konnte es deshalb in Spanien weiterkursieren. Sein französischer Übersetzer, Joseph Peyré, adaptierte Chaves Nogales’ Plot und erhielt für Sang et Lumières 1935 den Prix Goncourt. Man verglich den Roman eher mit Hemingways Death in the Afternoon (1932), denn mit Chaves Nogales’ brillanter Erzählung über den damals berühmtesten Bürger seiner Geburtsstadt Sevilla; man darf behaupten, dass Belmonte seinerzeit so berühmt wie Einstein war und wie der Physiker, nur als Torero, Hunderttausende auf die Straßen und Plätze zog – ein Phänomen, das die wechselseitige Bedeutung der Tageszeitung dieser Epoche eindrücklich hervorhebt. Die fiktive Autobiografie auf der Grundlage einiger Interviews erschien zunächst auch als Fortsetzung, in einer imposanten Auflage, stilistisch eine unbewusste Anlehnung an James Boswells The Life of Samuel Johnson (1791). Dennoch erinnerte sich nicht einmal Juan Belmonte an seinen Biografen Chaves Nogales, der übrigens nie einen Stierkampf live gesehen hatte.
Was die Wiederentdeckung Chaves Nogales’ für seine Kollegen um eine weitere Nuance pikanter macht: Er war mit dem höchsten spanischen Preis für Journalismus ausgezeichnet worden – dem Premio Mariano de Cavia – für eine Reportage über die Ankunft der amerikanischen Flugpionierin Ruth Elder. Eine Riesenstory, denn alle in Europa wollten dieses american girl haben, das nach der Atlantiküberquerung beinahe vor Lissabon ertrunken war. Chaves Nogales entführte sie wie eine moderne Europa listig mit einem eigens bereitstehenden Flugzeug nach Madrid, und wenn man richtig liest, entdeckt man, dass er nicht nur ein Faible für die Fliegerei hatte. Mit solchen Geschichten konnte Pessoa nicht überraschen, und er wird es auch nie, er brachte seine erotischen Eskapaden zwar bis zur gedruckten Version, aber er musste sie nicht fürchten – niemand las sie. Niemand, so wie er hieß: Herr Niemand. Herr Chaves Nogales indes wurde gelesen, seine Feinde kannten sich bestens aus, er stehe „auf den Todeslisten aller“, schrieb er im Vorwort zu seinen Erzählungen über den spanischen Bürgerkrieg ¡Blut und Feuer! (Sangre y fuego, Chile 1937), die er nicht mehr in Spanien veröffentlichen konnte. Er hielt seine Familie zu dieser Zeit noch zusammen, obwohl er, wie seine Tochter, Pilar Chaves, berichtete, offenbar kein Familienmensch war. Sie fand 1937/38–1940 Exil in Paris, wohin es zeitgleich etwa eine Million Menschen zog, die vor Faschismus und Bolschewismus flohen. Er erkannte, wie Frankreichs Bourgeoisie gewillt war, ihre Werte, die all diese Menschen in die Hauptstadt Europas hatte fliehen lassen, für das eigene Überleben in einem besetzten Frankreich „aufzugeben“ und somit nur noch ein Bollwerk in Europa blieb: England. Sein Buch Die Agonie Frankreichs, das er 1940–41 schrieb, hatte etwas von den Rufen der Kassandra. Rufe, die man von französischen Intellektuellen so nicht hörte. Jean-Paul Sartre schrieb das für Frankreich längst überfällige Buch – mit dem desavouierenden Titel Die Republik des Schweigens (La république du silence, 1944) zu spät, und es wurde keine Hymne auf die liberale, bürgerliche, demokratische, aufgeklärte Gesellschaft in Europa wie Die Agonie Frankreichs, die nach Chaves Nogales’ Analyse ein „feiger Niederfall der französischen Bourgeoisie“ war. Bourgeoisie, die „Herrschaft der Fiktion“, wie Pessoa dieses kleinere Übel einer Gesellschaft zwischen Utopismus und Militär-Diktatur nannte (Der Bankier und Anarchist, 1935). Chaves Nogales’ ›Agonie‹ war ein Appell an den Geist der Freiheit, zu widerstehen, an die freie Welt im von Totalitarismus eingekesselten Europa, die er mit seinen Mitteln als verfolgter Journalist nur bedingt erreichen konnte. Politisch orthodoxe Intellektuelle wie Louis Aragon oder Ilja Ehrenburg erreichten ihre Leser selbst zu Kriegszeiten (als spätes Exempel dieser ›Orthodoxie‹ sei hier Peter Weiss’ Die Ästhetik des Widerstands (1975–81) erwähnt). Heute reiht sich Chaves’ Nogales’ ›Agonie‹ samt seiner BBC-Beiträge, die man bis 1944 in Spanien hören konnte, zu Thomas Manns Deutsche Hörer! Radiosendungen nach Deutschland, 1940–1945 und ist heute eines der wenigen Zeugnisse eines Wegs, den Frankreich und Spanien zwischen Faschismus