Stefan Fischer

Das exegetische Proseminar


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mündet die Auslegung in die Analyse historischer Textentwicklungen. Eine entsprechende bewusst veränderte Anordnung der Arbeitsschritte führt die synchronen und diachronen Elemente zu einer Synthese zusammen und stellt deren jeweiligen Eigenwert heraus.

      Dies möchte ich in der Form demonstrieren, dass ich zunächst (1) den methodischen Ausgangspunkt einer literaturwissenschaftlich orientierten Exegese des Alten Testaments darlege, sodann (2) diesen Ansatz mit einem eher herkömmlichen Exegesesystem vergleiche, um schließlich (3) zu zeigen, welch erhebliche Vorteile die beschriebene Umorientierung für eine biblische Hochschuldidaktik mit sich bringt.

      

Matthias Hopf, *1976, Dr. theol., ist Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Altes Testament an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau. Studium der Ev. Theologie und Judaistik in Neuendettelsau, Leipzig, Jerusalem und Heidelberg. Seine literaturwissenschaftliche Kompetenz wies er in seiner Dissertation zum Buch Hoheslied nach. Als Pfarrer der Evang.-Luth. Kirche in Bayern verfügt er über mehrjährige Erfahrung aus verschiedenen Praxiskontexten (Religionsunterricht an verschiedenen Schultypen, Gemeinde- und Erwachsenenpädagogik, Gottesdienste u.v.m.).

      Der methodische Ausgangspunkt

      Zunächst ist festzuhalten: Es gibt keine einheitliche Literaturwissenschaft. Entsprechend gibt es auch nicht nur die eine literaturwissenschaftliche Exegese. In der Tat haben sich in dieser »Stilrichtung« mittlerweile viele verschiedene Spielarten entwickelt.1

      Forschungsgeschichtlich höchst wirksam war die sog. »Richter-Schule«, die stark auf strukturalistischen Thesen basiert und sich v.a. mit der formalen Gestaltgebung biblischer Texte auseinandersetzt.2 Ein zweiter Ansatz wird von Christof Hardmeier verfolgt, der sich von der Handlungsspiel-Theorie herkommend mit der Wirkung der Texte beschäftigt.3 Daneben gibt es – besonders im angelsächsischen Bereich – viele weitere Herangehensweisen, die spezifische Methoden auf biblische Texte anwenden, wie z.B. narratologische Ansätze,4 aber auch dramentheoretische,5 dann der sog. canonical approach,6 oder neuerdings Versuche, das Konzept der Intertextualität fruchtbar zu machen.7 Die Vielfalt dieser Ansätze kann hier allerdings nicht hinreichend dargestellt werden. Stattdessen soll in diesem an der Hochschuldidaktik interessierten Forum der Vorteil literaturwissenschaftlichen Arbeitens anhand einschlägiger deutschsprachiger Lehrwerke zur alttestamentlichen Exegese vorgestellt werden. Der Ausgangspunkt liegt dabei bei dem »Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung« von Helmut Utzschneider und Stefan Ark Nitsche, dem Lehrwerk, das unter jenen mit einer literaturwissenschaftlichen Orientierung die wohl größte Verbreitung aufweist.

      Die theoretischen Grundlagen: Zum besseren Verständnis wird im Folgenden die grundlegende Hermeneutik des Lehrwerks anhand einiger wichtiger Wendungen verdeutlicht:

      (a) Rezeptionsästhetik:8 Ein Grundsatz des »Arbeitsbuchs« ist, dass Texte nicht losgelöst von ihren Kontexten zu lesen sind. Dies gilt in doppelter Hinsicht: Einerseits ist der Kontext ihrer historischen Entstehung zu beachten, was sicherlich ein Allgemeinplatz der Exegese ist. Daneben tritt aber ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal: Das Verständnis eines Textes ist immer auch abhängig von den Rezipierenden.9 Das individuelle Vorwissen, die persönliche Situation, dazu der zeitgenössische Kontext und zeitgeschichtliche Strömungen – all diese Faktoren wirken darauf ein, wie ein Text wahrgenommen wird.10 Da keine Lesesituation wie die andere ist, ist auch kein Leseverständnis einem anderen völlig gleich.11 Texte sind insofern als »situationsoffen« zu bezeichnen.12 Über diese Vielfalt in der Rezeption hinaus liegt die Uneindeutigkeit eines Textes aber bereits in seiner Grundstruktur selbst begründet. Kein Text ist in sich völlig abgeschlossen und eindeutig, sondern besitzt immer Vieldeutigkeiten, die unterschiedliche Verständnisse ermöglichen. Erst im Leseprozess werden diese »Leerstellen« je unterschiedlich durch die Rezipierenden gefüllt und vereindeutigt.13 Leserinnen und Leser wirken also dabei mit, welche Bedeutungen einem Text zugeschrieben werden. Die Sinnbildung geschieht gleichermaßen durch einen sinnoffenen Text wie durch sinngebende Leserinnen und Leser.

