Giovanni Mongiovì

Der Himmel Von Nadira


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starrte sie so lange an, wie sie gedemütigt ihre eigenen Sachen zusammensammelten und das Haus verließen. Salims Lächeln verschwand jedoch nie aus seinem Gesicht; nervös schien er seine Verlegenheit verbergen zu wollen.

      Dann, als er die Tür erreicht hatte, sagte er:

      „Höre meine Warnung, Umar: Du hast Nadira dem Qā’id versprochen, und direkt vor dem Qā’id und vor seinen Gästen wird sie ohne Scham tanzen!“ Und er ging hin und verschwand zusammen mit den beiden anderen in der Dunkelheit der Nacht.

      “Wer war der Mann, den du da verärgert hast?” fragte Jala fast in Panik.

      “Er war derjenige, der ich nicht werden will!” sagte Umar knapp, zog sich in sein Zimmer zurück und lud die anderen ein, dasselbe zu tun.

      Kapitel 7

      Winter 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna

      Als Idris schließlich das ṣalāt des Sonnenuntergangs beendete, konnte er sehen, dass Apollonia, entgegen dem Verbot, ihren Bruder umarmte. Ohne dass das Mädchen es bemerkt hatte, zog er plötzlich an ihrem Schleier, entblößte ihr Haar, und zog sie dann am losen Haar auf dem Boden zurück, während sie sich mit ihren Beinen wehrte. Idris hatte genug von ihrer Anwesenheit, die seine bereits unangenehme Aufgabe noch verschlimmerte und deshalb wollte er ihr ein für alle Mal eine Lektion erteilen und entschied, dass er sie mit dem Seil in der Art und Weise schlagen würde, wie er es am Tag zuvor mit Corrado getan hatte. Er schlug blind auf sie ein, wobei er vor allem auf ihr Gesicht zielte. Apollonia versuchte sich zunächst schreiend mit ihren Armen zu schützen.

      Weiter weg zitterte Corrado, öffnete leicht seine Augen, um sie wieder vor Fieberschmerz zusammen zu kneifen. Plötzlich sah er das Bild eines Mannes… ein erwachsener Mann, der von Kopf bis Fuß an einem Fahnenmast gefesselt war. Dieser Mann schrie jedoch nicht bei den Schlägen, die sein Folterer ihm verpasste, sondern er ertrug sie stolz mit geballten Fäusten.

      “Roul, was tun sie diesem Mann an?” fragte Corrado niemandem.

      Die Szene, die sich vor seinen Augen abspielte, wurde durch ein Kindheitstrauma wieder erweckt. Doch wenn Corrado bei Bewusstsein gewesen wäre, hätte er sicherlich versucht, den Pfahl, an dem er gefesselt war, auszureißen, um es demjenigen heimzuzahlen, der sich im Moment an seiner Schwester ausließ.

      Zufällig war es Umar, der ihm Einhalt gebot, gerade in dem Moment, in dem dieser auf die Terrasse gehen wollte.

      Apollonia, die jetzt die Erlaubnis hatte, sich in einer Ecke aufzuhalten, kauerte sich mit den Schultern zur Wand und weinte ihre Tränen zwischen ihre Knie.

      Als Umar die Zeit für die Freilassung des Gefangenen festsetzte, weinte Apollonia noch lauter und fühlte Erleichterung für etwas, das anscheinend kein Ende mehr finden wollte.

      Später übernahm Idris die Pferde der drei Gäste und führte sie in die Stallungen zum Haus.

      “Ich will nicht bereuen, dass ich aufgehört habe, als Umar mich vorhin darum gebeten hat,” warnte die Wache und starrte Apollonia an.

      Das Mädchen konnte nicht riskieren, ein weiteres Mal gegen das Verbot zu verstoßen. Nicht aus Angst, ein weiteres Mal geschlagen zu werden, sondern aus Angst, dass es gezwungen wäre, nach Hause zurückzukehren.

      “Bruder, Bruder! Ich bin hier, ich werde nicht gehen.”

      Dann näherte sie sich doch noch ein wenig und zog sich mit Beinen und Händen auf dem Boden lang; immerhin war sie noch mindestens vier Schritte entfernt.

      “Corrado, mein Atem und mein Leben, du musst nur noch ein wenig ausharren. Bruder, antworte mit, lass mich sehen, dass deine Seele noch immer in deiner Brust schlägt.”

