Emile Zola

Die Bestie im Menschen


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bei der Frau seinen Mann steht.. Großer Gott, wenn Du wirklich seine Tochter wärest?«

      Séverine war unwillig aufgesprungen, ihr Gesicht flammte und das Feuer ihrer blauen Augen unter dem schweren schwarzen Haar leuchtete unstät.

      »Seine Tochter, seine Tochter! ...Ich will nicht, daß Du mich damit neckst, verstanden? Wie könnte ich seine Tochter sein? Sehe ich ihm ähnlich? ... Genug davon, sprechen wir von etwas Anderem. Ich will einfach deshalb nicht nach Doinville fahren, weil ich es vorziehe, mit Dir nach Havre zurückzukehren,«

      Er wiegte beruhigend den Kopf. Wie ihr das im Augenblick in die Nerven gefahren war! Er lächelte, denn er hatte sie noch nie so aufgeregt gesehen, das machte wahrscheinlich der Weißwein. Es lag ihm daran, sie wieder gut zu stimmen und so ergriff er abermals das Messer, wobei er nochmals seiner Bewunderung einen lauten Ausdruck gab und reinigte es sorgfältig. Dann verkürzte er sich die Nägel, um zu zeigen, daß es wie ein Rasirmesser schnitt.

      »Schon vier und ein viertel Uhr,« bemerkte Séverine leise vor der Kukuksuhr. »Ich habe noch einige Wege ... Wir müssen an unsern Zug denken.«

      Doch ehe sie sich an die Ordnung des Zimmers machte, wollte sie sich erst noch etwas beruhigen und trat an das Fenster. Er ließ Messer Messer, Pfeife Pfeife sein, stand ebenfalls vom Tische auf, näherte sich ihr und nahm sie sanft in seine Arme. Er zog sie fest an seine Brust, drückte das Kinn auf ihre Schulter und preßte seinen Kopf an den ihren. Keines von Beiden rührte sich, ihre Augen suchten den Fernblick.

      Zu ihren Füßen kamen und gingen die kleinen Rangirlokomotiven noch immer rastlos; man hörte sie, gerade wie gewandte und kluge Wirtschafterinnen, kaum bei ihrer Thätigkeit, ihre Räder schienen umwickelt, ihr Pfiff ertönte discret. Die eine von ihnen verschwand jetzt unter dem Pont de l'Europe mit einem von Trouville gekommenen Zuge, dessen Waggons in die Schuppen gebracht wurden. Dort unten, jenseits der Brücke, kreuzte sie sich mit einer Lokomotive, die wie eine einsame Spaziergängerin, allein vom Depot kam; ihre Achsen und Kupfertheile leuchteten, als hatte sie soeben frisch und keck sich zur Reise angekleidet. Die große Maschine hielt jetzt und forderte durch zwei kurze Pfiffe den Weichensteller auf, die Geleise passirbar zu machen; dieser that es sofort und die Lokomotive rollte auf den in der Halle für den Fernverkehr abgangsbereit stehenden Zug zu. Es war der vier Uhr fünfundzwanzig Zug nach Dieppe. Ein Strom von Reisenden drängte durcheinander. Man hörte das Rollen der mit Gepäck beladenen Karren, die Gepäckträger beförderten Stück für Stück in die Waggons. Inzwischen war die Lokomotive mit ihrem Tender auf den Stirnwagen des Zuges aufgefahren, was einen dumpfen Krach gab und man sah einen Arbeitsmann die Koppelung aufwinden. Gegen Batignolles hin hatte sich der Himmel umdüstert; ein aschfarbenes Halbdunkel tauchte die Umrisse der fernen Gebäude in seine Schatten und schien schon über den sich ausbreitenden Fächer der Schienen zu kriechen. Und in diesem Dunkel kreuzten sich unaufhörlich die ankommenden und abfahrenden Züge des Ring- und Vorortverkehrs. Hier die düsteren Reihen der großen Glashallen, dort über dem verschleierten Paris röthliche, vielgezackte Rauchwolken.

      »Nein, nein, lasse mich,« sagte Séverine leise.

      Sein Athem strömte ihr in den Nacken. Allmählich war seine Zärtlichkeit eine innigere geworden; die Wärme ihres jungen, von ihm so eng umschlungenen Körpers brachte sein Blut in Wallung. Der von ihr ausgehende Duft berauschte ihn und das abwehrende Drängen ihrer Glieder fachte seine Wünsche vollends an. Mit einem Ruck hatte er sie vom Fenster los, dessen Flügel er schloß. Sein Mund fand den ihrigen, fast biß er ihre Lippen wund und mit unwiderstehlicher Gewalt drängte er sie zum Bett.

      »Nein, nein, wir sind nicht zu Hause,« wiederholte sie. »Ich bitte Dich, nicht hier in diesem Zimmer!«

      Sie fühlte sich ebenfalls durch die reichliche Sättigung und das genossene Getränk wie berauscht, und ihre Sinne waren von dem fieberhaften Sturmlauf nach Paris noch in Aufruhr. Dazu dieses überheizte Zimmer, diese überreiche Tafel, die Plötzlichkeit der Reise, die einen so guten Ausgang zu nehmen schien, alles das erhitzte ihr Blut und kitzelte ihre Nerven. Trotzdem weigerte sie sich, sie widerstand ihm und stemmte sich mit Leibeskräften gegen das Holzgestell des Bettes in einer Anwandlung von ihr selbst nicht erklärlicher Furcht.

