Wilhelm Stekel

Die Sprache des Traumes


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zum Dichter: „Sie hier?“ Er sieht mich liebevoll an und sagt: „Gott sei Dank, Sie sind gerettet!“ „Und Sie, wie kommen Sie jetzt hierher?“ frage ich. „Ich bin ja Mediziner, gnädige Frau“, sagt er, „habe bei der Operation assistiert.“ Meine Wangen glühen, ich lege den Kopf seitwärts in die Kissen und schließe die Augen.“

      Alle Wünsche gehen in Erfüllung. Sie hat einen wunderschönen weißen Körper. Der Dichter ist Arzt und hat sie nackt gesehen. Er hat sie operiert und gerettet (beide Ausdrücke Symbolismen für den Kongressus). Alles ging ehrbar vor sich. Ihr Mann war dabei. Ihre mimosenhafte Schamhaftigkeit wurde nicht verletzt. Alles ging in der Narkose vor (Ich weiß es längst, dass die nach Narkosen auftretenden Neurosen und Psychosen auf solche unbewusste Vergewaltigungsphantasien zurückgehen. Vergleiche das ähnliche Beispiel in den „Nervösen Angstzuständen“) sich…

      Einer der nächsten Träume (Nr. 24) bringt ein ähnliches Problem in neurotischer Verzerrung. Wir wollen jetzt einen politischen, sogenannten schönen Traum analysieren. Der Traum ist sehr lebhaft und gestattet einen tiefen Einblick in die gebräuchlichste Traumsymbolik.

      Der Traum vom Rathaus

       Der Traum vom Rathaus

      (22.) „Im Rathause großer Empfang. Auch der Kaiser ist anwesend. Unten eine vieltausendköpfige Menge, die die Abfahrt des Kaisers erwartet. Es ist Abend und der Platz vor dem Rathause ist feenhaft beleuchtet. Vor dem Haupteingange drei Gestalten, die gleichsam Wache halten. In der Mitte ein überlebensgroßer Mann in der Rüstung des eisernen Mannes, ein blendend weißes Licht geht von ihm aus. Zu seiner Rechten und Linken je eine Figur in gleicher Tracht, in goldenen Gewändern. Diese beiden sind schweigsam, fast unbeweglich, nur der eiserne Mann ist nervös, er kann den Moment nicht erwarten, wo er dem Volke zurufen wird: Der Kaiser kommt! — Stundenlang harrt die Menge. Ich und wenige andere haben das Glück, eingelassen zu werden. Wir werden den Kaiser in unmittelbarer Nähe sehen dürfen, dieser Gedanke verursacht mir ein ganz außergewöhnliches Herzklopfen. Ich werde selbst nervös und renne auf der Treppe atemlos bergauf, bergab. Eine unbeschreibliche Aufregung hat sich meiner bemächtigt; da höre ich plötzlich von draußen tosenden Lärm, wie das Brüllen des Meeres tönt es herein und schaurig widerhallt es in dem Wunderbau. Erschreckt frage ich einen Diener, was geschehen sei. Er sagt: Die drei vor dem Tore seien des Wartens müde geworden und hätten unter Verwünschungen gegen das Haus ihre Posten verlassen, das Volk sei dadurch noch ungeduldiger geworden und darum brülle es. In diesem Augenblick öffnen sich die Saaltüren, ein Meer von Licht blendet mir die Augen. Ich sehe den Bürgermeister mit der großen goldenen Kette und den roten Ordensbändern die Treppe heruntereilen, ganz nahe an mir vorbei, ich spüre fast seinen Atem; es reißt mich mit, ich stürze ihm nach, die großen Tore des Hauses springen auf, wie von Geisterhand geöffnet. Der Bürgermeister ruft erregt: Wo ist der Kaiser? Man bedeutet ihm, der Kaiser hätte bei einer Seitentür das Rathaus verlassen und fahre gerade vis-à-vis beim Burgtheater. Ich sehe den Wagen noch ganz deutlich in der Volksmenge verschwinden. Aber jetzt regt sich kein Laut… dann bin ich erwacht!“

