Dominic Müller

Ich bin so wie ich bin


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zur Erkundung und zum Verstehen der dinglichen Welt geholfen hätten, war und ist schwierig.

      Dominic geht seinen eigenen, ihm bestimmten Weg, wie wir alle. Durch die Technik und die Verbundenheit mit seiner langjährigen Heilpädagogin und Freundin hat er nun ein Buch geschrieben, mit dem Wunsch, dass noch viele neurotypische Menschen versuchen, Menschen mit Autismus zu verstehen und sie so zu akzeptieren, wie sie sind.

      aaa autismus approach

      Cordilia Derungs

      Ich

      Ich bin ein autistischer Mensch, ein Mensch mit frühkindlichem Autismus. Was ist das? Mit einer sicheren Diagnose kommt auch ein normaler Mensch nicht zurecht. Ich habe Autismus dritten Grades. Das ist stark. So benehme ich mich vielmals auch. Ich spreche nicht und gebe sabbernde Laute von mir. Das passt gut vom Ausdruck her, denn ich empfinde es so. Ich verstehe nach vielen Jahren ABA – das ist eine Verhaltenstherapie aus Amerika2 – viel mehr als früher. Ich habe so lesen gelernt und Schuhe binden. Auch viele Wörter verstehe ich dadurch und begreife Ausdrücke. Das war harte Arbeit. Anfangs musste ich lernen, mich auf Befehl an den Arbeitstisch zu setzen und ruhig zu sein. Wenn ich das dann gekonnt habe, ging es weiter mit Füße stillhalten und Hände verschränkt auf den Tisch legen. Das brauchte Zeit und Nerven von mir und von meinen Therapeutinnen und war eine happige Zeit für alle. Wenn ich gut war, gab es eine Belohnung. Das war stark und obercool. Was ich am liebsten habe, sind Chips. Sicher war die Belohnung nur bei guter Arbeitshaltung und einem entsprechenden Arbeitsresultat. Manchmal ging das die ganzen drei Therapiestunden super. Aber Sicherheit gab es nie, dass es so verflixt optimal gut klappte. Sicherheit ertrage ich gut, aber mein Autismus Jonas – den Namen gebe ich ihm – legte mir Falle um Falle, die dann gottlos brutal zuschnappt. Scheiße, echt scheiße war und ist das manchmal. Ich will immer alles richtig machen. Dazu zwingt mich mein Autismus. Wenn es nicht klappt, bringt das eine große Unruhe in mich und ich muss schreien, meine Sprechorgien durchziehen und kann damit nicht aufhören. In der Nase bohren, Lippen ziehen, mich seitwärts in die Wange klemmen und so vieles mehr kann dann passieren. Ich bin aber ein Glückskind. Meine Eltern, vor allem meine Mami, ist eine grandiose Kämpferin, denn sie ist immer auf der Suche nach neuen Sachen. Sei das auf spiritueller Ebene, Ernährung, Alternativmedizin und eben immer noch ABA.

      Ich bin während der Woche im Behindertenwohnheim und darf zweimal in der Woche nach Hause, um Therapie zu machen. Zu Hause ertrage ich es fabulös und gebe mir fast immer Mühe in der Therapie. Wenn ich Mami auf den Sack gehe, dann droht sie mir immer, dass ich jetzt dann in Meiringen3 bleiben könne. Sie geht mir ja manchmal auch auf den Sack, aber ich weiß auch, dass ich sie brauche. Aber auch großartig sind meine Schwestern. Sie sind verständnisvoll und verstehen mich gut. Melanie und Nathalie machen vieles mit mir, ertragen vieles und setzen sich auch für mich ein. Sicher zicken sie auch rum, aber das machen alle Frauen. Eine Sache ist klar: wir brauchen das weibliche Geschlecht, sonst wären wir einsam.

      Ich arbeite gerne etwas, und wenn ich etwas gut kann, dann umso lieber. Aber nichts tun ist auch nicht ohne. Ich arbeite nur auf Aufforderung hin. Das ist auch nicht so toll, aber es geht auch nicht so gut ohne Aufsicht. Ich habe manchmal den Drang abzuhauen und mal alleine wegzubleiben. Sie haben dann ein paarmal die Polizei angefordert, um mich zu suchen. Das war, glaube ich, immer eine große Aufregung. Ich wäre noch immer zurückgekommen. Die mochten einfach nicht lange genug warten. So gesehen kann ja die Polizei schon mal was tun für mich, ich bezahle ja auch Steuern. Auch bringe ich etwas Schwung in den Alltag meiner Mitmenschen und halte sie auf Trab. Manchmal macht das Spaß und manchmal bin ich auch traurig und muss weinen, weil ich wieder mal nicht so funktioniere, wie die lieben Mitmenschen es von mir erwarten. Ich weiß nicht, ob sie sich wirklich bewusst sind, ob das immer das Beste ist für mich. Aber ich weiß, dass sie nur das Beste wollen für mich.

      Das Leiden hat einen Namen

      (Erika Müller)

      Wie weiter?