      »Nein, nein, ich will nicht.«

      Er, das Blut im Gesicht, hielt sie mit seinen mächtigen brutalen Fäusten wie in einem Schraubstock.

      »Dummes Ding! Wer weiß es? Wir bringen ja das Bett wieder in Ordnung!«

      In Havre bildete, da er Nachtdienst hatte, die Zeit nach Tisch ihr gewöhnliches Kosestündchen, dem sie sich auch mit gefälliger Folgsamkeit nicht zu entziehen pflegte. Die Sache machte ihr zwar keinen Spaß, aber sie fühlte sich glücklich und behaglich bei dem Gedanken, auf ihr eigenes Vergnügen ihm zu Liebe verzichten zu können. In diesem Augenblick aber machte es ihn toll, daß er sie so feurig, von Leidenschaft durchzittert fühlte, wie er sie nie zuvor gekannt hatte. Der dunkle Wiederschein ihres Haares ließ die sonst so kühlen Augen unergründlich tief erscheinen, ihr stark entwickelter Mund schimmerte wie Blut in dem sanften Oval ihres Gesichts. Er hatte mit einem Male eine Frau vor sich, die er noch nie gesehen. Warum willfahrte sie ihm nicht?

      »Warum, sprich? Wir haben noch Zeit.«

      In ihrer unerklärlichen Angst, in dem Kampf, der sie hinderte, die Dinge klar zu erkennen, als wenn sie selbst sich als eine Andere erschiene, entfuhr ihr ein Schrei wirklichen Schmerzes, der ihn veranlaßte, sich ruhiger zu verhalten.

      »Ich beschwöre Dich, lasse mich! ... Schon der bloße Gedanke, in diesem Augenblick, erwürgt mich ... Das würde zu nichts Gutem führen.«

      Beide saßen jetzt auf dem Rande des Bettes. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als wollte er das siedende Gefühl von dort verwischen. Als sie ihn wieder vernünftig geworden sah, beugte sie sich liebenswürdig zu ihm und gab ihm einen derben Kuß auf die Backe, als Beweis, daß sie ihn trotzdem lieb hätte. Sie blieben dann einen Augenblick unbeweglich und lautlos sitzen. Er hatte ihre rechte Hand ergriffen und spielte mit einem alten Goldreif einer Schlange mit einem Köpfchen von Rubinen, den sie seit ihrer Hochzeit stets an demselben Finger trug. Stets halte er ihn dort gesehen.

      »Meine kleine Schlange,« sagte Séverine wie im Traume befangen; sie glaubte, er betrachte den Ring und sie empfand das dringende Bedürfniß zu reden. »In la Croix-de-Maufras wurde er mir geschenkt als ich sechzehn Jahre alt war.«

      Roubaud erhob überrascht den Kopf.

      »Wer hat ihn Dir geschenkt? Der Präsident?«

      Als sie die Augen ihres Mannes auf sich ruhen fühlte, war es ihr, als würde sie plötzlich aus dem Traume gerissen. Ein kaltes, eisiges Gefühl überlief ihre Wangen. Sie wollte antworten, fand aber nicht gleich die Worte, ihr schien, als hätte eine jähe Lähmung sie ergriffen.

      »Aber Du hast mir doch immer erzählt,« fuhr er fort, »Deine Mutter hätte Dir den Ring hinterlassen?«

      Noch in diesem Augenblick hätte sie den Eindruck der ihr in einem Moment völliger Geistesabwesenheit entschlüpften. Aeußerung wieder verwischen können, wenn sie gelacht oder die Zerstreute gespielt hätte. Aber nein, sie war wie verbohrt, als hätte sie keine Macht mehr über sich.

      »Ich habe Dir nie gesagt, mein Schatz, daß mir meine Mutter diesen Ring vermacht hat.«

      Roubaud sah ihr scharf in das Gesicht, auch er wurde bleich.

      »Nie? Du hast mir das nie gesagt? Nicht einmal, sondern zwanzigmal! ... Warum sollte Dir der Präsident auch keinen Ring schenken? Ich finde dabei nichts, er hat Dir ja so Manches geschenkt ... Aber warum hast Du es mir verheimlicht? Warum logst Du und schobst Deine Mutter vor?«

      »Ich habe meine Mutter nicht erwähnt, mein Lieber, Du irrst Dich.«

      Dieses hartnäckige Leugnen war eine Dummheit, Sie sah, daß sie sich selbst auslieferte, daß er ihr die Wahrheit von der Stirn las; sie hätte jetzt gern ihre Worte wieder zurückgenommen oder ihre Bedeutung vermischt, aber jetzt war es zu spät. Sie fühlte, wie ihre Züge eine andere Gestaltung annahmen, das Geständniß ihrer Schuld offenbarte in diesem Augenblick gegen ihren Willen ihre ganze Persönlichkeit. Die Kälte in ihren Wangen hatte