Andreas Kagermeier

Tourismus in Wirtschaft, Gesellschaft, Raum und Umwelt


Скачать книгу

(z. B. in Musical-Theater) wird auf die Überlegungen zu den Einzugsbereichen und der Mitbewerberanalyse zurückgegriffen.

      Polarization Reversal Ansatz von Richardson

      Das Konzept des Polarization ReversalPolarization Reversal Ansatz von RICHARDSON (1980) versucht regionale Wachstumstheorien und Polarisationstheoretische Ansätze zu verknüpfen. Ursprünglich am Beispiel der sog. Entwicklungsländer formuliert, geht die grundsätzliche Beobachtung davon aus, dass zu Beginn eines Entwicklungszyklus zunächst Konzentrationsprozesse stattfinden mit der räumlichen Konzentration auf wenige Standorte. Erst wenn Agglomerationsnachteile (z. B. durch eine zu große Nachfrage in Destinationen) auftreten, werden zentrifugale Kräfte wirksam und bislang periphere Standorte von der Entwicklungsdynamik erfasst, bis sich am Ende ein ausgeglichenes Raumgefüge einstellt (vgl. Abb. 129 in Kap. 7.3).

      Die Zielsetzung von RICHARDSON war, aufzuzeigen, dass dieser Prozess des Ausgleichs von Polaritäten durch gezieltes staatliches Handeln beeinflusst werden kann. Damit wurde er zu einem der wichtigen Ansätze für den staatlichen Anspruch des Ausgleichs von Disparitäten und der Entwicklung von peripheren Räumen. Mangels anderer ökonomischer Potentiale wird für periphere ländliche Räume oftmals die touristische Inwertsetzung als Option zur Stimulierung der Regionalökonomie angesehen.

      Das Grundprinzip der Entwicklung peripherer Regionen durch touristische Investitionen wurde vom VORLAUFER 1996 veranschaulicht (vgl. Abb. 6). In der Anfangsphase (gedacht als erste Hotelinvestition) kommt der Großteil der benötigten Ressourcen für den Bau und Betrieb (von den Lebensmitteln bis hin zu Klimaanlagen und deren Wartung) von außerhalb der Destination (je nach nationalem Entwicklungsstand auch von außerhalb des Landes). Die zunehmende Nachfrage (gedacht als Ausbau der Hotelkapazitäten) führt dazu, dass sich nach und nach Zulieferbetriebe – zunächst für einfachere Leistungen, wie z. B. Lebensmittel und sukzessive auch für höherwertige Bedarfe – in der Destination ansiedeln. In der Folge entsteht eine eigenständige, sich selbst tragende wirtschaftliche Entwicklung von ehemaligen PeripherregionenPeripherregion.

      Abb. 6:

      Schema der Ausbildung von Linkage-EffektenLinkage Effekte bei der touristischen Erschließung von Peripherregionen (Quelle: eigene Darstellung nach VORLAUFER 1996, S. 166)

      Auch wenn es sich hier um ein idealtypisches Schema für den Entwicklungsländertourismus handelt (genauer in Kap. 7.3) das in der Realität auch von weiteren Rahmenbedingungen abhängt, folgen diesen Grundüberlegungen auch viele Ansätze zur Förderung des Tourismus im ländlichen RaumTourismus im ländlichen Raum der Industriestaaten (vgl. z. B. REIN & SCHULER 2012).

      Destinationslebenszyklusmodell von Butler

      Der britische Tourismusgeograph Richard BUTLER übertrug 1980 ein vorher im Bereich der Industriegüter verwendetes Modell zum Produkt-Lebenszyklus auf die Entwicklung von Destinationen. Ausgangshypothese ist hierbei, dass touristische Regionen – ähnlich wie Industrieprodukte auch – einem regelhaft verlaufenden Innovations-Reife-Niedergang-Zyklus unterliegen. Dabei werden folgende Stufen unterschieden (vgl. auch Abb. 7).

      Abb. 7:

      Grundprinzip des Destinationslebenszyklus (Quelle: eigene Darstellung nach BUTLER 1980)

      1 ErkundungErkundung: In einer ersten Phase wird eine Region nur von einer geringen Zahl von Touristen besucht, die eine Art Pionierfunktion übernehmen und das Gebiet wegen bestimmter Anziehungspunkte aufsuchen. In dieser ersten Phase verfügt das Zielgebiet nur über eine unzureichende, lediglich gering ausgebildete touristische Infrastruktur.

      2 ErschließungErschließung: In einer zweiten Phase werden (oftmals motiviert durch die bereits vorhandene Nachfrage) mit der systematischen Schaffung touristischer Infrastruktur die Rahmenbedingungen für die weitere Entwicklung verbessert.