      Meine Vermutung wurde bestätigt. Es brachte Erleichterung, das Leiden von Dominic mit einem Namen benennen zu können. Gleichzeitig war es jedoch auch ein Schock, zu erfahren, dass unser Kind nicht gesund, sondern sogar unheilbar beeinträchtigt ist. Wir Eltern mussten das erst einmal verdauen. Ratlosigkeit und Trauer vermischten sich miteinander, die Nächte des Nachdenkens waren nach der Diagnosestellung lang und quälend. Irgendwann mussten wir jedoch die Entscheidung treffen, uns neu zu motivieren, um die große Herausforderung, ein Kind mit einer Beeinträchtigung zu haben, anzupacken. Wir wollten uns nicht durch Elend und Resignation demotivieren lassen.

      Ich deckte mich kurz nach der Diagnosestellung „frühkindlicher Autismus“ mit Büchern über Autismus ein, um wenigstens rudimentär zu verstehen, was im Kopf von Dominic geschieht. Mein Mann nahm sich dem administrativen Teil an, was bis zum heutigen Zeitpunkt genauso viel Energie abverlangt, wie einen autistischen Menschen zu fördern. Ich danke meinem Mann herzlich für all die Unterstützung, die er mir und der ganzen Familie unermüdlich bietet.

      „Autismus Schweiz“ organisiert regelmäßig Tagungen in Zürich. Wir lernten dort betroffene Eltern kennen, dadurch fühlten wir uns nicht mehr so alleine und hilflos. Wir schlossen uns einer Elterngruppe an, die sich sehr intensiv mit Autismus beschäftigte und sich weltweit informierte über neue Erkenntnisse zu diesem Krankheitsbild. Als Eltern waren wir in der Gruppe stets auf der Suche nach Hilfe für unsere Kinder. Beispielsweise war die gluten- und laktosefreie Diät sowie Nahrungsergänzungsmittel ein Thema. Wir haben vieles versucht, bei Dominic konnte ich bei all diesen gut gemeinten Versuchen keine wesentliche Veränderung im Verhalten feststellen.

      Im Alter von vier Jahren suchten wir für Dominic einen Platz in einer Behinderteninstitution. Durch den stets stressigen Alltag war ich über diese Entlastung sehr froh. Ich hatte den Eindruck, dass er gerne in diese Institution ging. Der geregelte Tagesablauf vermittelte ihm Orientierung und Sicherheit.

      Ich besuchte auch einen Workshop für Gestützte Kommunikation4. Dies bedeutete für mich eine weitere Hoffnung, eine Verbindung mit Dominic aufnehmen zu können. Eine betroffene Mutter aus der Elterngruppe zeigte mir auf, wie ich meinem Sohn möglichst viel Unterstützung geben könnte.

      Wie es das Schicksal wieder mal einrichtete, hatten wir im Winter 1999 einen großen Schneefall, dass wir in Grindelwald wegen erhöhter Lawinengefahr eine Woche von der Außenwelt abgeschnitten waren. Dies bedeutete, dass Dominic nicht in die Behinderteninstitution gehen konnte. Er war zu dieser Zeit fünf Jahre alt. Nun wollte ich endlich wissen, ob Dominic nebst Autismus auch eine geistige Beeinträchtigung hatte. Also verkroch ich mich zusammen mit Dominic nahezu eine ganze Woche lang in seinem Zimmer. Ich hatte mir fest vorgenommen, mein Ziel zu erreichen. Dominic sträubte sich anfangs sehr energievoll und lautstark, sich zu mir hinzusetzen, geschweige denn neben mir sitzen zu bleiben. Bereits dieses Vorhaben dauerte Stunden. Ich vermute, dass er meinen festen Willen, mein Ziel zu erreichen, gespürt hat. Irgendwann wurde sein Widerstand gebrochen. Ich kommunizierte ihm meinen Willen die ganze Zeit über, ohne dass ich wusste, ob er meine Worte verstehen konnte. Im ersten Schritt brachte ich ihm das Zeigen auf Dinge bei. Wichtig ist bei autistischen Menschen, dass sie klar vermittelt bekommen, was ihre Aufgabe ist. Es dürfen keinesfalls zwei Aufträge zugleich gegeben werden. Mehrere Anforderungen zur gleichen Zeit lösen große Verwirrungen aus, in Folge wäre eine Kooperation unmöglich.

      Für mein Vorhaben hatte ich mir einen Lernschreibkoffer für Kinder gekauft. Die einzelnen Buchstaben des ABC waren auf magnetische Holzklötze geschrieben. Dazu gab es Tafeln mit Magnetstreifen, damit die Buchstabenklötze nicht verrutschten. Auf dem Magnetstreifen waren diverse Namen bereits vorgeschrieben. Zu diesen Namen gehörten Holzklötze mit entsprechend passender Zeichnung. Ich klemmte mir Dominic zwischen die Beine, legte seine Hand in meine geöffnete Hand und zeigte mit ihm zusammen auf einen Holzklotz, auf welchem ein Baum abgebildet war, und sprach ihm das Wort „Baum“ vor. Wir übten immer wieder dasselbe, bis er zu begreifen begann, was ich von ihm wollte, wenn ich „zeig Baum“ sagte.

      Als ich merkte, dass er sich gut führen ließ, war der nächste Schritt, meine Führung