Roland Pauler

Das Attentat auf Papst Leo III. 799


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nach Spoleto und preist Gott, der ein solches Wunder vollbracht hat. Von dort bricht Leo zu König Karl auf. Dieser schickt ihm seinen Kapellan, Erzbischof Hildebald von Köln, den Grafen Aschericus und schließlich seinen eigenen Sohn, König Pippin, mit einigen Grafen entgegen, die ihn zum Treffen nach Paderborn geleiteten. Karl empfängt dort den Stellvertreter des hl. Petrus höchst ehrenvoll mit Hymnen und geistlichen Gesängen. Sie umarmen und küssen sich unter Tränen. Karl ist aufs Höchste bewegt wegen der Wunder, die Gott auf Bitten des hl. Petrus am Papst bewirkt hat. Die vorgenannten ungerechten Männer gelten nichts mehr bei ihm. Die Angriffe dieser nichtswürdigen Prälaten und Söhnen des Teufels, die einst in großem Ansehen beim König gestanden hatten, hat Gott selbst gegen sie gerichtet und die falschen Beschuldigungen gegen den Papst können sie ganz und gar nicht beweisen. Von Bränden, die die Papstgegner in den Besitzungen des hl. Petrus gelegt haben, ist die Rede.

      Als der Papst beim König weilt, kommen von allen Seiten Erzbischöfe, Bischöfe und andere Kleriker herbei. Sie beraten zusammen mit dem König und allen vornehmen Franken und lassen Leo in allen Ehren nach Rom auf seinen Päpstlichen Stuhl geleiten. Dort herrscht große Freude über seine Rückkehr am 29. November. (Regesta Imperii 350e)

      Fassen wir zusammen:

       Der Papst gerät in einen Hinterhalt. Er wird geblendet, seiner Zunge beraubt und verprügelt.

       Gott heilt nicht nur Augen und Zunge, sondern alle Glieder. Das heißt: Leo präsentiert sich in St. Peter unverletzt.

       Dort trifft Leo mit Herzog Winigis von Spoleto zusammen, der ein Heer mit sich führt und den Papst nach Spoleto begleitet.

       In Paderborn wird Leo mit allen Ehren aufgenommen, die Anklagen gegen ihn fallen in sich zusammen, er kehrt auf seinen Amtssitz zurück.

       Die Gegner des Papstes hatten dem König ihre Anschuldigungen vorgetragen, konnten sie aber nicht beweisen.

      Vermutlich kurz nach der Ankunft der Nachrichten im Frankenreich (Schieffer, Attentat, S. 77) schreibt der Verfasser der in der Umgebung Karls des Großen entstandenen Reichsannalen, die Römer hätten Leo gefangengenommen, geblendet und ihm die Zunge herausgeschnitten. In der Nacht sei er seinen Bewachern über die Mauer entkommen und habe sich zu Abt Wirund und Winigis, den Gesandten des Königs, in die Basilika des hl. Petrus begeben. Dann wird er nach Spoleto gebracht. (Quelle 2)

      Die nach Jahren geordneten Reichsannalen sind das umfangreichste, zeitnah am Hofe Karls des Großen verfasste, fränkische Geschichtswerk. Sie reichen von 741 bis 829. Ab etwa 790 wurden die Einträge jährlich oder zumindest zeitnah vorgenommen. Der unbekannte Verfasser liefert allerdings keine zuverlässige Zusammenstellung der Fakten, sondern betrachtet das Geschehen vom Standpunkt des Herrschers bzw. dessen Umgebung aus. Nach McKitterick wurden diese Annalen im ganzen Reich verteilt, um die karolingische Sicht der Vergangenheit durchzusetzen. (Constructing the Past, S. 126) Deshalb sind örtliche, meist in Klöstern entstandene Annalen, vom Geist der Reichsannalen durchzogen, bieten aber hin und wieder selbstständige, von diesen abweichende Darstellungen. (Siehe ausführlicher Hoffmann, Untersuchungen, S. 38-41; Hartmann, Karl, S. 16 f.; McKitterick, Karl, S. 42-53; Becher, Quellen, S. 106-109; Fried, Karl, S. 22 geht davon aus, Karl habe den Text höchstpersönlich gebilligt.)

      Theodulf von Orleans, ein enger Vertrauter des Königs, dichtete vermutlich zwischen Herbst 799 und Frühjahr 800 (Datierung nach Schieffer, Attentat, S. 81) Folgendes:

      „Ihn hat sein eigenes Volk aus der Stadt und vom Thron verstoßen, ihn mehr dem Tod als dem Leben geweiht. Ihn hat dein gütiges Erbarmen aufgenommen, getröstet, gepflegt und gestärkt. Ihn hat eine entfesselte Menge der Augen, der Zunge, der Gewänder und aller heiligen Insignien beraubt. Zurück gab ihm Petrus, was der schwarze Judas hinwegnahm, weil der eine Bekenner, der andere Verräter Gottes ist. Die aufrührerische Schar ist Judas insofern gefolgt, als jener den Tod des Herrn, diese den des Bischofs beabsichtigte. Dabei leugnet sie, dass ihm Augen und Zunge zurückgegeben wurden, leugnet, dass sie ihm genommen wurden, und beteuert, den Verlust nur gewollt zu haben. Sind sie ihm doch zurückgegeben, war es ein Wunder, ein Wunder auch, wenn sie es nicht vermochten, sie ihm zu nehmen: ich bin im Zweifel, ob ich mehr über das eine oder über das andere staunen soll. (bis hierher Übersetzung Schieffer, Attentat, S. 81, das Folgende eigene Übesetzung) Nun hat ihn Petrus, obwohl er ihn in Rom vor Feinden und den schrecklichen Nachstellungen hätte retten können, dir [Karl dem Großen] zur Rettung überlassen und wollte, dass du an seiner statt handelst. Von sich aus gab er ihm die verlorenen Körperteile und durch Dich die Würde seines Amtes wieder.“ (Quelle 6)

