Magda Trott

Goldköpfchen Gesamtausgabe (Alle 13 Bände)


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unsere Kutscher zur Schonung der Tiere anzuhalten, aber nicht immer erfahren wir von den scheußlichen Mißhandlungen. Wir hörten von Ihrem tapferen Vorgehen und danken Ihnen nochmals von Herzen.«

      Mit einer tiefen Verbeugung legte er das Konfekt und die Blumen in Bärbels Hand.

      Goldköpfchen konnte nichts sagen. Sie stotterte etwas Unverständliches. Am liebsten hätte sie sich hinter die Großmutter versteckt. Lieber Himmel, was hatte sie denn so Aufsehenerregendes getan? Ein Herr der Kohlenfirma kam zu ihr, und heute früh hatte sie die Rede des Direktors angehört.

      Der nette Herr richtete noch mehrfach das Wort an Bärbel, aber die junge Sekundanerin war in ihrem ganzen Leben noch niemals so verlegen gewesen wie heute. So empfahl sich Herr Müller bald, nicht ohne daß er zuvor noch einen lächelnden Blick auf die Verlegene geworfen hatte.

      Als er gegangen war, blieb Bärbel noch stumm. Sie blickte abwechselnd auf die Rosen und auf das Konfekt.

      »So, mein liebes Kind, nun komm zu Tisch.«

      Schweigend folgte Bärbel. Neben dem Teller lag ein Zeitungsblatt, eine Stelle darin war rot angestrichen. Bärbel schaute darauf nieder. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Da stand zu lesen, daß die Untersekundanerin Bärbel W. gestern durch ihr resolutes Verhalten einer unerhörten Tierquälerei ein Ende bereitet habe. Die wohlverdiente Ohrfeige, die das junge Mädchen dem Kutscher verabreicht hätte, sei die einzig richtige Strafe für ein derartiges Verhalten. Der Artikel schloß mit den Worten: zur Nachahmung empfohlen!

      Zwei große blitzende Tränen rollten über Bärbels Wangen. Dann schlug sie die Augen zur Großmutter auf, das Antlitz war wie in Sonne getaucht.

      »Großchen«, klang es zitternd vor innerer Erregung.

      »Nun steht mein Bärbel sogar in der Zeitung.«

      »Großchen«, die alte Dame wurde von zwei Mädchenarmen fast erdrückt. »Nun hab’ ich mein Erlebnis, mein riesenhaftes Erlebnis! Großchen, jetzt bin ich glücklich!«

      In der Abendstunde kam ein Fliederstrauß, an dem hing ein Gedicht.

      »Von Gerhard Wiese«, jubelte Bärbel, dann las sie schwärmerisch:

      »Wo ist der Held, der Dir an Kühnheit gleicht?

      Die ganze Welt Dir heut den Lorbeer reicht.

      Du Pferdeschützerin, nimm diesen Flieder,

      Mein Herz senkt sich bewundernd vor dir nieder.«

      Bärbel stürmte zur Großmutter.

      »Großchen, wie sagt Carlos: o Gott, das Leben ist doch schön! Jetzt bin ich beglückt, jetzt bin ich befriedigt, mein Lebenszweck ist erfüllt!«

      Nachdenkliches

      Wieder einmal waren die Sommerferien gekommen, und Herr Apotheker Wagner hatte für dieses Jahr mit seiner Familie eine Erholungsreise an die Ostsee unternommen.

      Vier volle Wochen wollte man am Meere zubringen, zwar nicht immer im Beisein des Vaters, denn Herr Wagner konnte unmöglich so lange fern bleiben. Aber er hatte versprochen, acht Tage später zu erscheinen, sich dann eine volle Woche der Familie zu widmen, wieder für kurze Zeit heimzufahren, um den Rest der Ferien mit der Familie zu verleben.

      Bärbel strahlte. Sie liebte die Ostsee geradezu leidenschaftlich, außerdem freute sie sich auf das Neue, das sich ihr dort bieten würde. Sie war doch jetzt mit ihren sechzehn Jahren eine junge Dame und würde wahrscheinlich mit den Eltern zu den Tanzabenden gehen, sie würde auch sonst sicherlich vieles erleben. Oh, es würde herrlich werden!

      Bruder Joachim hatte sein Examen als Diplom-Ingenieur zur Zufriedenheit bestanden. Zwar hatte er nicht so glänzend abgeschnitten wie Harald Wendelin, der das Examen mit Auszeichnung gemacht hatte. Es war daher kein Wunder, daß der junge Diplom-Ingenieur sofort eine Stellung in einem großen Unternehmen bekam.