      3 EntwicklungEntwicklung: Vergleichbar einer Phase des Take Off, setzt nun eine boomartige Entwicklung ein, die auch von einem verstärkten Engagement externer Investoren gekennzeichnet sein kann. Dabei machen sich gelegentlich auch Anzeichen einer Übernutzung der Ressourcen bemerkbar.

      4 KonsolidierungKonsolidierung: Geringer werdende Zuwachsraten, d. h. eine rückläufige Entwicklungsdynamik und wenig neue Impulse, kennzeichnen die Konsolidierung.

      5 StagnationStagnation: Sind trotz kleinerer Oszillationen der Nachfrage keine generellen Zuwächse mehr zu verzeichnen, ist die Tourismusregion in die Phase der Stagnation eingetreten. Häufig treten ökologische und soziale Probleme der touristischen Inwertsetzung jetzt stärker in den Vordergrund.

      6 ErneuerungErneuerung oder NiedergangNiedergang: Während die Phasen 1 bis 5 empirisch an einer Reihe von Fallbeispielen nachvollzogen werden können, ist bislang noch relativ unklar, welche weitere Entwicklung touristisch intensiv erschlossene Regionen nunmehr nehmen können. Abgesehen von der prinzipiell denkbaren Stagnation auf hohem Niveau, ist eine weitere mögliche Option die Annahme eines Niedergangs und damit des Endes eines Entwicklungszyklus. Als weiteres Szenario sind aber auch die Antizipation des Niedergangs und ein aktives Gegensteuern hin zu einer Erneuerung (Rejuvenation), d. h. dem Einstieg in einen neuen Produkt-Lebenszyklus ohne vorherigen Niedergang, denkbar.

      Der wirtschaftliche Ertrag nimmt idealtypisch von Phase 1 bis 4 kontinuierlich zu und bleibt auch in der Phase der Stagnation und sogar des Niedergangs noch auf hohem Niveau. Angesichts einer zufriedenstellenden Ertragslage werden Diversifizierungsanstrengungen zur Einleitung einer Produkterneuerung oftmals erst sehr spät (möglicherweise zu spät) eingeleitet.

      Das DestinationslebenszyklusmodellDestinationslebenszyklusmodell von BUTLER hat gleichzeitig auch die Überlegungen zur Tragfähigkeit von Destinationen befördert. Wenn die (natürlichen) Grundlagen bzw. die Tragfähigkeit einer Destination als Y-Achse gedacht werden, kann anhand dieser Überlegungen – um zu vermeiden, dass durch ein Überschreiten der Tragfähigkeitsgrenze bzw. eine Übernutzung der Ressourcen eine Degradation (= Niedergang) ausgelöst wird – auch die Entwicklung entsprechend gesteuert werden.

      Gleichzeitig wird die Position eines Produkts oder einer Destination im Lebenszyklus auch als relevante Basis für die Stimulierung von Innovationen zum Antizipieren von Stagnation oder dem Relaunch als Analysemodell eingesetzt (vgl. hierzu auch das Portfoliomodell in Kap 3.2.2).

      Abb. 8:

      Entwicklung der Zahl der Multiplexkinos in Deutschland von 1990 bis 2005 (Quelle: eigene Darstellung nach FFA div. Jg.)

      Fast idealtypisch dem LebenszyklusmodellLebenszyklusmodell folgt die Entwicklung der MultiplexkinosMultiplexkinos in den 1990er Jahren (vgl. Abb. 8). Nachdem 1990 vom amerikanischen Kinokonzern UCI in Hürth bei Köln das erste Multiplexkino Deutschlands eröffnet worden war, ist die zweite Hälfte der 1990er Jahre von einem regelrechten Boom gekennzeichnet, bei dem knapp 150 Multiplexkinos eröffnet worden sind. Bereits nach fünf Boomjahren ist allerdings seit 2000 eine deutliche Marktsättigung zu erkennen, sodass die Zahl der Multiplexe bis heute auf diesem Niveau stagniert (genauer bei FREITAG & KAGERMEIER 2002).

      Grenzen des Modells des Destinationslebenszyklus liegen – wie am Beispiel der Multiplexkinos deutlich wird – darin, dass sich in der Anfangsphase weder die Höhe der, sich in der Reifephase einstellenden Nachfrage noch die Zeitspanne ableiten lassen. Ob ein Produkt in einer Destination nur einen kurzen touristischen Hype erfährt und dann nach kurzer Zeit wieder verschwindet, lässt sich mit diesem simplen Modell nicht prognostizieren. Hierzu sind differenzierte Ansätze, auch unter Einbeziehung von nachfrageseitigen Aspekten notwendig, wie sie im nächsten Abschnitt behandelt werden.

      1.2.2.2 Nachfragebezogene Konzepte

      Entsprechend dem Blickwinkel der Tourismusgeographie sowohl auf die Angebotsseite und deren räumliche Aspekte als auch die, mit den Angeboten im Wechselspiel stehende Nachfrageseite ist dieser Abschnitt