Emile Zola

Nana


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das förmliche Versprechen einer eingehenden Besprechung des Abends. »Auf zweihundert Vorstellungen dürfen Sie mit Sicherheit zählen!« redete Faloise ihn mit verbindlicher Höflichkeit an.

      »Ganz Paris wird Ihr Theater beehren!«

      Aber Bordenave zeigte ärgerlich mit einem heftigen Ruck seines Kinns auf das Publikum im Vestibül, auf jene Rotte Männer mit trockenen Lippen und Feueraugen, die lüstern nach dem Besitz Nanas glühten, und schrie dem jungen Mann heftig zu:

      »So sagen Sie doch: mein Bordell, Sie verwünschter Dickschädel!«

      Kapitel 2

      Am anderen Morgen schlief Nana noch um zehn Uhr. Sie bewohnte auf dem Boulevard Haussmann die zweite Etage eines großen neuen Gebäudes, dessen Eigentümer an ledige Damen vermietete, um seine Zimmer »trocken wohnen« zu lassen. Ein reicher Handelsherr aus Moskau, der für eine Wintersaison nach Paris gekommen war, hatte sie hier einquartiert und auf ein Halbjahr den Mietzins voraus entrichtet. Die Wohnung, die viel zu geräumig für sie war, wurde niemals vollständig ausmöbliert; ein prahlerischer Luxus, vergoldete Konsolen und Sessel fanden sich neben altem Trödelkram aus Rückkaufsgeschäften, Mahagoni-Nipptischchen und Zinkkandelabern, die Florentiner Bronzen darstellten. Dies alles gab ein Bild von dem Milieu einer Dirne, die von ihrem ersten ernstlichen Verehrer zu früh sitzengelassen und nun wieder zweifelhaften Liebhabern in die Arme gefallen war. Nanas Debüt war im großen ganzen keineswegs leicht gewesen, ihr Eintritt in die Welt völlig verunglückt; in diesem Augenblick war ihre Lage besonders schwierig, denn niemand wollte ihr mehr borgen, und jeden Augenblick konnte es geschehen, daß sie vom Hauswirt an die Luft gesetzt wurde.

      Nana schlief auf dem Bauch, das Kopfkissen, in das sie ihr schlaftrunkenes Gesicht vergrub, preßte sie zwischen ihre nackten Arme. Das Schlafgemach und das Ankleidezimmer waren die beiden einzigen Räume, deren Einrichtung von einem Tapezierer des Stadtviertels besorgt worden war. Ein Lichtschimmer glitt unter einem Vorhang herein, man unterschied das Palisandermobiliar, die damastnen Vorhänge und Sitze, deren Muster große, blaue Blumen auf grauem Untergrund zeigte. Aber in der dumpfen Luft dieses verschlafen daliegenden Gemachs fuhr jetzt Nana jäh aus ihrem Schlummer auf: sie schien erstaunt zu sein, den Platz neben sich leer zu finden. Sie betrachtete das zweite Kissen, das neben dem ihrigen lag und noch die laue Höhlung eines Kopfes inmitten des Spitzenbesatzes zeigte. Sie tastete mit ihrer Hand nach dem Kopfende des Bettes und drückte auf den Knopf eines dort angebrachten elektrischen Klingelzuges.

      »Ist er denn schon fortgegangen?« fragte sie die in das Gemach tretende Zofe.

      »Ja, Madame, Herr Paul ist schon gegangen, es sind aber kaum zehn Minuten her … Da Madame noch müde war, wollte er Sie nicht aufwecken. Aber er hat mich beauftragt, Ihnen zu sagen, daß er morgen wiederkommen werde.«

      Zoé, die Zofe, öffnete die Jalousien. Das volle Tageslicht flutete herein … Zoé war eine lange Brünette mit einem gelblich-blassen Teint; das mit Blatternarben bedeckte Gesicht mit dem breiten Mund, der platten Nase, den dicken, aufgeworfenen Lippen und den unaufhörlich in Bewegung befindlichen kohlschwarzen Augen umrahmte oberhalb das glatt an der Stirn herabgescheitelte Haar.

      »Morgen, morgen«, wiederholte Nana, die noch immer halb verschlafen war; »ist denn das der Tag, morgen?«

      »Ja, Madame, Herr Paul pflegt immer am Mittwoch zu kommen.«

      »Nicht doch, mir fällt ein«, rief Nana und setzte sich im Bett auf, »das hat sich ja alles geändert! Ich wollte ihm das heute morgen sagen … Er könnte leicht mit dem ,Mulatten' zusammengeraten, das könnte eine schöne Bescherung geben!«

      »Madame hat mir nichts davon gesagt, ich konnte das also nicht wissen«, gab Zoé zur Antwort. »Wenn Madame ihre Besuchstage zu ändern beliebt, so sollte sie mir Kenntnis davon geben, damit ich mich zu verhalten weiß … Der alte Geizkragen darf also dienstags nicht mehr kommen?«

      Sie pflegten unter sich, ohne den Mund dabei zu verziehen, mit den Namen »alter Geizkragen« und »Mulatte« die beiden zahlenden Männer zu titulieren, von denen der eine ein Kaufmann aus dem Faubourg Saint-Denis mit großen Sparanlagen, der andere ein Walache, ein angeblicher Graf war, dessen Geldquelle nicht nur sehr unregelmäßig floß, sondern auch höchst zweifelhaften Ursprungs war. Daguenet hatte die Morgenstunden jener Tage mit Beschlag belegt, in deren Nächten der alte Geizkragen hier zu weilen pflegte; da der Kaufmann am frühen Morgen, spätestens gegen acht Uhr, zu Hause sein mußte, paßte der junge Mann immer in der Küche sein Fortgehen ab und nahm dann bis gegen zehn Uhr dessen warmen Platz ein. Nachher ging auch er seinen Geschäften nach. Nana und Daguenet fanden diese Einrichtung höchst bequem.