und Bolschewismus hätten einschlagen können. Ein Zeugnis beeindruckender Integrität, das die spanische Intelligenz verblüfft dastehen lässt, einmal ethisch, ein andermal rezeptionsgeschichtlich, wie dies Fernando Pessoa mit einer verblüfften literarischen Nomenklatur vor der Weltöffentlichkeit gelang. So ist Manuel Chaves Nogales, wie Javier Marías manifestiert, eine Entdeckung vor allem der Spanier und Spanierinnen im Angesicht ihrer Geschichte und nicht der Glanz einer Elite. Undenkbar, dass in Spanien jemand auf die Idee käme, Chaves Nogales’ unmittelbare Niederschrift zu negieren und seine Chronik Spaniens zwischen 1920 und 1944, ins Vergessen zurückzudrücken. Sie erläutert präzise und geduldig, aber auch ironisch und offensiv, wie in einem langen Brief an seine Landsleute, wer und wo die Feinde der Republik sind, die ihnen ein Leben als Bäcker, Lehrer, Bauarbeiter, als freier Mensch nehmen, der nicht bereit ist, ihren Ideologien zu folgen. Er reiste dafür, als Journalist mit ein paar Privilegien ausgestattet, zu den neuralgischen Punkten Europas – in das bolschewistische Russland, in das faschistische Deutschland, in das Italien Mussolinis – und für die vorliegende Reportage nach Afrika, wo er in einem Wüstenörtchen einen verwunschenen Sultan interviewte, der 1934 weitsichtiger war als die meisten Europäer, die nicht einmal einsichtig wurden, als das Unheil über sie hereinbrach. Diesem Sultan sollte noch eine besondere Rolle in der Geschichte Spaniens unter Franco zufallen.
Chaves Nogales war übrigens nicht der erste spanische Journalist, der sich auf den Weg nach Marokko machte. Luis de Oteyza flog, wie Chaves Nogales mit ähnlich tollkühnen Piloten und Foto-Reportern schon 1922 nach Marokko – trotz seines Interviews mit Abd El-Krim spielte er in der Wahrnehmung der Geschichte von ›Annual‹ aber keine erhellende Rolle. Eduardo Ortega y Gasset und Juan Ramón Sender sind hier wahrlich bessere Empfehlungen. Aber auf einem dieser Bilder von Oteyzas Foto-Reporter, dem berühmten Alfonsito, ist, auf dem Flugfeld von Kap Juby aufgenommen, deutlich Antoine de Saint-Exupéry zu erkennen. Eine elektrisierende Konstellation, wenn man sich Manuel Chaves Nogales vorstellt, der den europäischen Kontinent vom Kaspischen Meer bis in die Sahara mit dem Flugzeug erkundete, unzählige Male abstürzte, vor allem dann elektrisierend, wenn man Chaves Nogales’ Erleben der Wüste und des Fliegens mit Antoine de Saint-Exupérys Südkurier (1929) vergleicht.
Manuel Chaves Nogales, der für »Ifni« völlig unabsichtlich in die Rolle eines Luís de Camões geschlüpft war, zur Erinnerung, dieser überlieferte der Welt die Abenteuer Vasco da Gamas, hatte nicht für die Schublade geschrieben; was er in die Redaktion sandte, die seit der Gründung der AHORA 1930 auf ihn zugeschnitten war, ging so, wie er es formulierte, unmittelbar in die Druckerei. In dieser Hinsicht ist Chaves Nogales ein Exempel für die telegrafische Epoche des Journalismus, die er perfekt zu nutzen verstand. War er nicht am Strand der Enklave Ifni, als spanische Truppen anlandeten oder es versuchten? Mit den schnellsten zivilen Flugzeugen seiner Zeit eilte er nicht selten den Ereignissen voraus, um ihr stärkstes Momentum zu stellen, für das wiederum Schnelligkeit und journalistischer Instinkt vonnöten waren.
I
Reportage über die »Gefangenen« des Marokko-Kriegs
Januar 1934
Manuel Chaves Nogales 1933, als stellvertretender Direktor der AHORA in Deutschland.
ES GIBT KEINE GEFANGENEN
Eine gewissenslose Fantasterei um die Vermissten, ersponnen nach der Katastrophe von Annual
Kein Hinweis auf einen einzigen spanischen Militärangehörigen, der von den Stämmen des Drâa-Territoriums gefangen gehalten wird
Keine Verhandlungen der spanischen Regierung, um sie zu retten
Eine Kampagne, der man schleunigst Einhalt gebieten muss
Kabel des Sonderkorresponenten der »AHORA«
Tanger, 9. Januar 1934
Wieder gesellte sich zu den offenen Fragen unserer Nation die Sorge um die angeblichen Gefangenen von Annual, die, wie versichert wird, seit nunmehr zwölf Jahren im marokkanischen Inland leben, ohne dass man zu ihrer Rettung Verhandlungen aufgenommen hätte. Eine hartnäckig köchelnde Kampagne in der Presse,