja kannte seinen Auftraggeber, sie hatte ihm den Mann sogar vermittelt. Kullmann hatte ihr seinerzeit bei der Umstrukturierung des Ponytale Saloons beratend zur Seite gestanden, hatte für sie ein tragfähiges Geschäftskonzept entwickelt.

      „Ist der Mann wieder zurück?“

      „Gestern Abend, sagt er. Er hat mich vorhin angerufen, will sich mit mir treffen. Ich bringe ihm die Fotos und die Schlussrechnung. Und ab morgen kümmere ich mich wieder um deine Bilanzen.“

      „Wird auch höchste Zeit“, erwiderte