Alexander Thiele

Allgemeine Staatslehre


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in letzter Zeit vor dem Hintergrund der Globalisierung immer wieder (allerdings zu Unrecht) in Frage gestellt.

       Staat als prozesshafte Integration (Rudolf Smend). Anders als Schmitt ging Smend nicht davon aus, dass dem Staat eine dauerhafte gefestigte politische Einheit voranging.[333] Die zunehmende Differenzierung der Gesellschaft führe vielmehr dazu, dass auch der Staat nicht mehr als etwas Dauerhaftes, sondern als etwas stets Wandelbares, als eine dynamische Einheit angesehen werden müsse, in der der erforderliche Zusammenhalt immer wieder neu hergestellt und realisiert werden muss: „Aus diesem Grund ist der Staat in der Integrationslehre keine an sich bestehende Person, die mit technischen und mit Machtmitteln bestimmte Aufgaben zu erfüllen sucht und dadurch in einen Gegensatz zum Einzelmenschen tritt. Das Problem der Fremdheit zwischen Staat und einzelnem kann gelöst werden, wenn der Staat nicht als reine Zweckschöpfung, sondern als eine Existenzweise und geistige Lebensgemeinschaft von Menschen erkannt wird. Die Integrationslehre unternimmt es, die Spannung zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft zu überwinden, indem der Staat als wesensnotwendige Lebensform des menschlichen Geistes betrachtet wird.“[334] Der Staat war für Smend eine konstante (geistige) Integrationsgemeinschaft. Er basierte auf dem „Sinnprinzip der Integration“ und überlebte allein dank eines gedachten Plebiszits, das sich jeden Tag aufs Neue wiederholte und mit dem die Bevölkerung ihre Zugehörigkeit zum Staat zum Ausdruck brachte: „[Der Staat] ist überhaupt nur vorhanden in |58|diesen einzelnen Lebensäußerungen, sofern sie Betätigungen eines geistigen Gesamtzusammenhangs sind, und in den noch wichtigeren Erneuerungen und Fortbildungen, die lediglich diesen Zusammenhang selbst zum Gegenstande haben […]. Es ist dieser Kernvorgang staatlichen Lebens […], für den ich […] die Bezeichnung Integration vorgeschlagen habe.“[335] Dass der moderne Staat auf die Integration seiner BürgerInnen angewiesen ist, wird heute nicht mehr bestritten. Smends Integrationslehre wird daher auch heute noch vielfach – nicht zuletzt im europäischen Integrationsprozess – rezipiert, was auch aufgrund ihrer inhaltlichen Offenheit gut möglich ist.[336] Wie Integration gelingen kann und wie unter anderem die (staatlich geförderte) Kultur dazu beitragen kann (etwa die Kunst) bleibt eine zentrale Frage im demokratischen Verfassungsstaat.