      Dann näherte sie sich einen halben Schritt weiter und sagte:

      “Ich weiß, dass deine Eifersucht auf mich die eines Bruders für eine Schwester ist… aber dasselbe kann ich nicht über meine Hingabe für dich sagen…”

      Obwohl der Geist des anderen vernebelt und sein Verständnis der Dinge fast nicht existent war, war es schwer für Apollonia, zu sagen, was sie seit Jahren im Herzen verborgen hielt. Jenes Gefühl, für das sie sich vor der Ikone der Jungfrau immer wieder schämte.

      “Beurteile mich nicht als treue Schwester, denn für Michele hätte ich vielleicht nicht dieses Opfer gebracht und wäre hier geblieben… beurteile diese Taten überhaupt nicht, Corrado, denn was du entdecken würdest, könnte dich von mir entfernen… und für mich wäre das schlimmer als dich sterben zu sehen.”

      Als Idris in den Hof zurückkehrte, hörte sie auf zu gestehen, da es dazu geführt hätte, dass sie aus dem Dorf verbannt worden wäre. Dies wäre eine noch größere Schande gewesen, als die eine Christin zu sein.

      Bei absoluter Dunkelheit rief der Muezzin zum adhān der Nacht. Idris setzte sich daraufhin auf die Mauer, weit genug entfernt, um das Mädchen nicht zu hören, aber nahe genug, um einzugreifen, wenn sie sich wie zuvor näherte.

      “Noch ein paar Stunden und dann bringe ich dich nach Hause.” sagte Apollonia lächelnd.

      Dann wurde sie wieder ernst, als sie bemerkte, dass sie ihre Zehen nicht mehr fühlte und als sie sich die noch schlimmere Wirkung vorstellte, die diese Kälte bei ihrem Bruder auslösen könnte. Sie fing an vor Kälte zu zittern und versuchte sich die Hände zu wärmen, indem sie in die Fäuste atmete.

      “Mädchen, geh nach Hause! Siehst du nicht, dass du zitterst?” ermutigte Idris sie, als er Ihren Zustand sah.

      “Ich werde nicht gehen… es dauert ja nicht mehr lange.” antwortete sie mehr an Corrado gerichtet.

      Ihre Haselnussaugen schauten nach oben, auf das Gesicht ihres Bruders, während die Tränen gerade so unter den Augenlidern hervortraten, da sie wegen der fehlenden Neigung nicht herunterlaufen konnten.

      “Wie sehr es dir jetzt nützen würde, wenn du etwas an Gott glauben würdest…”, fragte sich Apollonia in Bezug auf Corrado, da sie seine Apathie in religiösen Fragen kannte.

      “Ich weiß, mein Bruder, dass du nicht daran glauben willst, dass es einen Gott gibt, der fähig ist, alles Böse zu erlauben, das dir zugestoßen ist. Ich weiß, dass Christus und alle Heiligen dich schon einmal enttäuscht haben, als deine Gebete nicht erhört wurden, während du auf die Rückkehr deines Vaters hofftest.»

      „Rabel de Rougeville.” murmelte Corrado.

      Apollonia verstummte plötzlich; ihr Bruder war immer noch bei Bewusstsein. Wenn er nun ihre Liebeserklärung vor Kurzem gehört hatte…?

      “Corrado, Bruder, du bist am Leben!”

      “Rabel de Rougeville!” wiederholte er etwas lauter und in einem Atemzug, fast weinend und fast schreiend.

      “Erinnere dich an den Heiligen, der deinen Vater beschützt, wende dich an ihn!” lud ihn Apollonia ein, um ihn wach und beschäftigt zu halten.

      „Sant’Andrea…“

      “‘Agjaou Andréas39.” wiederholte Apollonia auf Griechisch, das heißt in der Sprache der christlichen Liturgie in Sizilien.

      In der Familie Apollonias sprach man in einer Art lateinischer Sprache und dasselbe taten sowohl die Christen von Qasr Yanna als auch die vielen Einheimischen, die sich zum Islamismus bekehrt hatten. Wenn es jedoch darum ging, zu beten, wurde die alte griechische Sprache benutzt… Die aber nicht ganz verstanden wurde. Im Gegensatz dazu sprachen Apollonia und die Familie im Rabad

      , der ein enger und überwiegend von Beschnittenen bewohnter Ort war, Arabisch; diese Sprache wurde in Sizilien, im Vergleich zur Sprache des Propheten, inzwischen vorwiegend gesprochen. Manchmal benutzten sie auch einige Berber-Wörter, die sie bei den Frauen am Brunnen und den Männern auf dem Feld mit dieser Abstammung gelernt hatten.

      Apollonia schloss ihre Augen und begann mit gefalteten Händen ihre Gebete zu rezitieren, wobei sie Maria die Mutter Gottes,