Nils Petrat

Eine Sache des Vertrauens


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sagen manche: „Das ist ja ganz nett, dass du dich mit solchen Dingen beschäftigst. Für mich ist das nix. Ich komme gut ohne Gott klar.“

      Der Religionssoziologe Tomáš Halík nennt solche Personen „Apatheisten“. Menschen, die der Religion gegenüber apathisch, gleichgültig sind – und zwar nicht hinsichtlich religiöser Antworten, sondern auch den Fragen, die der Glaube stellt. Ein Apatheist lasse sich nicht vom Glauben und von den Überlegungen zum Thema Religion behelligen, er verliere nicht einmal Zeit damit, gegen den Glauben zu polemisieren.14

      In meinem Bild vom Date hieße das: Der Dating-Partner sitzt da, aber es besteht keinerlei Interesse, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Warum? Vielleicht weil das eigene Leben bestimmt ist von vielen anderen, noch viel spannenderen Dates. Oder, um das Bild weiter zuzuspitzen: Es verhält sich wie beim „Speeddating“, wo der beste Partner (Gott) eigentlich schon vor einem sitzt, aber der Blick zu den anderen verführerisch schauenden „Göttern/Götzen“ an den Nebentischen abschweift.

      Vielleicht hängt dieser Apatheismus auch mit der zu Beginn des Kapitels genannten grundsätzlichen Blockade zusammen, nämlich eine persönliche Gottesbeziehung gar nicht für möglich zu halten. Denn wo es um nichts Persönliches geht, ist es auch nicht spannend und es besteht kein Interesse.

      Fassen wir zusammen: Es gibt eine Reihe von sehr unterschiedlichen Gründen, skeptisch gegenüber einem Date mit Gott zu sein oder gar ganz die Finger davon zu lassen. Gott begegnen zu wollen, darin sehen viele alles andere als eine Notwendigkeit, eher eine Option oder eben auch ein Potenzial.

      Um Letzteres soll es im Folgenden gehen. Denn Gott konkret zu begegnen, birgt viel Potenzial für den eigenen Glaubensweg und wirkt sich stark auf die Lebensweise aus. Meist beginnt alles damit, eine Sehnsucht wahrzunehmen, die einen treibt. Oder man hat so eine Ahnung, dass da doch „mehr“ sein muss im Leben. Es herrscht in einem selbst eine innere Unruhe, die letztlich unerklärlich ist. Ob all das dann die Kraft hat, alle Hindernisse abzubauen, die Begegnung mit Gott zu suchen, bleibt zunächst offen. Aber vielleicht kann ich im Folgenden neue Sichtweisen erschließen – Perspektiven, die helfen wollen.

      4. Da ist so eine Ahnung

      Auch wenn es vieles gibt, das Menschen hindert, Gott zu suchen und sich auf ihn einzulassen – die Frage nach Gott oder dem Sinn des Ganzen, was wir erleben, verstummt nie ganz. Sie bleibt oftmals eine nicht erklärbare Sehnsucht, das Gefühl eines unruhigen Herzens, ein das Leben begleitendes „Hintergrundrauschen“. Warum sind wir hin und wieder so angerührt von der Schönheit der Natur? Gibt es da etwas, das in leisen Momenten zu uns spricht? Etwas, das bei uns anklopft? Irgendeine Art Ahnung? – Vielleicht genauso, wie der Kirchenvater Augustinus sie unnachahmlich formulierte: „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir, o Gott.“ – Die Suche nach Gott beginnt eben mit einer Art Gespür, einer Ahnung, letztlich einer Sehnsucht.

      Für mich gibt es so etwas wie ein „Gottesgespür“. Mir wurde das als Jugendlicher mit 15 oder 16 erstmals deutlich. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, sind für mich die nächtlichen Gespräche mit zwei, drei engen Freunden im Ruhrgebiet, nach Partys oder Feiern, sehr markant. Mitten in der Nacht, über uns der Sternenhimmel, waren wir unterwegs nach Hause und unterhielten uns über Fragestellungen wie diese: Unser Leben ist so großartig, wird das irgendwann einfach alles aus und vorbei sein? Oder bleibt dann so ein Gefühl wie jetzt in dieser Nacht? Könnte es so sogar dauerhaft sein nach dem Tod? Und wie ist das eigentlich: Gibt es einen Gott? Kann man den erfahren?

      Das sanfte Wehen und Wirken Gottes zu erahnen, ist für viele der Anfang ihres Weges mit Gott

      So etwas meine ich mit Ahnungen und Gottesgespür. Gab es schon Momente bei dir, wo davon etwas aufblitzte? Vielleicht sind die schon länger her, aber schlummern dennoch in dir.

      Das Setting „Nächtliche Glaubens- und Sehnsuchtsgespräche mit Freunden“ hat sich jedenfalls bei mir auch später weiter fortgesetzt: im Studium, in römischen Nächten während meiner Auslandssemester, als Vikar, als Pastor in Paderborn und auch zuletzt wieder in der Corona-Zeit.

