Ina Kramer

DSA: Die Löwin von Neetha Sammelband


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war. Den Graben schaffte der Hengst nur knapp, während Meriban weit und elegant hinübersetzte. Und dann, auf der Strecke zwischen Graben und Hecke, gelang es ihr tatsächlich, an Sindar vorbeizuziehen. Fuxfell warf einen Blick auf seine Gegnerin, aber Brinna von Efferdas schaute starr geradeaus, die Brauen gerunzelt und die Lippen fest zusammengepreßt.

      Als Fuxfell seine Stute nun auf den Sprung über das nächste Hindernis vorbereitete, wurde ihm klar, daß auch ihre Kräfte nicht unerschöpflich waren. Zwar übersprang Meriban die Hecke ohne Furcht, doch an dem winzigen Schauder, der ihren Körper durchzuckte, spürte er, daß sie die obersten Zweige gestreift haben mußte. »Halt durch, halt durch, meine Schöne, nur noch drei Hindernisse!« rief er ihr zu, aber Meriban antwortete nicht. Ihr ganzer Körper war nun naß von Schweiß, und kleine Schaumfetzen flogen ihr vom Maul.

      Bevor sie die Hürde erreichten, blickte Fuxfell sich um: Sindar war um drei Längen zurückgefallen; auch sein Fell glänzte naß, sein Atem flog, und sein Speichel schäumte. Wenn wir erst auf der Geraden sind, ist uns der Sieg gewiß, dachte Fuxfell. Die Anspannung und der in immer greifbarere Nähe rückende Sieg versetzten ihn in einen rauschhaften Zustand, in dem er mehr denn je mit seinem Pferd zur Einheit zu verschmelzen glaubte.

      Die Hürde – Meriban nahm sie, touchierte, doch setzte sie auf, ohne zu straucheln. Fuxfell wußte, daß die zierliche Stute Schmerzen litt, doch verscheuchte er den Gedanken, kaum, daß er entstand. Der Graben noch – Meriban setzte über, sicher zwar, doch knapp –, und nun waren sie auf der Geraden, und nur noch ein einziges Hindernis stand zwischen ihnen und dem Sieg.

      Ein nie gekanntes Gefühl von Glück und Triumph durchströmte Fuxfell, und als er sich wiederum umblickte und sah, daß Sindar nun dreißig Schritt zurücklag, schrie er laut auf vor Freude. »Oh, Meriban, du schaffst es, wir schaffen es!« rief er, während er sie auf die Hecke zutrieb. Ich kann nicht mehr, mein guter Herr, schien ihr fliegender Atem zu sagen, aber Fuxfell überhörte ihr Flehen. Dies eine, letzte Hindernis mußte sie noch schaffen, einen letzten hohen und weiten Sprung mußte er ihr noch abtrotzen, einmal noch sollte sie all ihre Kräfte sammeln und allen zeigen, was in ihr steckte! Ja, er würde sie zwingen, Hecke und Bassin in einem Satz zu nehmen! Trocken und unbesudelt würde er zur Siegerehrung schreiten! Und seine Schöne sollte so viel Zuckerbrot bekommen, wie sie nur fressen konnte …

      Nun war die Hecke auf wenige Schritt heran. Fuxfell maß den Abstand, verstärkte im rechten Moment den Druck seiner Schenkel und riß am Zügel. Und die brave Meriban gehorchte: Kraftvoll stieß sie sich ab, überflog die Hecke wie ein Vogel und dann …

      Fuxfell spürte einen dumpfen Schmerz in der Schulter. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, was geschehen war: Meriban war gestürzt und hatte ihn im Fallen abgeworfen. Verloren! Das Rennen ist verloren! war sein erster Gedanke. Als er sich nun erhob, merkte er, daß er unverletzt geblieben war – der Arm war nur geprellt und nicht gebrochen. Aber was war mit Meriban? Vielleicht können wir es doch noch schaffen, durchzuckte ihn ein irrwitziger Hoffnungsblitz. Doch als er die Stute sah, wußte er, daß alles vorbei war – aus, verloren, dahin.

      Meriban lag am Rande des Wasserbeckens. Ihr schöner schlanker Leib bebte vor Erschöpfung und Schmerzen – verzweifelt zuckten und schlugen ihre kleinen Füße in dem vergeblichen Versuch, Halt zu gewinnen. Aber sie konnte sich nicht erheben: Ihr linkes Vorderbein hatte einen seltsam falschen Winkel an einer Stelle, wo sich kein Gelenk befand. Fuxfells Herz krampfte sich zusammen, als er es sah. Meriban würde dies Rennen nicht vollenden – sie würde nie mehr ein Rennen bestreiten! Und als sie nun ihren Kopf zu ihm wandte und ihn aus ihren wunderbaren schwarzen Augen anblickte, da schienen sie ihm noch schimmernder als sonst, fast so, als schwämmen sie in Tränen.

      Hilf mir, lieber Herr! schien ihr Blick zu sagen. Und vergib mir, daß ich dich enttäuscht habe.

      Wie durch einen Nebelschleier sah Fuxfell, wie Sindar über die Hecke setzte. Im Sprung rief Brinna von Efferdas ihm etwas zu – Fuxfell glaubte das Wort Bastard zu hören –, doch dann waren sie auch schon vorüber. Später folgten noch Beleman und Aldara – die anderen hatten wohl aufgegeben.