      Bärbel hatte einen Luftsprung gemacht, als sie erfuhr, daß die Firma nur eine halbe Stunde von Dresden entfernt ihre riesigen Anlagen hatte. Es würde also möglich sein, daß sie in der nächsten Zeit öfters mit Herrn Wendelin zusammentraf, denn er würde sicherlich zu Großchen kommen. Dann konnte man gemeinsam allerlei tolle Streiche unternehmen.

      Als sie bei den tollen Streichen angelangt war, zog sie die Nase kraus. Mit Harald Wendelin ließ sich eigentlich keine Dummheit machen. Er erschien ihr stets wie ein Vater, so ernst, so gemessen. Aber vielleicht gelang es ihr doch, ihn dazu zu bringen. Großchen hatte doch immer gesagt: zur Jugend gehöre Fröhlichkeit, Lachen und Singen. Warum sollte sie das dem ernsten Harald Wendelin nicht beibringen können!

      Auch Bruder Joachim war nicht mit an die Ostsee gereist. Er hatte zur Belohnung für das bestandene Examen eine größere Summe Geldes vom Vater erhalten und wanderte vergnügt durch die Alpen, die er bis jetzt noch nicht kannte.

      So war nun Frau Wagner mit Bärbel und den Zwillingen vorausgefahren und hatte in einem netten Hause bei dem Uhrmacher und Goldschmied Zapp Wohnung genommen.

      Da man mitten in die Hochsaison kam, wimmelte es von Badegästen. Welch ein lustiges Leben herrschte am Strande.

      Man krabbelte im Sande und baute Burgen, badete, lachte und tollte in der kühlen Flut, um dann scharenweise zu den Konzerten zu gehen, hin und her zu promenieren und – Bekanntschaften zu machen.

      Es wurde Bärbel heiß vor Erregung. Zum ersten Male in ihrem Leben durfte sie die junge Dame spielen, durfte sich nach eigenem Ermessen erfreuen, baden, Burgen bauen und auch Bekanntschaften anknüpfen, genau so wie alle anderen jungen Damen, die sie hier erblickte.

      An den Läden blieb sie voller Bewunderung stehen. Was gab es hier für herrliche Sachen! Noch viel schönere als in Dresden. Sofort erwachte in dem jungen Mädchen das glühende Verlangen, eine der schönen, bunten Ketten, einen neuen Badeanzug, einen grellbunten Bademantel und andere Herrlichkeiten zu besitzen.

      Es verging daher kein Tag, an dem das junge Mädchen nicht leicht schmollend zur Mutter kam.

      »Sie sind alle viel schöner als ich, liebe Mutti. Wenn ich mit meinem ollen weißen Bademantel am Strande liege, sehe ich aus wie ein Bettelweib. – Die meisten haben so schöne Ketten aus großen blauen oder roten Perlen. – Komm doch mal mit, liebe Mutti. Auf der Brücke ist ein Laden. Dort bekommt man schon für fünf Mark solch eine Kette.«

      »Du brauchst keine solche Kette, mein liebes Goldköpfchen.«

      »Ich habe doch das weiße Kleid mit den blauen Punkten. Wenn ich dazu eine solche blaue Kette hätte, würde ich gewiß auffallen, Mutti.«

      »Es wäre entsetzlich, wenn mein Bärbel auffiele.«

      »Nein, Mutti, ich fände das gar nicht entsetzlich, es wäre doch wunderschön. Schließlich ist man doch hierher gekommen, um den grauen Alltag zu verscheuchen und der Freude zu leben.«

      »Hast du denn nicht Freude genug, mein Kind?«

      Ein anderes Mal wieder kam sie mit der Frage, ob man wirklich schon nach vier Wochen heimreisen wolle. Ihre Bekannten vom Strande blieben alle die ganzen großen Ferien hier.

      »Da wollen wir doch auch fünf Wochen bleiben, liebe Mutti. Warum sollen wir denn eher heim als die anderen?«

      »Bärbel, Bärbel, sei zufrieden, daß du vier Wochen an der See sein kannst. Es gibt so viele, die sich mit ein paar freien Tagen begnügen müssen.«

      »Kaufst du mir dann aber die Kette? Morgen ist doch Tanzabend, und ich sehe so plundrig aus.«

      »Wenn du das meinst, Bärbel, so ist es bester, wir gehen erst gar nicht zu dem Tanzabend.«

      Erschrockenen Auges schaute Bärbel die Mutter an.

      »Ich meinte es ja nicht so«, meinte sie kleinlaut, »aber die Bekannten vom Strande haben Seidenkleider. Ich glaube, man darf nur in seidenen Kleidern zum Tanzabend kommen.«

      »O nein, mein Kind.«

      »Auf der Brücke ist ein Laden, Mutti, da gibt es schon