      »Eine schlimme Geschichte!« meinte Nana. »Ich will ihm ein paar Zeilen schreiben; und sollte er meinen Brief nicht bekommen, so läßt du ihn morgen nicht eintreten.«

      Unterdessen schritt Zoé mit leichten Tritten in dem Schlafzimmer auf und ab. Sie sprach von dem großen Erfolg des gestrigen Abends. Madame habe ein so großes Talent gezeigt, so vortrefflich gesungen! Oh, von jetzt an brauche Madame sich keine Sorgen mehr zu machen!

      Nana, die sich mit dem Ellbogen auf das Kissen stützte, antwortete nur durch ein Wiegen ihres Kopfes. Ihr Hemd war herabgeglitten, die aufgelösten wirren Haare rollten über ihre nackten Schultern.

      »Gewiß! Gewiß!« murmelte sie, in Träumen versinkend. »Aber wie soll man es machen, um das abzuwarten? Ich werde heute wieder alle möglichen Widerwärtigkeiten zu hören kriegen … Sag', ist der Portier heute morgen noch nicht oben gewesen?«

      Nun plauderten beide sehr ernst. Madame schuldete drei Mietbeträge, der Hausherr sprach bereits von Beschlagnahme des Mobiliars. Dann kam die lange Reihe anderer Gläubiger, die alle schon mehr als ungeduldig nach Geld drängten: ein Wagenverleiher, eine Wäscherin, ein Damenschneider, ein Kohlenhändler und noch verschiedene andere, die sich tagtäglich auf einer Bank im Vorzimmer festzusetzen pflegten; der Kohlenhändler besonders war ein gräßlicher Gesell, er schrie ohne Rücksicht auf der Treppe laut nach seinem Geld. Aber der Hauptkummer Nanas war ihr kleiner Louis, ein Kind, das sie mit sechzehn Jahren gehabt hatte und das sie bei seiner Amme in einem Dorf in der Nähe von Rambouillet gelassen hatte. Dieses Weib verlangte dreihundert Franken, wenn es den kleinen Louis wieder hergeben sollte. Seit dem letztenmal, da sie das Kind besucht hatte, verzweifelte Nana in einem Anfall von Mutterliebe schier bei dem Gedanken, ob ihr Vorhaben, die Pflegerin zu bezahlen und den Kleinen zu ihrer Tante, einer Madame Lerat, nach Batignolles zu bringen, wo sie ihn zu jeder Stunde sehen könnte, je zu verwirklichen war.

      Während Nana, in Sinnen versunken, auf dem Bettrand saß, machte Zoé die Andeutung, daß Madame ihre bedrängte Lage dem alten Geizkragen hätte offenbaren sollen.

      »Ach Gott, ich hab' ihm ja doch alles längst gesagt«, rief Nana; »er hat mir geantwortet, daß er in der letzten Zeit zu starke Verluste gehabt hat … Der Lump kann sich von seinen Millionen nicht trennen. Und der Mulatte liegt jetzt auch krumm, ich glaube, er hat alles im Spiel verloren … Und was den armen Mimi anbetrifft, so könnte er selber brauchen, daß man ihm was pumpte; die letzte Baisse hat ihn ganz ausgeplündert, er kann mir jetzt nicht einmal mehr Blumen mitbringen.«

      Die letzten Worte bezogen sich auf Daguenet. Nana hatte, wenn sie sich dem Nachdenken über ihre Lage überließ, vor Zoé kein Geheimnis. Die Zofe, die an derlei Vertraulichkeiten gewöhnt war, nahm sie mit respektvoller Teilnahme entgegen. Da Madame sie würdige, von ihren Angelegenheiten mit ihr zu sprechen, dürfe sie sich wohl erlauben, ihren Gedanken über die dermalige Lage Ausdruck zu geben. Vor allen Dingen sei sie Madame in aufrichtiger Liebe zugetan, sie habe ihretwegen Madame Blanche im Stich gelassen, und Madame Blanche setze, weiß Gott, Hände und Beine in Bewegung, um sie wiederzubekommen! An Stellen fehle es ja nicht, sie habe ja Bekanntschaften genug, aber sie sei, selbst in Zeiten der größten Klemme, bei Madame gebliebert, weil sie eben fest an die Zukunft von Madame glaube. Und zum Schluß ließ sie ihre Ratschläge von Stapel. Solange man jung sei, begehe man eben noch Dummheiten. Jetzt müsse man aber die Augen offenhalten, denn die Männer dächten an nichts anderes als an Scherz und Vergnügen. Oh, da solle doch kommen, was da wolle! Madame brauche ja nur ein Wort zu sagen, um ihren Gläubigern den