      Fuxfell wußte, was er zu tun hatte: Er suchte die Stelle zwischen den Rippen, zog sein Rapier, zielte, bedeckte sich die Augen mit der Linken und stach zu. Meriban zuckte und schlug ein letztes Mal mit ihren zarten Füßen. Ein heiserer, seltsam heller Wehlaut entrang sich ihrer Kehle, dann war es vorüber.

      Tränenblind verließ Zordan Fuxfell den Rennplatz.

      Eine Woche war seit dem großen Phex-Rennen vergangen, eine Woche voll sonniger Tage und milder Nächte. In dieser Woche waren in dem blühenden Städtchen Methumis sieben Menschen gestorben – zwei durch den Strick, einer an der Wassersucht und vier an ihrem hohen Alter – und neun kleine Derebürger hatten Praios’ Licht erblickt, vier Buben und fünf Mägdelein. Die Menschen verrichteten ihr Tagwerk, zufrieden oder mißmutig, scherzend oder fluchend – je nach ihrem Temperament und dem Patz im Weltgefüge, den die Götter ihnen zugewiesen hatten. In dieser Woche hatten alle Mandel-, Kirsch- und Birnbäume ihre Blütenknospen entfaltet, während die zarten gelben Tsasternchen im Wald allmählich dahinschwanden.

      Und nahe beim Hafen hatten Baumeister und Maurer damit begonnen, einen schönen, großen, steinernen Efferdtempel zu errichten, der einmal die bescheidene Bethalle ersetzen sollte.

      Zordan Fuxfell bemerkte von alldem nichts. Dieser erste wirkliche Schicksalsschlag in seinem Leben machte ihn blind und taub für alles, was ihn umgab. Betäubt war er auch vom Weine, dem er seit dem unseligen Tage fleißiger denn je zusprach, zum Frühstück schon – oder besser: statt desselben, auch wenn von Frühstück zu sprechen kaum passend erscheint, da er sich vor der zwölften Stunde nicht vom Lager erhob. Doch er mußte sich betäuben, mußte die Stimme in seinem Kopfe zum Schweigen bringen, die unablässig sagte: Es war deine Schuld, mein Lieber, einzig und allein deine Schuld.

      Ziellos, wie schon an den Tagen zuvor, streifte er durch die Stadt und ließ seine Füße entscheiden, wohin sie ihn tragen wollten. In wie vielen Schenken er schon seine Taler und Heller gelassen hatte, wußte er nicht und wollte es auch nicht wissen, ebensowenig wie er gemahnt werden wollte, daß sein Vermögen nicht unerschöpflich sei.

      Die sinkende Praiosscheibe verwandelte das Meer in einen endlosen Teppich aus Blau und Grau mit schillernden rotgoldenen Mustern darin. Dicht über dem Horizont schlossen sich violette Wölkchen zu einem feinen dunklen Streifen zusammen, dessen gleißender Saum allmählich verblaßte und mit dem fahlgrauen Purpur des Himmels verschmolz. Auch der morgige Tag würde Fischern und Kauffahrern eine ruhige See bescheren. Efferd sei Dank, so dachte manch einer mit kundigem Blick zum Himmel.

      Als Fuxfells Füße den Weg zum Hafenviertel einschlugen, war alles Gold von Meer und Himmel verschwunden. Der Abend hatte sich über Methumis gebreitet, Düfte von Kohl, Speck und Fisch drangen aus Garküchen und Fischbratereien in die engen Gassen, und die ersten Schönen der Nacht bezogen ihre angestammten Plätze. Doch Fuxfell war unempfänglich für beiderlei Verlockungen. Ein Schenkenschild, von der Abendbrise sanft bewegt, erregte seine matte Aufmerksamkeit: Es zeigte, in ungelenken Pinselstrichen auf hell gebleichtem Holz, das Abbild eines seltsamen Fisches, dessen Maul ein langes gedrehtes Horn zierte. Zum Drillfisch stand darunter. Der Name kam Fuxfell vage bekannt vor, doch hätte er nicht zu sagen gewußt, ob von angenehmen oder üblen Erinnerungen. Was soll’s, eine Kaschemme hier ist so gut oder schlecht wie die andere, dachte er verdrossen, während er die Tür zum Schankraum öffnete.

      Trotz der frühen Abendstunde war der Drillfisch schon gut besucht. Matrosen, Schauerleute und Fischer drängten sich an der Theke, und auch die meisten Tische in der niedrigen dunklen Stube waren besetzt. Zwischen die Männer und Frauen, an deren Kleidung und Sprache man ihr efferdgefälliges Gewerbe erkannte, mischten sich Gestalten von verwegenem Äußeren und schwer durchschaubarer Profession. Während Fuxfell einen freien Tisch im hinteren Teil des Schankraumes ansteuerte, wo ein mächtiger Stützpfeiler ihn vor neugierigen Blicken schützen würde, wurde er von einer rotblonden Hünin zu einer Partie Boltan eingeladen. »Vergebung, schönste Dame«, hörte Fuxfell sich sagen, »aber Phex ist mir heute nicht gewogen, und so muß ich Euer verlockendes Angebot