Alberto Vazquez-Figueroa

Tuareg


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für die tausendfachen Segnungen, mit denen er überschüttet worden war: eine wohlgeratene Familie, gesunde Sklaven, gutes Vieh, fruchtbringende Palmen und das höchste Geschenk, nämlich aufgrund seiner Geburt zu den Edlen der kel-tagelmust, zu den »Männern mit dem Schleier« zu gehören, also zu den unbezähmbaren imohar, die bei anderen Sterblichen unter dem Namen tuareg bekannt waren.

      Nach Süden, Osten, Norden und Westen gab es nichts - nichts, das die Macht von Gacel, dem »Jäger«, hätte einschränken können. Nach und nach hatte er sich immer weiter von den bewohnten Gegenden entfernt, um sich weitab in der Wüste niederzulassen. Dort konnte er ganz allein sein mit seinen wilden Tieren: den scheuen Mendesantilopen, denen er tagelang unten in der Ebene auflauerte; den Mähnenscharen auf den hohen, sich vereinzelt aus dem Sandmeer erhebenden Bergen; den Wildeseln, Wildschweinen, Gazellen und den riesigen Schwärmen der Zugvögel. Gacel war vor der stetig vorrückenden Zivilisation geflohen, hatte sich der Macht der Eindringlinge und der wahllosen Ausrottung der Wüstentiere zu entziehen versucht. Überall in der Sahara, von Timbuktu bis zu den Ufern des Nils, galt seine Gastfreundschaft als beispiellos, aber er stürzte sich auch voller Wut auf die Karawanen der Sklavenhändler, die unbesonnen genug waren, sich auf sein Territorium vorzuwagen.

      »Mein Vater hat mich gelehrt«, sagte er, »immer nur eine einzige Gazelle zu töten,auch wenn die Herde dann flieht und es drei Tage kostet, sie wieder einzuholen. Ich kann mich von drei Tagesmärschen erholen, aber niemand kann eine unnötig getötete Gazelle wieder zum eben erwecken.«

      Gacel wurde Zeuge, wie die Franzosen im Norden des Landes die Antilopen und fast überall im Atlasgebirge die Mähnenschafe ausrotteten. In der hammada, auf der anderen Seite der großen seguia, die vor Tausenden von Jahren ein wasserreicher Fluß gewesen war, verschwanden nach und nach die schönen Mendesantilopen. Deshalb hatte er sich für diese entlegene Gegend hier entschieden, die aus Geröllhalden, endlosen, sandigen Ebenen und schroffen Bergen bestand, vierzehn Tagesmärsche von El-Akab entfernt. Niemand außer ihm, Gacel, erhob Anspruch auf diesen unwirtlichsten Teil der unwirtlichsten aller Wüsten.

      Für immer waren die glorreichen Zeiten vorbei, in denen die Tuareg Karawanen überfielen oder mit lautem Geheul französische Truppen angriffen. Auch die Tage der Raubzüge voller Kampf und Tod gehörten der Vergangenheit an. Damals hatten die Tuareg frei wie der Wind die Wüste durchstreift. Stolz hatten sie sich »Freibeuter der Wüste« und »Herren der Sahara« nennen lassen, vom südlichen Atlas bis zu den Ufern des Tschad-Sees. Vergessen waren die Bruderkriege von einst und die Gefechte, an die sich die Alten noch immer gern erinnerten. Damals hatte der Niedergang der imohar, der »Freien«, begonnen. Einige der tapfersten Krieger wurden bei den Franzosen Lastwagenfahrer, andere wurden Soldaten bei der regulären Truppe oder verkauften Stoffe und Sandalen an Touristen in grellbunten emden.

      An dem Tag, als sein Vetter Suleiman der Wüste den Rücken kehrte, um in der Stadt zu leben und für Geld stundenlang Ziegelsteine zu schleppen, schmutzig und von Zementstaub bedeckt - an jenem Tag begriff Gacel, daß er fliehen mußte, um der letzte, ganz auf sich gestellte targi zu werden.

      Und so war er nun hier, und mit ihm war seine Familie. Tausendmal hatte er Allah schon dafür gedankt, denn in all den Jahren - es waren so viele, daß er sie nicht mehr zu zählen vermochte - hatte er seinen Entschluß nicht ein einziges Mal bereut, wenn er allein des Nachts auf dem Gipfel der Düne saß und nachdachte.

      In der Welt hatten sich während dieser Zeit seltsame Dinge zugetragen, die als wilde Gerüchte bis zu Gacel ‘ drangen, wenn er einem der wenigen Reisenden begegnete. Er freute sich, daß er all dies nicht aus nächster Nähe miterlebt hatte, denn die längst überholten Nachrichten sprachen von Tod und Krieg, von Haß und Hunger, von großen Umwälzungen, die sich immer mehr beschleunigten, von Veränderungen, auf die niemand stolz sein konnte und die auch für niemanden Gutes verhießen.

