Ein alter, wohlhabender Pate des Doktor, der auf dem Lande wohnte, glaubte nämlich nach langer Krankheit dem Ende nahe zu sein und schickte ihm einen Wagen mit der Bitte, er und sein Vater möchten unverzüglich zu ihm kommen, damit sie bei seinem Tode zugegen wären und seine Seele Gott empföhlen. Der alte Schuster leerte zunächst eine Flasche, zog dann seinen Sonntagsrock an und machte sich mit seinem Sohne auf den Weg.
Diese Gelegenheit schien mir günstig, und ich gedachte, sie auszunützen, zumal da es für meine Ungeduld bis zum Ballabend noch viel zu lange hin war. Es gelang mir Bettina zu sagen, ich würde die Tür meines Zimmers nach dem Korridor zu offen lassen und ich erwartete sie, sobald alle anderen zu Bett wären. Sie antwortete, sie werde bestimmt kommen. Sie schlief im Erdgeschoß in einer Kammer, die nur durch eine einfache Scheidewand von der Schlafkammer ihres Vaters getrennt war. Der Doktor war verreist; ich schlief also allein im großen Zimmer. Die drei Pensionäre hatten einen Saal, der für sich lag; ich hatte also kein Hindernis zu befürchten und ich war entzückt, dass endlich der ersehnte Augenblick da war.
Kaum war ich in meinem Zimmer, so schob ich den Riegel vor und öffnete die nach dem Korridor führende Tür, so dass Bettina sie nur aufzustoßen brauchte, um eintreten zu können. Dann löschte ich mein Licht, zog mich aber nicht aus.
Wenn man in einem Roman derartige Situationen beschrieben findet, scheinen sie einem übertrieben. Aber das ist nicht der Fall, und Ariostos Beschreibung von Ruggiero, wie er auf Alcina wartet, ist ein schönes Bildnis nach der Natur.
Ich wartete bis Mitternacht, ohne mich zu beunruhigen. Als ich aber die zweite, die dritte, die vierte Morgenstunde verstreichen sah, ohne dass Bettina erschien, da erhitzte sich mein Blut, und ich wurde wütend. Der Schnee fiel in dicken Flocken, aber ich litt noch mehr von meinem Zorn als von der Kälte. Eine Stunde vor Tagesanbruch konnte ich meine Ungeduld nicht mehr bemeistern; ich entschloss mich, ohne Schuhe hinunterzugehen, um den Hund nicht aufzuwecken, und mich unten auf die Treppe zu setzen, die nur vier Schritt von Bettinas Tür entfernt war. Wäre Bettina nicht in ihrer Kammer gewesen, so hätte diese Tür offen sein müssen. Ich ging auf die Tür zu und fand sie geschlossen; und da sie nur von innen verschließbar war, so dachte ich mir, Bettina müsse eingeschlafen sein. Ich wollte anklopfen, tat es aber nicht, weil ich fürchtete, der Hund könnte aufwachen. Von dieser Tür bis zu Bettinas Kammertür waren noch zehn bis zwölf Schritt. Von Kummer erdrückt und nicht wissend, wozu ich mich entschließen sollte, setzte ich mich auf die unterste Treppenstufe; kurz vor Tagesanbruch aber war ich so niedergeschlagen, so erstarrt und vor Kälte schlotternd, dass ich mich entschloss, wieder in mein Zimmer zu gehen; ich fürchtete auch, die Magd könnte mich auf der Treppe finden und denken, ich wäre verrückt geworden. Ich stand auf; im selben Augenblick hörte ich ein Geräusch in Bettinas Zimmer. Nun war ich sicher, dass sie kommen würde, die Hoffnung gab mir neue Kräfte, ich eilte auf die Tür zu, sie öffnete sich. Aber statt dass Bettina herauskommt, sehe ich Cordiani, der mir einen so furchtbaren Fußtritt vor den Bauch gibt, dass ich weit zur Tür hinausfliege und draußen im Schnee liege. Ohne sich bei mir aufzuhalten, läuft Cordiam weg und schließt sich in den Saal ein, den er gemeinsam mit seinen Kameraden, den beiden Feltrini, bewohnt.
Schnell springe ich auf, um mich sofort an Bettina zu rächen, die in diesem Augenblick nichts vor meiner Wut hätte retten können. Ich finde ihre Tür verschlossen und versuche sie mit einem kräftigen Fußtritt zu sprengen. Der Hund fängt an zu bellen, und ich laufe schnell die Treppe hinauf in mein Zimmer, wo ich mich einschließe und zu Bett gehe, um Leib und Seele wieder warm zu bekommen; denn ich war mehr als tot.
Betrogen, erniedrigt, misshandelt, ein Gegenstand der Verachtung für einen glücklichen, triumphierenden Cordiani, so verbrachte ich drei Stunden damit, den schwärzesten Racheplänen nachzuhängen. Sie alle beide zu vergiften, schien mir in diesem furchtbaren und unglücklichen Augenblick sehr milde zu sein. Diesen Plan ließ ich fallen und ging zu einem anderen über, der ebenso unbesonnen wie niederträchtig war: Ich wollte sofort mich aufmachen, um ihrem Bruder alles zu hinterbringen. Ich war erst zwölf Jahre alt, mein Geist hatte noch nicht gelernt, kalten Blutes heroische Rachepläne zu überlegen, die ihren Ursprung nur in falschem Ehrgefühl hatten. Ich war noch ein Neuling in Dingen dieser Art.