      (b) Die drei Text-Intentionen: Angesichts dieser Prämisse der Rezeptionsästhetik bringt jeder Leseakt vielleicht keinen neuen Text, aber doch ein je neues Textverständnis hervor. Das führt zu einer wichtigen Unterscheidung im Anschluss an Umberto Eco, nämlich zu den sog. drei intentiones:14 die intentio auctoris, die intentio operis und die intentio lectoris.

      Die intentio auctoris ist wohl diejenige Intention, an der Leserinnen und Leser vermutlich zunächst interessiert sind: Man will wissen, was die Autorin/der Autor »eigentlich gemeint hat«. Auch Eco geht davon aus, dass sie der hauptsächliche Fluchtpunkt des Leseverstehens ist. Allerdings ist er gleichzeitig überzeugt, dass sie immer nur ein virtueller Punkt bleibt,15 der nie erreicht wird, da kein Versuch des Verstehens genau exakt das reproduzieren wird, was die Autorin/der Autor tatsächlich intendierte. An dieser Stelle setzt die intentio operis ein. Man könnte sie als eine Art weites Feld von Textaussagen beschreiben, welches ein Text uns bietet – viele verschiedene Verständnisse sind möglich.16 Eine Intention innerhalb dieses Feldes ist die intentio auctoris, aber hinzu treten weitere, nämlich jene der Leserinnen/Leser: die intentiones lectoris. Nach Eco wird jede intentio lectoris dem Text regelrecht »aufgezwungen«.17 Ein wissenschaftlich lauterer Leseakt wird sich also immer darum bemühen, die intentio operis gegenüber einer »übergriffigen« intentio lectoris zu verteidigen.18

      Hervorzuheben ist, dass die eine Intention des historischen Autors – wenn überhaupt – bestenfalls tentativ und fragmentarisch zu eruieren sein wird. Primärer Gegenstand der Untersuchung ist darum zunächst und v.a. die intentio operis.19

      (c) Der Text als ästhetisches Subjekt: Für einen biblischen Text folgt daraus, dass die intentio auctoris auf der Ebene des Endtextes in der intentio operis aufgeht; oder mit den Worten Utzschneiders: »Der Endtext hat keinen Autor, der ihn oder für ihn spricht, er spricht für sich selbst.« Aus diesem Grund bezeichnet Utzschneider einen Text als »ästhetisches Subjekt«, weil er »ein selbständiges Gegenüber ist, das die Hörenden oder Lesenden in deren Wahrnehmung unmittelbar […] betrifft und anspricht«20.

      Ein Text bietet in diesem Sinne immer Potentiale des Verstehens an, er ist eine Art »Anleitung für Leser, sinnvolle Gehalte hervorzubringen«.21 Eine solche Texthermeneutik steht natürlich in einem gewissen Widerspruch zur Fokussierung der »klassischen« Methoden auf die intentio auctoris.22 Genau genommen wird dort ein Text primär als Mittel zum Zweck gebraucht, um die historischen Aussageabsichten zu ermitteln.23 Natürlich legt ein Text niemals seine historische Prägung durch Autoren, Fortschreiber oder Redaktoren ab. Diese ist allerdings auf der Ebene des Endtextes zunächst nicht zugänglich und kann m.E. erst jenseits einer grundlegenden Textwahrnehmung erhoben werden.

      (d) Die Lese-Hermeneutik der Behutsamkeit: Die Wahrnehmung eines Textes steht immer in der Gefahr, Sachfremdes in diesen hineinzulesen – also »Eisegese« zu betreiben.24 Darum ist für den Umgang mit Texten ein erhöhtes Verantwortungsbewusstsein nötig – eine »Lese-Hermeneutik der Behutsamkeit«25. Letztlich geht es dabei um nichts anderes als um ein methodisch abgesichertes mehrfaches Lesen des Textes,26 das diesen in einer »theoretisch-wissenschaftlich begründeten, nachvollziehbaren Weise«27 beschreibt. Durch eine solche Systematisierung der Textwahrnehmung wird intersubjektive Nachvollziehbarkeit gewährleistet und der Text als textum (»Gewebe«) erschlossen.28 Zudem will gerade diese literaturwissenschaftliche Textanalyse der intentio operis ihr Recht gegenüber einer Vereinnahmung durch die intentio lectoris verschaffen.29 Die Grundfrage in diesen mehrfachen Lesedurchgängen kann dabei – ein wenig salopp – etwa so gefasst werden: »Wie und warum funktioniert ein Text gerade so, wie er es tut?«

      Methodische Beispiele: Wie sich diese Texthermeneutik auswirkt, wird nun anhand zweier Beispiele demonstriert, an denen der literaturwissenschaftliche Impetus des Ansatzes besonders deutlich wird.

      (a) Beispiel 1: Die Textanalyse: Die methodische Textanalyse nach Utzschneider/Nitsche ist an jedem atl. Text durchführbar – wenngleich sicherlich mit unterschiedlichen Fokussierungen je nach Text.