      In seinem bald nach Karls des Großen Kaiserkrönung, vielleicht aber auch schon 799 verfassten Gedicht Karolus magnus et Leo Papa berichtet der anonyme Autor folgendes:

      „Da hat der König eine traurige Vison, ein fluchwürdiges Gesicht im Traum: Der römische Papst, Leo, dünkt ihn, stehe vor ihm und vergieße bittere Tränen, blutbesudelt das Auge, blutverschmiert das Gesicht, die Zunge verstümmelt, der Leib von furchtbaren Wunden bedeckt. Eiskalt überläuft es den Herrscher, und Sorge bedrückt ihn. Drei schnelle Boten lässt er aufbrechen nach der Stadt Rom, zu erkunden, ob der mächtige Hirte der Herde sich wohl befinde, und er fragt sich nachdenklich, was der schreckliche Traum wohl bedeute, und macht sich zu treuer Hilfe bereit.

      Die Abgesandten enteilen hurtigen Schritts; Karl selber, der Held, bricht mit vielen Tausenden wieder nach Sachsen auf. […] Schon erblicken die Gesandten von ferne Roms hohe Türme, erkennen vom Berg aus den lang erwarteten Schauplatz; da vernehmen auch sie die weithin verbreitete traurige Kunde, die edle Gestalt auf dem Thron des Apostels sei grausamen Todes gestorben, sei den Wunden erlegen, die rohe Hände ihm schlugen. Denn die wilde, grausame Schlange, die einträchtige Brüder im Kampf zu entzweien und den unheilbringenden Samen verderblichen Gifts auszustreuen pflegt, stiftete die Menge an, gegen den Unschuldigen in Verblendung zu wüten, und verführte die Diener, ihren Herrn und Gebieter zu ermorden. Grausige Krankheit schlich sich ein in die Herzen, blieb haften im Sinne, verderbliches Gift sog ein die keuchende Brust. Sie stellten dem Manne nach, sannen Tod dem Schuldlosen und furchtbares Ende, das frevelnde Volk waffnete sich mit verbrecherischen Geschossen gegen den eigenen Hirten. Als auf dem üblichen Weg vorbeizog Leo, der gütige Papst, und zu Fuß des heiligen Laurentius Kirche aufsuchte, da fiel die irregeleitete Menge, das wahnwitzige Volk, die sinnlos wütende Jugend mit Knütteln und Schwertern und gezogenen Messern, die ganze Schar lärmend über den höchsten Hirten her, blind wütend, auf einmal von furchtbarer Erregung gepackt. Den geweihten Leib des Priesters peinigten sie mit Peitschenhieben, nach dem Tod des Einen nur gierte die Masse. Die Henker rissen ihm die beiden Augen aus ihren Höhlen, schnitten die bewegliche Zunge ab, zerfleischen den Leib.

       Das gottlose Volk, von tödlichem Gifte verseucht, meinte den Hohenpriester getötet zu haben. Doch die gütige Hand des himmlischen Vaters gab den ausgerissenen Augen Heilung und ließ das Antlitz mit neuer Sehkraft wieder entstehen. Mit bleichen Gesichtern staunte das Volk über die fremden, wiedergegebenen Augen. Auch die verstümmelte Zunge vermag nun wieder gewandte Worte zu formen.

       Mit kleinem Gefolge flieht der Hohepriester aus der Stadt und begibt sich heimlich nach Spoleto, um dort Hilfe zu holen. Da wird er von Herzog Winigis mit großen Ehren empfangen und mit reichen Gaben überhäuft. Er hört, es seien Gesandte der Franken nach Italien gekommen, hätten aber nicht wie gewohnt Rom selber besuchen wollen, weil die Römer ihren schuldlosen Gebieter und Herren grausam gepeinigt hätten. Man bestätigte ihm dies, und er lässt die Männer zu sich kommen und hebt an, folgendermaßen zu sprechen – die verstümmelte Zunge bewegt sich mit kurzem Zittern im Gaumen und formt freundliche Worte:

      Ich beschwöre euch bei dem teuren Leben König Karls, beschützt mich, den Vertriebenen, mit Waffengewalt, der ich verbannt bin aus meinem Land und der Ehre des Thrones beraubt. Führt mich zu eurem mächtigen König! Es sei mir vergönnt des herrlichen Fürsten Angesicht zu schauen, dass er mit gerechtem Urteil unser Handeln prüfe, dass er als machtvoller Rächer die furchtbaren Misshandlungen, die wir erduldet, vergelte, mein Trauern und Weinen erleichtere und meinem Leben Tröstung spende. Auf denn, und wenn ich eures Dienstes gewiss sein darf, so