Franz Werfel

Der veruntreute Himmel


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mit keifendem Schimpf ab. Und dazwischen schnauften noch die Akkorde der Ziehharmonika. Wir starrten überwältigt, daß ein einzelner dieses rhythmische Toben und Quäken einer Jazzband zustande bringe. Auf Philipps hin und her gepeitschtem Gesicht aber malte sich ein fassungsloser Fanatismus ab, von dessen Vorhandenheit ich trotz alles Musizierens bisher nichts geahnt hatte. Da geschah es, daß mich jener Schreck erfaßte. Seine Nummer aber war noch nicht das Hauptstück. Das kam erst, als er wieder als Ansager vortrat und mit tiefem Ernste verkündete:

      »Als nächstes, meine Damen und Herren, bringen wir Ihnen eine Künstlerin, die Sie alle kennen und schätzen. Sie wird ein liebliches Volkslied zum besten geben und sich dabei selbst begleiten. Es ist uns nur unter den größten Opfern und nach langwierigen Verhandlungen, die sich schon zu zerschlagen drohten, endlich gelungen, die Meisterin zur Mitwirkung an unserer Festakademie zu bewegen. Ich muß mich mit meiner Conference beeilen, denn die Sängerin – eine zweite Garbo an Scheu und Empfindsamkeit – wird draußen von zwei Mitgliedern festgehalten, damit sie nicht davonlaufe und kontraktbrüchig werde.«

      Philipp neigte sich vor und flüsterte:

       »Ich möcht' Sie noch auf einen besonderen Reiz der kommenden musikalischen Nummer aufmerksam machen. Die Künstlerin in ihrer charakteristischen Eigenwilligkeit spielt und singt ohne Vorzeichen, das heißt, sie schaltet die Kreuzchen und B der verschiedenen Tonarten geflissentlich aus, wodurch sie bestimmte fremdartige Wirkungen erzielt, um die sie mancher moderne Komponist beneiden könnte. Ich bitte die Herrschaften, unsere scheue Attraktion sofort durch donnernden Applaus zu ermuntern und von Fluchtgedanken abzubringen.«

      Nach diesen Worten stürzte er ins Haus und kam erst nach einer spannenden Pause zurück, die widerstrebende Teta am Arme führend. Als sie in der Mitte der Terrasse das schon vorbereitete Tischchen erreicht hatte, gab Philipp mit einer ritterlichen Verbeugung die festlich gekleidete Magd frei und legte ihr die Zither mit dem untergeschobenen Notenblatt zurecht. Sie lachte laut und verlegen auf, machte ihren eigenartigen Knicks und murmelte entschuldigend:

      »Weil's halt der junge Herr so viel gewünscht haben – tu ich's mit Erlaubnis – und für die gnä' Herrschaft.«

      Dann setzte sie sich hin, nestelte ihre Stahlbrille hervor und versenkte sich aufmerksam in das Blatt, während sie ihre knorrig abgearbeiteten Finger zögernd auf die Saiten legte. Und jetzt sang sie. Wenn ich mich recht erinnere, war's das berühmte Lied von Koschat:

      »Verlassen, verlassen, verlassen bin i,

      Wie ein Stein auf der Straßen ...«

       Diesen todtraurigen, herzerweichenden Schmachtfetzen aus einer glücklichen Zeit hatte Teta gewählt. Vermutlich bestand ihr Repertoire nur aus traurigen Stücken. Die harte slawische Aussprache ihres Vortrags aber nahm dem Stück jede Sentimentalität und den Charakter der sich selbst bewinselnden Verlassenheit. Dazu kam noch die Sache mit den fehlenden Vorzeichen. Während ihres musikalischen Selbstunterrichtes waren Teta Sinn und Zweck der Halbtöne verborgen geblieben, die auf den Saiten der Zither durch Griffe eigens erzeugt werden müssen. Ich hatte anfangs gefürchtet, es würde sehr komisch sein und der Lacher werde sein unwiderstehliches Zeichen geben und die Magd sich verhöhnt fühlen. Schon hatte ich mich über Philipp geärgert, daß er Teta ins Spiel gezogen. Aber es war nicht komisch, sondern, genau nach den Worten des Ansagers, seltsam und fremdartig. Der Lacher und sein Gefolge lachten nicht, sondern schauten mit überraschten Gesichtern drein. Teta sang nicht wie eine alte Frau. Sie hatte die kühle und klare Stimme eines Jungmädchens, ja eines Kindes. Eine dünne, eine strohblonde Stimme, möchte ich sagen. Wenn man die Augen schloß, hätte man meinen können, ein kleines Hirtenmädel auf einer verlorenen Hutweide zu hören. Nein, das stimmt nicht ganz. Ihr Gesang hatte etwas mühsam und unnachgiebig Fortschreitendes, denn die stammelnden Finger hatten ihre liebe Not, die vorgeschriebenen Saiten zu finden. So war das suchende Spiel und der dünne klare Gesang zugleich eine ernste Arbeit, in die Teta versunken schien, als sitze sie ganz allein mit ihrer Zither auf dem Platzl unter den hundertjährigen Linden.

