Tira Beige

Rebeccas Schüler


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      »Also wer­den Sie erst am Mitt­woch bei Frau Pe­ters vor­bei­schau­en, wenn sie sich bis da­hin nicht bei uns ge­mel­det hat, rich­tig?«, frag­te der Schul­lei­ter.

      »Ge­nau.«

      Mayer wech­sel­te noch zwei drei Wor­te mit dem Po­li­zis­ten, dann ließ er den Hö­rer in die Ver­an­ke­rung zu­rück­sin­ken. Was war nur in sie ge­fah­ren?

      Teil 1

      Au­gust

      Kapitel 1

      Sie woll­te ge­hen, schon lan­ge her­aus sein aus die­ser Dis­co­thek. Eine Wol­ke aus Schweiß, ver­brauch­ter Atem­luft, trie­fen­den Kör­per­ge­rü­chen, Pa­r­fum und von drau­ßen mit­ge­brach­tem Zi­ga­ret­ten­qualm wa­ber­te über den Köp­fen der Men­schen. Zu­dem er­füll­te der Ge­schmack von Te­s­tos­te­ron den Raum. Ein Zu­viel an Aus­düns­tun­gen, die um­her os­zil­lier­ten und die Dis­co­thek in ein Kli­ma drü­cken­der Schwe­re tauch­ten. Alle Sin­ne über­reizt, flo­gen die Lei­ber nur noch me­cha­nisch durch den Saal, ohne über den Sinn ih­rer Be­we­gun­gen nach­zu­den­ken. Es wa­ren auf­ge­kratz­te Tan­zen­de, an­ge­säu­selt vom Al­ko­hol, be­rauscht von der At­mo­sphä­re, die dumpf auf ih­nen las­te­te.

      Und mit­ten­drin Rebecca, die schon vor ei­ner hal­b­en Stun­de auf­bre­chen woll­te. Doch ir­gen­d­et­was hielt sie da­von ab, den Heim­weg an­zu­tre­ten. Sie ver­sank in der schie­ren Mas­se an schö­nen Kör­pern, ließ sich mit­rei­ßen von den halt­los Zap­peln­den um sie her­um und ver­web­te sich mit ih­nen. Hin­zu kam, dass sie ih­ren Blick nicht von ihm ab­wen­den konn­te. Den ge­sam­ten Abend über hat­te sie den Un­be­kann­ten be­ob­ach­tet, wie er an der Bar stand, an sei­nem Bier nipp­te und sich mit sei­nen Kum­pels un­ter­hielt. Ein jun­ger Typ ohne Na­men, der zur nä­he­ren Be­trach­tung ein­lud. Und doch kam Rebecca nie nah ge­nug her­an, um ihn ge­nau­er zu er­grün­den. Sie sah bloß, dass der Ju­gend­li­che schlank war, dunk­le Kla­mot­ten trug und kur­ze, hel­le­re Haa­re be­saß.

      Er war seit Lan­gem das At­trak­tivs­te, was Rebecca vor die Au­gen ge­kom­men war. Eine Er­obe­rung – knackig ge­nug, um sich zu loh­nen.

      Um Mit­ter­nacht ging mit ei­nem Schlag die Mu­sik aus und der gut aus­se­hen­de Kerl wur­de vom DJ auf die Büh­ne ge­holt. Als wür­de er je­den Tag von hun­der­ten Schau­lus­ti­gen ge­mus­tert wer­den, stol­zier­te die­ser Bur­sche auf die Büh­ne, die ihm vom ers­ten Mo­ment an ge­hör­te. Er strahl­te eine un­ge­heu­re Prä­senz aus, die Rebeccas Blut in Wal­lung brach­te. Sie be­wun­der­te, wie selbst­be­wusst er zum Misch­pult schritt, an dem der DJ stand und ihn in Emp­fang nahm.

      »So­eben«, schrie der Disc­jo­ckey ins Mi­kro­fon, »hat die­ser jun­ge Mann hier eine wich­ti­ge Gren­ze in sei­nem Le­ben über­schrit­ten. Er ist näm­lich ge­ra­de acht­zehn Jah­re alt ge­wor­den und da­mit voll­jäh­rig.«

      Ju­bel­schreie durch­zo­gen den Saal. Ein paar Ju­gend­li­che er­ho­ben die Glä­ser und pros­te­ten dem auf der Büh­ne Ste­hen­den zu, der sich selbst­si­cher im Bei­fall der Men­ge aal­te und bei­de Au­gen­brau­en tri­um­phie­rend hob. Er ge­noss es, im Mit­tel­punkt zu ste­hen und an­ge­st­arrt zu wer­den. Bei­de Hän­de hat­te er in der Jeans ver­gra­ben und mit stolz ge­schwell­ter Brust bau­te er sich ne­ben dem Misch­pult auf. Sein durch­drin­gen­der Blick glitt über die Mas­sen hin­weg, die ihn un­ver­hoh­len an­gaff­ten. Rebecca ein­ge­schlos­sen, die sich an dem Schön­ling nicht satt­se­hen konn­te.

      »Gra­tu­lie­re dir«, sag­te der DJ. »Fang was Or­dent­li­ches mit dei­nem Le­ben an, sonst lan­dest du hier oben.« Ge­läch­ter bran­de­te auf, be­vor sich der Disc­jo­ckey sei­ne Kopf­hö­rer auf­setz­te und die Mu­sik wie­der laut­hals aus den Bo­xen drin­gen ließ.

