Giovanni Mongiovì

Der Himmel Von Nadira


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kannst diese Dinge nicht verstehen, Mutter! Wie stellt man fest, ob jemand nicht zahlen kann oder nicht zahlen will? Die Strafe dient dazu, die Lügner abzuhalten.“

      „Unsere Gemeinschaft war immer eine geeinte Gemeinschaft, weit entfernt von Intrigen und Eifersucht zwischen verschiedenen Rassen und Religionen… und sogar von Kriegen. Das Haus der Christen am Ende der Straße, das einzige des Rabad, wurde immer mit Würde behandelt. Dein Vater wusste, was in dieser Hinsicht richtig war. Vielleicht hast du Recht… aber in Qasr Yanna’s Rabad haben wir uns immer gegenseitig geholfen. Gestern sahen die Leute entsetzt zu, wie du diesen Jungen behandelt hast. Unser Handwerk ist bereits verhasst… doch es ist wichtig, dass sie dich respektieren und nicht, dass sie dich fürchten.»

      „Der Qā’id wird von seinem ‘āmil8 Rechenschaft fordern, wenn die Kisten leer sind. Und seit wann ist es eine Straftat, einen Ungläubigen zu schlagen? Wir haben ihnen erlaubt in der Gegenwart eines Bruders sitzen zu bleiben, wir haben ihnen erlaubt das Maultier zu satteln, wir haben ihren Frauen erlaubt die Bäder zusammen mit unseren Frauen zu benutzen…, wenn das anderswo nicht geschieht, könnten sie uns fragen warum wir ihnen gegenüber so großzügig sind.»

      „Aber dieser Christ, den du geschlagen hast, hat das Schwert in die Hand genommen, als die Soldaten von Jirjis Maniakis das Dorf ausplünderten, obwohl die Dhimmi vom Krieg befreit sind und keine Waffen tragen dürfen.“

      „Dann wisse, dass ich das für falsch halte, und es meine Pflicht ist, die Ordnung der Dinge wiederherzustellen. Auch Sie werden sich dem Islam unterwerfen, ebenso wie viele der Christen vor ihnen, die diese Länder bewohnten, wenn sie nicht anders behandelt werden wollen.“

      Nadira antwortete nun:

      „Und seit wann denkst du auf diese Weise? Seit du der Schwager des Qā’id geworden bist?“

      „Und du, Kind, wann hast du gelernt, dich deinem Walī9, Beschützer und Garanten, entgegenzustellen? Seit der Qā’id seine Augen auf dich gerichtet hat und du ihm als Braut versprochen wurdest? Überlege mal, wenn ich ihm erzählen würde, dass du dich mit einem Christen unterhalten hast, der an einem Pfahl gefesselt ist.“

      „Mein Herr Ali hätte Mitgefühl mit diesem Mann.“

      „Nun, soll er es mir vorwerfen, wenn du es ihm erzählst…, wenn ich dir nicht vorher die Zunge herausreiße, weil du diese Vertrautheiten mit einem Fremden pflegst.“

      Nadira ging enttäuscht und wütend und rannte in ihr Zimmer. Beim Vorbeigehen des Mädchens wendete sich die neugierige Dienerschaft schnell ab. Sie warf sich auf ihr Bett, umarmte die vielen Kissen, die es bedeckten und begann zu weinen.

      „Nadira, mein Mädchen.“ rief Jala.

      Sie hob ihren Kopf, jetzt mit den unbedeckten großen, unbändigen Locken und hörte zu.

      „Nadira, Tochter, es kann grausam sein, zu erkennen, dass du zu jemandem gehören wirst, den du nicht genug kennst; und du bist erst neunzehn Jahre alt… vielleicht scheint dir das viel, aber du bist in allem unerfahren!

      „Könnte er mir wirklich die Zunge herausreißen?“

      „Denk nicht an deinen Bruder. Aber eines ist klar: Niemals und nie wieder möchte ich dich mit diesem Mann sprechen sehen!»

      „Ich habe nicht mit ihm gesprochen! Er war es, der mich um Wasser bat.“

      „Und was hat er dir sonst noch gesagt?“

      „Nichts!“

      „Gut, du musst wissen, dass dies ein gefährlicher Mann der schlimmsten Art ist, Nadira. Und dein Bruder hat Recht, wenn er ihn bestrafen will.“

      „Vorhin hast du das Gegenteil gesagt…“

      „Ich habe Umar gesagt, wie sich sein Vater verhalten hätte… zu dir sage ich, was ich denke. Jetzt geh nachsehen, ob deine Schwägerin Hilfe braucht. Deshalb bist du noch nicht die Frau vom Qā’id…, um sie bei ihrer Schwangerschaft zu unterstützen.“

      So vergingen die Stunden des zweiten Tages dieses Winters im Jahr 1060 - dem 452 nach dem Hegirae -10 , in dem Corrado der Christ wie ein dickköpfiges Tier gefesselt und gedemütigt worden war.