      Eines Nachts, als er dort oben saß und die Sterne betrachtete, die ihm schon so oft den Weg durch die Wüste gewiesen hatten, entdeckte er plötzlich ein neues, strahlend helles Gestirn, das mit großer Geschwindigkeit eine Bahn über den Himmel zog, zielstrebig und unaufhaltsam, jedoch ohne die wahnwitzige Hast der flüchtigen Sternschnuppen, die unversehens aufleuchteten, um sofort wieder im Nichts zu verschwinden. Zum erstenmal hatte

      Gacel das Gefühl, daß ihm das Blut in den Adern erstarrte, denn weder in seinem eigenen Gedächtnis noch in der Überlieferung seiner Vorfahren oder in den alten Legenden war die Rede von einem Himmelskörper, der Nacht für Nacht erschien und immer denselben Kurs über den Himmel verfolgte.

      Im Lauf der Jahre kamen dann viele andere hinzu, bis sie eine rastlose Meute bildeten, die den uralten Frieden des Firmaments störte. Welche Bewandtnis es mit ihnen hatte, vermochte er nicht in Erfahrung zu bringen - er nicht und auch nicht der alte Senegalese Suilem, der Vater von fast all seinen Sklaven. »Noch nie sind die Sterne so verrückt über den Himmel gehuscht, Herr«, meinte Suilem. »Niemals zuvor war es so, und das kann bedeuten, daß sich das Ende der Zeiten nähert.«Gacel befragte einen Reisenden, der ihm jedoch keine Antwort zu geben vermochte. Er fragte noch einen zweiten, und dieser meinte zögernd und voller Zweifel: »Ich glaube, daß die Franzosen dahinterstecken.«Daran mochte Gacel jedoch nicht glauben. Er hatte zwar viel von den Erfindungen der Franzosen gehört, doch hielt er sie nicht für so verrückt, daß sie ihre Zeit damit verschwenden könnten, den Himmel mit noch mehr Sternen zu füllen. »Es muß sich um ein göttliches Zeichen handeln«, sagte er sich. »Es ist wohl ein Hinweis,daß Allah uns etwas mitteilen will - aber was?«Er mühte sich, im Koran eine Antwort zu finden, aber im Koran stand nichts über Sternschnuppen von mathematischer Präzision. So fand er sich denn im Lauf der Zeit mit ihnen ab und gewöhnte sich an ihren Anblick, was nicht heißen soll, daß er sie fraglos hinnahm.

      In der klaren, reinen Luft der Wüste, in der finsteren Nacht dieses Landes, in dem in einem Umkreis von Hunderten von Kilometern kein anderes Licht zu sehen wa,hätte man glauben mögen, daß das gestirnte Firmament so weit herabreichte, daß es fast den Wüstensand streifte. Oft streckte Gacel die Hand aus, als könnte er mit den Fingerspitzen jene funkelnden Lichter berühren. Lange saß er so da, allein mit seinen Gedanken. Später stieg er dann ohne Eile hinab, um einen letzten Blick aufdas Zeltlager und das Vieh zu werfen. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß keine hungrigen Hyänen und schlauen Schakale seine kleine Welt bedrohten, war es auch für ihn Zeit, sich schlafen zu legen.

      Am Eingang seines Zeltes, dem größten und bequemsten von allen, blieb er kurz stehen und lauschte. Sofern das Klagen des Windes noch nicht zu vernehmen war, verdichtete sich die tiefe Stille so sehr, daß sie sogar dem Gehör eines Menschen schädlich sein konnte.

      Gacel liebte diese Stille.

      Jeden Morgen sattelte der alte Suilem oder einer seiner Enkel das Lieblingskamel seines Herrn, des amahar Gacel, und wartete damit vor dem Eingang des Zeltes.

      Jeden Morgen ergriff der Targi sein Gewehr, kletterte auf den Rücken des langbeinigen mehari und ritt in eine der vier Himmelsrichtungen davon, um nach

      Wild Ausschau zu halten.

      Gacel liebte sein Kamel, wie nur ein Mann der Wüste ein Tier zu lieben vermag,von dem oft sein Leben abhängt. Heimlich, wenn ihn niemand hören konnte, redete er mit dem Kamel, als könnte es ihn verstehen. Er nannte es r’orab, den Raben, und spottete auf diese Weise über das besonders helle Fell, das oftmals kaum vom Wüstensand zu unterscheiden war, so daß das Tier vor dem Hintergrund einer hohen Düne fast unsichtbar war.

      Diesseits von Tamanrasset gab es kein schnelleres und ausdauernderes Mehari. Ein reicher Kaufmann, Herr über eine Karawane von mehr als dreihundert Tieren, hatte Gacel einmal fünf Kamele für das Mehari geboten, aber Gacel war nicht darauf eingegangen. Er wußte, daß R’Orab das einzige Kamel der Welt war, das ihn in der sogar finstersten Nacht zu seinem Zeltlager zurückbringen konnte, falls ihm eines Tages bei einem seiner einsamen Streifzüge etwas zustoßen sollte. Häufig schlief er ein, vom schaukelnden Gang des Tieres gewiegt und von Müdigkeit übermannt, und mehr als einmal geschah es, daß seine Familie ihm am Eingang seiner khaima aus dem Sattel half und ihn zu seinem Schlaflager geleitete.

      Die Franzosen behaupteten, Kamele seien dumme, grausame und rachsüchtige Tiere, deren Gehorsam man durch Schreie und Schläge erzwingen müsse, doch