      Der Traum eines Dichters, voll von dramatischem Leben, voll von plastischen Gestalten, der anscheinend politische Verhältnisse behandelt. Ein junger Mann hat ihn geträumt, der ein armes Mädchen heiraten will. Seine Eltern sind dagegen. Sein Vater (der Kaiser!) ist jetzt mittellos und auf seine Unterstützung angewiesen. Am Vorabend des Traumes sann er lange verzweifelt nach, wie er sich aus dieser bitteren Lage befreien könne. Der Traum hat ihm die Lösung gebracht. Im Hause der Braut, wo er sich gut beraten wähnt (Rathaus), ist großer Empfang. Bei der Analyse schwebt ihm ein Ball, eine Hochzeit vor. Er soll heiraten (Empfängnis). Aber zuerst muss der Vater (Kaiser) abfahren (sterben), dann ist das Hindernis beseitigt. Ein Todeswunsch gegen den Vater. Die vieltausendköpfige Menge, die widrigen Verhältnisse. Vor dem Rathause wachen drei Gestalten. Der eiserne Mann ist wieder der Vater (überlebensgroße!), der trotz seiner Rüstigkeit nichts verdient. Daher die Rüstung. — Das blendendweiße Licht, das von ihm ausgeht, ist eine Verspottung seiner Glatze und seiner geringen hausbackenen, philiströsen (kleinbürgerlich-engstirnig) Verstandes. Die schweigsame Figur ist in goldenen Gewändern ist sein goldiges Mutterl, ebenfalls verdoppelt, die ihm keine Vorwürfe macht; der eiserne Mann (eiserne Gesundheit!) ist nervös und spielt sich immer auf den Haustyrannen heraus. Der Kaiser kommt! Weiter entwickelt dieser wunderbare Traumbau die Gefühle in der Brust des jungen Mannes; der Vater soll das entscheidende Wort sprechen, die Verhältnisse sprechen ihr gewaltiges Wort. Der Vater hat seinen Posten als Beamter verloren (die drei vor dem Tore haben den Posten verloren), dadurch sind die Verhältnisse unleidlich geworden. Jetzt kommt die Wunscherfüllung in strahlender Form. Ein Meer von Licht blendet die Augen. Der Bürgermeister ist seine Geliebte, seines bürgerlichen Herzens Meisterin, die goldene Kette die Ehekette und die roten Ordensbänder — die roten Ordensbänder bedeuten Blut — sagt die Analyse. Deutet, wie ihr‘s wollt, je kühner desto besser. Wie beschreibt er die Macht der Geliebten? Ich spüre fast seinen (ihren) Atem, er reißt mich mit, ich stürze ihm (ihr) nach, alle Hindernisse sind überwunden, die Tore des großen Hauses springen auf, wie von Geisterhand geöffnet. Der Kaiser fährt beim Burgtheater vorbei. Dort sah er vor einigen Tagen einen großen Leichenzug. Das Burgtheater als Symbol des Elternhauses ist nun ein überwundener Standpunkt. — Kaiser und Burgtheater — beide überwundene Standpunkte.

      Er war im Traume ungeheuer erregt. Aber Kaiser und Bürgermeister lassen ihn im gewöhnlichen Leben kalt. Nur weil sie hier Symbole sind, weil der Kaiser sein größtes Hindernis, seinen Vater, und der Bürgermeister sein sehnlichstes Ziel, seine Geliebte, symbolisieren, verknüpfen sich mit diesen Traumgedanken so ungeheure Affekte. Sehr hübsch ist der Satz: Der Bürgermeister ruft erregt: Wo ist der Kaiser. Das ist gleichsam der Höhepunkt des kleinen Dramas, das sich vor uns abgespielt hat, die große Szene zwischen dem Vater und der Geliebten. Natürlich siegt sie. Wer jedoch glauben würde, dass diese Analyse einigermaßen erschöpfend ist, der würde sich einer argen Täuschung hingeben. Der Traum zeigt uns das Rätsel seiner Liebe. Er bat eine Identifizierung seiner Mutter mit der Geliebten vollzogen. Das Rathaus bedeutet ebenso die Mutter als die Geliebte; es bedeutet eben die geliebte Mutter oder die Geliebte, die die Mutter seiner Kinder werden soll. Die Mutter empfängt den Vater (Kaiser) — natürlich am Abend. Die tausendköpfige Menge bedeuten immer die rebellischen Wünsche, die unzähligen bösen Gedanken und infolgedessen natürlich auch auf dem Wege des Gegensatzes ein Geheimnis. Die drei Gestalten, die Wache halten, symbolisieren wie die meisten Drei den Penis und die beiden Hoden. Hier ist der Penis der „eiserne Mann mit der Lanze“; die Hoden (eigelb) sind durch goldene Gewänder („Die goldenen Kugeln“ als Testikel „Anthropophyteia. II, Bd. S. 142.) charakterisiert. Einer rechts, der andere links. Es entspricht einer uralten Traumsymbolik, dass der Vater auch den Gebärvater, d. h. den Penis bedeutet. Die Hoden sind natürlich „unbeweglich“, nur der Penis will, dass es ihm „kommen“ soll.

      „Ich und einige andere haben das Glück eingelassen zu werden.“ (Er hat zwei Geschwister. Sie sind drei Kinder in der Familie.) Natürlich, es war ja im Mutterleibe drinnen. Nun macht er aus der Vergangenheit die Gegenwart. Er wird alle Vorgänge belauschen können. (Ein Thema, das uns noch oft beschäftigen wird: die Mutterleibsphantasie!)

      Die Wünsche werden immer drängender. Die drei eines anderen — werden seine Dreieinigkeit (Interessantes Material zur Symbolik findet sich in dem Buche: „Ancient Pagan and Modern Christian Symbolism“ by Thomas Juman. M. D. Second Edition. New York. Pater Ecker, Publisher. Nach diesem Autor stellt das Kreuz die Vereinigung von 4 Phalli dar, ist phönizischen Ursprungs und hat von Haus aus nichts Christliches an sich. Der Cruxansatz repräsentiert die Kombination der Dreifaltigkeit mit der Einheit. Es ist dasjenige Symbol, das man in der ägyptischen Kunst am häufigsten antrifft.). Der Kaiser verlässt durch eine Seitentüre das Haus (d. h. er stirbt; sein Wagen verschwindet in der Volksmenge) die Situation wird immer mehr einem Coitus ähnlich (treppauf – treppab) und unser Träumer erwacht.

      Natürlich mengt sich die Geburtsphantasie mit der Deflorations-Phantasie. Er will nicht so lange warten. Der „Eiserne Mann“ ist ungeduldig. –

      Ein anderes Bild:

      Der