      Kapitel 2

      Herbst 1060 (452 seit Hegirae), Rabaḍ von Qasr Yanna

      Es war noch Anfang Oktober, also noch ein paar Monate hin, bevor Umar sich wegen der Unverschämtheit des Sohnes der Christen rächt, indem er ihn an den Hofpfosten fesselt und Nadira mit ihrem Bruder streiten würde.

      Unter der Sonne des Nachmittags rannte Khalid, ein zwölfjähriger Junge, der Umar so nahestand, dass der Schuldeintreiber des Qā’id ihm seine persönlichen Herden anvertraute, schnell in das Dorf. Bald erreichte er Umars Haus und lief so schnell, dass er einem Windstoß im November glich. Noch außer Atem, so dass er sich auf die Knie und den Stock stützen musste, rief er:

      „Umar!“

      Es dauerte nicht lange, dass einige der Diener aus dem Haus kamen, da sie um diese Uhrzeit mit den Hausarbeiten beschäftigt waren. Sobald er gerufen wurde, kam der Hausherr, der in der lauwarmen Geborgenheit des Frühherbstes geschlafen hatte, verschlafen zum Eingang.

      „Was willst du? Was schreist du zu dieser Stunde? Ich und meine Kinder haben geschlafen… und jetzt hast du uns alle aufgeweckt!»

      „Umar, verzeih mir! Die Ziegen…» und unterbrach sich, um wieder Luft zu schnappen.

      „Was ist mit meinen Ziegen passiert? Haben Sie sie dir gestohlen?» fragte er den Jungen voller Sorgen.

      „Nein, ich habe sie im Stall eingeschlossen.“

      „Du hast sie unbeaufsichtigt zurückgelassen?“

      „Ich hätte gern eine Fartasa-Ziege11 schicken wollen, aber du hättest ihr Meckern nicht verstanden.“

      Khalid lachte; es war klar, dass der Junge seinen Meister auf den Arm nahm.

      Umar packte ihn am Ohr und stieß ihn mit einem gezielten Fußtritt in den Hintern zu Boden.

      „Ich hoffe, dass du mir etwas Wichtiges mitzuteilen hast, oder ich sperr dich im Stall ein!“

      Der Junge stand auf und erwiderte:

      „Der Qā’id, Herr… der Qā’id kommt in den Rabad und fragt nach dir.“

      „Ali Ibn12 al-Ḥawwās kommt in mein Haus?“ fragte Umar überrascht, und ordnete mit einer Hand sein Haar, als ob der Fürst von Gergent13 und Qasr Yanna bereits vor ihm stünde.

      „Er wird von seinen Getreuen begleitet und hat mir gesagt, dass er mit guten Absichten kommt.“

      Umar schweifte mit seinen Augen und bemerkte die Karawane, die durch die gewundenen Kurven des Berges Qasr Yanna hinabstieg.

      „Geh zurück zu deinen Ziegen!“ befahl er dem Jungen, bevor er schnell im Inneren des Hauses verschwand.

      Im Haus entstand viel Verwirrung, und mit großer Leidenschaft versuchte man, alles so vorzubereiten, dass es für den Besuch des Qā’id würdig wäre. Auch im ganzen Dorf entstand nun Unruhe und Geschäftigkeit: Die Frauen rannten zum Eingang des Rabad, und einige der Männer, die davon informiert wurden, kehrten aus den näher gelegenen Gemüsegärten zurück.

      Michele und Apollonia, Bruder und Schwester von Corrado, kamen heran, um die Szene mit Neugier zu beobachten. Sie würden dem Qā’id ebenso Tribut zollen wie alle anderen; es war nicht wichtig, wer sie befehligte, er war ebenfalls ihr Herr. Ginge es nicht um die Fetzen, die Michele trug und sein rasiertes Haar, Zeichen, die seinem christlichen Wesen auferlegt wurden, würde niemand sie als Ungläubige der Worte des Propheten bezeichnen. Mit Ausnahme der markanteren Gesichtszüge gab es keinen Unterschied zwischen Apollonia und den Sarazenischen Frauen14 des Dorfes. Der Rabad wurde schon in der frühen Zeit ausschließlich von Berbern besiedelt. Anderswo jedoch überwogen die Islamisten