In solcher Stimmung befand ich mich, als ich plötzlich vor meiner Tür die heisere Stimme von Bettinas Mutter hörte; sie bat mich schnell herunterzukommen, ihre Tochter liege im Sterben. Es hätte mich geärgert, wäre sie gestorben, ehe ich mich an ihr gerächt; schnell sprang ich aus dem Bett und ging hinunter. Ich sah sie auf dem Bett ihres Vaters in fürchterlichen Krämpfen liegen; alle Hausgenossen standen um sie herum. Ihr halbnackter Leib bog sich; sie drehte sich nach links und rechts, schlug wild mit Händen und Füßen um sich, und vereitelte durch ihre heftigen Stöße alle Bemühungen sie festzuhalten.
Noch ganz voll von den Ereignissen der Nacht, wusste ich bei diesem Anblick nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich kannte weder die Natur noch die Listen der Menschen, und ich war erstaunt, mich hier als kühlen Zuschauer zu sehen und beim Anblick von zwei Menschen, von denen ich den einen zu töten, dem anderen die Ehre zu nehmen gedachte, meine Selbstbeherrschung bewahren zu können. Nach einer Stunde schlief Bettina ein. In diesem Augenblick kamen gleichzeitig eine Hebamme und der Arzt Olivo an. Die Frau sagte, Bettinas Krämpfe würden durch ein hysterisches Leiden verursacht, der Doktor behauptete das Gegenteil und verordnete Ruhe und kalte Bäder. Ich sagte dazu kein Wort, aber ich lachte im Stillen über beide, denn ich wusste oder glaubte zu wissen, dass des Mädchens Krankheit nur von ihren nächtlichen Arbeiten herrührte oder auch vielleicht von ihrer Angst wegen meines Zusammentreffens mit Cordiani. Wie dem auch sein mochte, ich entschloss mich, meine Rache bis zur Ankunft ihres Bruders zu verschieben, obwohl ich die Krankheit Bettinas keineswegs für erheuchelt hielt; denn es schien mir unmöglich zu sein, dass sie so viel Kraft hätte.
Um in mein Zimmer zu gelangen, musste ich durch Bettinas Zimmer gehen; auf ihrem Bett lag ihre Tasche und bei diesem Anblick bekam ich Lust, sie zu untersuchen. Ich fand darin ein Briefchen, und da ich Cordianis Schrift erkannte, nahm ich es mit, um es auf meinem Zimmer in aller Ruhe zu lesen. Erstaunt war ich über die Unvorsichtigkeit des Mädchens, denn ihre Mutter konnte den Brief finden, und da sie nicht lesen konnte, würde sie ihn ihrem Sohn, dem Doktor, gegeben haben. Ich dachte, sie müsse den Kopf verloren haben, aber man stelle sich meine Empfindungen vor als ich folgende Worte las:
„Da Ihr Vater verreist ist, brauchen Sie nicht wie sonst Ihre Tür offen zu lassen. Sofort nach Tisch werde ich mich in Ihre Kammer begeben; dort werden Sie mich finden.“
Zuerst war ich ganz starr vor Staunen; dann dachte ich über die Sache nach und musste lachen, als ich sah, wie gründlich ich angeführt worden war; ich glaubte mich von meiner Liebe geheilt. Cordiani schien mir entschuldbar, Bettina verächtlich. Ich wünschte mir Glück, eine ausgezeichnete Lehre für mein ganzes Leben erhalten zu haben. Ich ging sogar so weit, zu finden, dass Bettina recht gehabt, mir, der ich noch ein Kind war, den fünfzehnjährigen Cordiani vorzuziehen. Obwohl ich aber geneigt war zu vergeben und zu vergessen, lag mir doch Cordianis Fußtritt schwer auf der Seele; den vergab ich ihm nicht.
Als wir mittags in der Küche, wo wir der Kälte wegen aßen, bei Tisch saßen, ertönte plötzlich von neuem Bettinas Geschrei. Alle liefen zu ihr; nur ich blieb ruhig sitzen und aß zu Ende; hierauf ging ich wieder an meine Arbeit.
Als ich abends zum Essen herunterkam, sah ich in der Küche Bettinas Bett neben dem ihrer Mutter; aber ich kümmerte mich nicht darum, ebenso wenig wie um den Lärm, der die ganze Nacht anhielt, und um die allgemeine Aufregung, als sie am nächsten Morgen wieder Krämpfe bekam.
Am Abend kamen der Doktor und sein Vater zurück. Cordiani, meine Rache fürchtend, kam zu mir und fragte mich, was ich zu tun gedächte. Als er mich aber, das offene Messer in der Hand, auf sich zukommen sah, lief er eilends davon. Daran, dem Doktor die ärgerliche Geschichte zu erzählen, hatte ich gar nicht wieder gedacht; ein Plan dieser Art konnte in meinem Geist nur in einer augenblicklichen zornigen Aufwallung auftauchen.
Am anderen Morgen unterbrach die Mutter uns während der Lehrstunde, um nach vielen Umschweifen dem Doktor zu sagen, sie glaube herausgebracht zu haben, was es mit der Krankheit ihrer Tochter auf sich habe. Diese sei von einer Hexe bezaubert, und sie kenne diese Hexe.
„Das