      Der Acht­zehn­jäh­ri­ge ver­ließ das Po­dest über das gan­ze Ge­sicht strah­lend und fiel ge­ra­de­wegs in die Arme sei­ner Kum­pels, die ihn mit Al­ko­hol in Emp­fang nah­men und ihm ka­me­rad­schaft­lich auf die Schul­ter klopf­ten. Ei­ni­ge Mäd­chen, die ab­seits der Grup­pe stan­den, wa­r­fen dem hüb­schen Ge­burts­tags­kind schwär­me­ri­sche Bli­cke zu.

      Wie schön wäre es, noch ein­mal so jung zu sein, träum­te Rebecca. Gute fünf­zehn Jah­re la­gen zwi­schen ihr und die­sem Ju­gend­li­chen, der sein gan­zes Le­ben noch vor sich hat­te. Der al­len Flau­sen, die er im Kopf aus­brü­te­te, nach­ja­gen und sein Schick­sal von nun an selbst in die Hand neh­men konn­te.

      Sie schau­te er­neut auf die Uhr. Ja, es war spät und sie war er­schöpft. Aber wer war­te­te schon zu Hau­se auf sie? Nie­mand be­grüß­te sie um drei Uhr mor­gens. Es gab kei­ne wär­me­n­den Hän­de, die sie um­fan­gen wür­den, wenn sie da­heim an­kam. Kein Mund, der ihr sag­te: »Du bist aber spät dran. Hast du je­man­den ken­nen­ge­lernt?« War­um soll­te sie den Heim­weg an­tre­ten? Statt­des­sen be­weg­te sie sich Rich­tung Tanz­flä­che, wo das Ge­burts­tags­kind an­ge­hei­tert zwi­schen an­de­ren Leu­ten eine Show ab­zog. Wild ges­ti­ku­lier­te er mit den Ar­men in der Luft her­um, tanz­te aus­ge­las­sen. Ne­ben ihm sei­ne grau­en Freun­de mit den durch­schnitt­li­chen Ge­sich­tern. Al­ler­welt­s­ty­pen, wie sie über­all her­um­lie­fen.

      Rebecca be­trach­te­te den Acht­zehn­jäh­ri­gen. Zum ers­ten Mal an die­sem Abend, in die­ser Nacht, hat­te sie es ge­wagt, sich in sei­nen Dunst­kreis zu be­ge­ben, ob­wohl sie sei­ne in­ter­es­san­te Aura schon seit ei­ni­gen Stun­den fas­zi­nier­te. Er be­saß dun­kel­blon­de Haa­re, die an der Stirn län­ger wa­ren und ihm ins Ge­sicht hin­ein­rag­ten. Im­mer wie­der strich er die wil­den Sträh­nen ver­füh­re­risch mit der gan­zen Hand nach hin­ten ins vol­le Haar hin­ein. Er sah gut aus, hat­te aber kein eben­mä­ßi­ges Ge­sicht. Viel­mehr war es mar­kant, denn die leicht schrä­ge Nase ver­lieh ihm ein ed­les Aus­se­hen. Dazu pas­send trug er einen Drei­ta­ge­bart, der ihn deut­lich äl­ter aus­se­hen ließ.

      Aus der Nähe be­trach­tet, er­kann­te Rebecca, dass der Acht­zehn­jäh­ri­ge au­ßer­or­dent­lich viel Sport be­trei­ben muss­te, denn ihr fie­len so­fort sei­ne gut trai­nier­ten Ober­ar­me auf.

      Die Wei­ber, die um ihn her­um tanz­ten, be­rühr­ten ihn im­mer wie­der wie zu­fäl­lig am Ober­kör­per oder stri­chen über sei­ne Arme. Rebecca frag­te sich, ob er die Mä­dels kann­te oder sich zum Spaß von ih­nen an­bag­gern ließ. Er selbst ge­fiel sich of­fen­bar dar­in, die Be­rüh­run­gen zu­rück­zu­ge­ben. Mal lan­de­te sei­ne Hand auf ei­nem Hin­tern, mal auf ei­ner Brust. Die Mäd­chen zupf­ten ihre knap­pen Ober­tei­le zu­recht oder fuh­ren sich mit der Hand durch ihre lan­gen Mäh­nen. Vor al­lem zo­gen sie den Kerl mit ih­ren Bli­cken aus.

      Rebecca war nicht bes­ser. Auch sie glotz­te und pro­vo­zier­te den Blick­kon­takt. Aber noch hat­te er kei­ne No­tiz von ihr ge­nom­men, son­dern sich den Mä­dels ge­wid­met, die ne­ben ihm tanz­ten. Bis jetzt. Denn mit ei­nem Schlag la­gen sei­ne Au­gen auf Rebecca und fuh­ren an ih­rem Kör­per auf und ab. Hat­te sie bis eben die Mus­te­rung her­bei­ge­sehnt, war sie ihr mit ei­nem Male un­an­ge­nehm. Stimm­te et­was nicht, weil er die Au­gen­brau­en so skep­tisch ver­zog und die Stirn run­zel­te? Rebecca hat­te an die­sem schwül­war­men Abend ex­tra ein kur­z­es schwa­r­zes Kleid mit tie­fem Aus­schnitt ge­wählt. Nor­ma­le­r­wei­se zog sie in der Dis­co lie­ber Weiß an, um das flu­o­res­zie­ren­de Licht auf ih­rem Kör­per zu ver­ei­ni­gen. Aber