      Die zweite Strophe aber war noch nicht zu Ende, als ein heiseres Knurren und Kläffen aus dem Dunkel brach, leidenschaftliches Atmen hörbar wurde und ein struppiger Hundeleib sich durch die Zuschauer schmiegte. Mit einem Satze sprang Burschl auf die Terrasse. Die Zunge hing ihm lang aus dem Rachen. Er schleppte seine Kette nach. War's ein Jungenstreich von Philipp, ein Racheakt Bichlers, oder hatte sich Wolf aus eigener Machtvollkommenheit sehnsüchtig losgerissen, als er die Stimme seiner musikalischen Gefährtin hören mußte, auf die kein anderer ein Anrecht besaß als er? Er murrte eifersüchtig, und der tote Milchopal seiner Augen starrte feindselig ins Publikum, das in Bewegung geraten war.

      Teta hatte sich erhoben. Sie schalt:

      »Was ist denn, Burschl, Schlimmer? Aber so was! Was willst du dahier? Wart nur! Kusch dich jetzt!«

      Daraufhin streckte sich der Wolfshund nicht unzufrieden und recht erwartungsvoll zu ihren Füßen aus. Sie aber machte wieder ihren Knicks, lachte verlegen und sagte: »Bitt' um Verzeihung für das Viecherl – er mag die Kette gar nicht leiden.«

      Dann streckte sie die Hand nach der Zither aus, um ihre Darbietung abzubrechen und sich zurückzuziehen. Dies aber verwehrte der donnernde Applaus. Die Leute riefen: »Bis, bis!« »Noch einmal!« – »Wir wollen weiterhören!« Teta zögerte, lachte wieder, warf einen langen Blick auf Livia, dann meinte sie:

      »Wenn die gnä' Herrschaft, bitt' schön, befiehlt ...«

      Und schon saß sie wieder und erhob ihre klare Jungmädchenstimme, um die dritte Strophe von »Verlassen, verlassen, verlassen bin i« mit derselben arbeitsamen Versunkenheit wie die früheren abzusingen. Ich mußte an ihren Lebensplan denken und begann nun ihr Wesen auch aus diesem konsequenten Gesange zu verstehen. Burschl erwies sich diesmal als großmütiger Nebenbuhler. Er gab der kritischen Versammlung die Ehre und störte nur durch zweimalig kurzes Duettieren das Solo seiner Meisterin.

      Nachher trat der Hausherr zu Teta auf die Terrasse und überreichte ihr ein volles Glas mit den Worten:

      »Ich dank' Ihnen vielmals, Fräul'n Teta – es ist sehr lieb von Ihnen, daß Sie zum Gelingen unseres Festes so viel beigetragen haben. – Ich trink' auf Ihr Wohl.«

       »Aber so was«, sagte Teta, »die gnä' Herrschaft«, und nippte an der Bowle. Philipp reichte ihr den Arm und führte sie die Stufen der Terrasse hinab unter die Gesellschaft. Sie wurde von allen angesprochen und belobt. Inzwischen – Mitternacht war lang vorüber – begannen die jungen Leute zu tanzen. Man zog Teta an einen der kleinen Tische, die im Park aufgestellt waren. Dort saß sie unter uns, trank Kümmel mit kleinen, aber aufmerksamen Schlucken und knabberte an dem Backwerk, das ihr Livia servierte. Sie sprach wenig und nur dann, wenn sie gefragt wurde. Ich versuchte, ein Gespräch anzuknüpfen:

      »War's nicht lustig heut abend, unser Fest, Fräul'n Teta?«

      »Sehr lustig und sehr unterhaltlich«, sagte sie.

      »Und Glück haben wir gehabt mit dem Wetter. – Diese schöne Nacht!« Sie begann ihr bewunderndes Kopfschütteln und holte den Refrain aus der Tiefe:

      »Eine Pracht ist das wirklich, diese Nacht.«

       Sie trug ein altmodisches schwarzes Magdgewand – vermutlich ein Weihnachtsgeschenk Livias – und auf dem Kopf die weiße Krause, Abzeichen des dienenden Standes, das sie auch heute abend nicht abgelegt hatte; zur Empörung Herrn Bichlers, der in einem braunen Samtrock und mit weißen Seglerschuhen sich produziert hatte. Aufrecht saß sie da, die Hände im Schoß gefaltet, ließ ihre hellen Augen aufmerksam wie eine Schwerhörige im Kreise wandern und lauschte den geistreichen Spaßreden des witzigen Kopfes, als sei es nie zu spät, von Klugen, Gebildeten und Hochgestellten etwas zu lernen. Aus solchem Munde bereicherten auch Worte, die man nicht verstand. Ich aber wußte, daß dieser witzige Kopf ein armes, willenloses Irrlicht war gegenüber der Dienerin, die ihr Leben vorsorglich nach Zeitmaßen baute, zu denen ein auf schnelle Wirkung bedachter Verstand sich gar nicht aufzuschwingen vermag. Jetzt begriff ich auch Livias Klage über die »ewig fremde Person, die man da im Hause hat«. Teta hatte wirklich nicht die geringste Ähnlichkeit mit jenen altgewordenen Hausgeistern, die sich in gutgearteten Familien auflösen wie eine Ingredienz, die ihr ganzes Selbst