      Die Ahnung dahinter lässt sich vielleicht so zusammenfassen: Es muss doch „mehr“ geben als nur das Vordergründige, die Oberfläche, das schnell Vorbeiziehende. Und das muss etwas Kraftvolles sein. Etwas Geheimnisvolles. Etwas, das dem Leben Kraft und Schwung verleiht.

      Vor Kurzem bin ich auf ein Zitat von Paul Claudel gestoßen: „In mir lebt etwas, das mehr ist als ich selbst.“ Das bringt es auf den Punkt. Also, es beginnt mit einer Ahnung und dieser zu trauen. Unser Herz ist da wohl schon einen Schritt weiter – und dann geht die konkrete Suche los.

       Gottes Hauch

      Die Begegnung mit dem Geheimnis Gott muss nicht immer das große Brausen sein, ein lauter Donnerschall und etwas Spektakuläres. Sie kann überraschend anders sein: unscheinbarer, leiser, sanfter. Die berührendste Episode in der Bibel, die uns genau darauf aufmerksam macht, ist die Gottesbegegnung des Propheten Elija im Alten Testament am Berg Horeb (1. Könige 19,1–13). Der verängstigte und des Lebens müde Elija erfährt in seiner desolaten Situation die Gegenwart und Nähe Gottes – das „Vorüberziehen Gottes“, wie die Bibel sagt. Und die Überraschung, die er erlebt, ist: Gott ist weder im Sturm noch im Erdbeben, geschweige denn im Feuer. Er begegnet ihm in einem „sanften, leisen Säuseln“. Elija erfährt einen Hauch Gottes, er wird von Gott sanft berührt und gewinnt dadurch neue Lebenskraft und Perspektive.

      Dieses sanfte Wehen und Wirken Gottes zu erahnen, ist für viele der Anfang ihres Weges mit Gott. Dazu gehören die Bereitschaft und Sensibilität, das persönliche Erleben und Erfahren als wichtigen Ort der Begegnung mit dem Heiligen zu betrachten. Wann gerate ich ins Staunen? Wann empfinde ich tiefen Frieden und innere Ruhe? Wo begegnen mir unverfälschte Liebe und Zuneigung? Wo rühre ich an ein Geheimnis, das größer ist als ich selbst? In welchen Situationen kann ich Kontrolle abgeben und einfach „ganz da“ sein? In all diesen Dimensionen kann ich dem Heiligen begegnen und von Gott berührt werden.

      Wir dürfen und können wieder neu „geheimnisfähig“ werden. Das heißt, wir dürfen damit rechnen, dass es noch ganz andere Antworten gibt, als wir sie uns selbst ausmalen und zurechtdenken können. Wir dürfen darauf bestehen, dass eine Antwort des Glaubens nicht kleiner sein darf als die Sehnsucht und der Durst, den wir in uns tragen. Anders formuliert: Ich will auf einen Glauben setzen, der Gott Gott sein lässt. Einen Gott suchen, den man nicht einfach so besitzen kann. Ich spüre, da zeigt sich eine Wirklichkeit, die ich nicht wirklich ergreifen oder gar begreifen kann, sondern eine, die mich ergreift und umgibt; über die kann ich nicht verfügen wie über sonstige Dinge des Denkens und Lebens.

      Von Elija wird berichtet, dass er als Reaktion auf die Erfahrung des Hauches Gottes sein Gesicht in den Mantel hüllt, sich so sinnbildlich von Gott umgeben lässt. Und er richtet sich auf, verlässt die Höhle, in die er sich verkrochen hat, und stellt sich an den Eingang der Höhle. Er ist bereit für einen neuen Aufbruch (1. Könige 19,13).

       Dem Heiligen begegnen

      Wie fühlt sich eine Begegnung mit dem Heiligen also an? Ich habe schon kurz von meinen nächtlichen Glaubens- und Sehnsuchtsgesprächen erzählt, die für mich in die ersten inneren Begegnungen mit dem Heiligen, Geheimnisvollen, eben mit Gott führten. Das Gefühl, dass es noch „mehr“ geben müsse, war dabei entscheidend.

      Als Seelsorger durfte ich mittlerweile mit vielen sehr unterschiedlichen Menschen tiefgründige Gespräche über ihre Gottessuche wie auch ihre Gotteserfahrungen führen. Einiges möchte ich hier andeuten und mitteilen:

      Bei vielen Menschen stehen am Anfang ihres Weges mit Gott Erfahrungen, die eine Sehnsucht in ihnen wecken. Momente des Lebens, in denen sich eine bis dahin unbekannte innere Weite und Freiheit auftaten. Es geht dabei um das innere Fühlen und Spüren einer anderen, geheimnisvollen Gegenwart. Einige werden davon bei einer Auszeit oder einem Schweigewochenende im Kloster ergriffen, andere bei einer Wanderung in den Bergen und wieder andere in einem Gespräch mit einem