Rebekka Kricheldorf

Der große Gatsby


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Teil. Pause. Von Ferne wird eine Gestalt im Morgenmantel sichtbar, die übers Meer schaut. Nick beobachtet sie eine Weile und ruft dann zaghaft Hallo? Hallo! Ich heiße Nick Carraway und bin ihr neuer Nachbar. Gestalt ist verschwunden. Hallo?

      4. Der kleine Spekulant

      Nick auf seiner Terrasse. Er liest Ratgeber zum Börsengeschäft: "Der kleine Spekulant", "Vom Tellerwäscher zum Millionär", "Reich und schön", "Die Börse für Deppen" und "Das kleine Einmaleins des Finanzmarkts". Er stöhnt gelangweilt und wirft die Bücher auf den Rasen.

      NICK Aber ich bin doch ins Westei gekommen, um was aus mir zu machen! Ich muss doch meinen Marktwert steigern, als Mensch und Mann! So kanns doch nicht weitergehen mit mir! Mit mir, der aus einer Familie mit dermaßen guten Anlagen kommt. Die muss ich doch nutzen, diese Anlagen, ich hab doch Potenzial, ich kann doch nicht klanglos im Nichts verschwinden, ich brauch doch dringend ein bisschen Ansehen, ich kann mich doch nicht auf mein hübsches Gesicht und meine integre Ausstrahlung verlassen, als Mann! Ja, wenn ich eine Frau wär oder schwul, dann... pff... dann... So ein Mann wie Tom, der nimmt doch einen wie mich, den nimmt der doch nicht ernst, und Daisy... Wie soll ich jemals eine halbwegs attraktive Frau finden. Junge, geh ins Westei und an die Börse, hat Dad gesagt, und komm mir bloß nicht als der wieder, der du bei deiner Abreise warst. Mach was aus dir. Wie macht man was aus sich? starrt die Ratgeber an Ich glaube, die ist nichts für mich, die Börse. starrt ins Publikum Wenn jetzt bitte mal jeder Mann, der eine Frau neben sich hat, die reicher ist als er, und jede Frau, die sich nicht durch ihre Heirat finanziell verbessert hat, aufstehen möge, dann würde mir das moralisch enorm weiterhelfen. wartet Na bitte. Die internationale Ökonomie der Liebe arbeitet gegen mich.

      Tom kommt.

      TOM Was arbeitet gegen dich?

      NICK Die internationale Ökonomie der Liebe.

      TOM Dieser Haufen schimmliges Holz hinter dir. Soll das ein Haus sein?

      NICK Es kostet bloß achtzig Dollar Miete im Monat.

      TOM Jeder fängt mal ganz unten an, Nicki.

      NICK zum Publikum Außer denen, die geerbt haben und gar nicht wissen, wo das liegt, ganz unten.

      TOM Das hab ich gehört. sieht Gatsbys Haus Was zur Hölle ist das? Ein steingewordenes Baiser? Ein von geschmacksverirrten europhilen Japsen aus dem alten Europa abkopierter Palast eines wahnsinnigen bayrischen Königs?

      NICK Das scheint mir eine exakte Rekonstruktion eines südfranzösischen Hotel de Ville aus dem achtzehnten Jahrhundert sein zu wollen.

      TOM Obszön.

      NICK Im Abendlicht sieht es ganz gut aus. Aber es erschlägt einen. In seinem Schatten fühlt man sich wie eine Ameise. Es gehört einem gewissen Gatsby. Er scheint eine Vorliebe für fulminante Partys zu haben. Jeden Samstag verwandelt sich sein Bugatti in einen Bus, der Leute aus der Stadt abholt und wieder hinbringt. Freitags werden endlose Kisten voll Orangen geliefert und die leergepressten Schalen Sonntags wieder abgeholt. Am Samstag rückt eine Mannschaft Lieferanten an und macht Gatsbys Garten mit Lampions, Segeltüchern und Girlanden zu einem Weihnachtsbaum. Und montags rücken mindestens acht Angestellte mit Mopps und Schrubbern an, um die Spuren der Verwüstung wieder zu beseitigen.

      TOM Es gibt nichts Tristeres, als neben einer Party zu sitzen, zu der man nicht eingeladen ist, was, Nicki? Das Gelächter zu hören, die Musik, alle amüsieren sich, und man selbst hockt auf der anderen Seite der Mauer und starrt Löcher in die Luft, was, Nicki?

      NICK Ach, weiß du, ich kenne hier doch eh keinen. Und das wäre mir eh zu viel, dieser Trubel und die ganzen MENSCHEN -

      TOM Ich bin gekommen, um mit dir in die Stadt zu fahren.

      NICK Ich will nicht in die Stadt, Tom. Ich muss mich bilden. hält seine Bücher hoch

      TOM Ich will dir meine Dingens, meine -

      NICK Freundin?

      TOM Freundin vorstellen.

      NICK Ich möchte deine äh, Freundin eigentlich nicht äh, unbedingt -

      TOM haut ihm eine Pranke auf die Schulter, dass Nick fast zu Boden geht Ich weiß, was in dir vorgeht. Einerseits von Neugier auf die Frau zerfressen, mit der ich momentan lieber schlafe als mit Daisy, andrerseits von einer grünschnabelhaften Moral durchsuppt, die jede Parallelbeziehungen strikt ablehnt, darüber hinaus von einem diffusen Loyalitätsgefühl Daisy gegenüber an die Kandare genommen. Lass stecken, Kumpel. Fahr mit mir in die Stadt und hab nen lustigen Abend. Das ist der heiße Tip vom guten alten Tom, dessen Instinkte auf Zack sind, das kannste mir glauben. Übrigens, Nicki, hab ich ein bisschen recherchiert. Barney, Barney, Barney und Barney sind die letzte Klitsche. Wenn DAS dein Sprungbrett in die große weite Welt sein soll, dann aber: Gut Nacht. Verlegenheitslösung, was? Schnell die Tasche gepackt und nichts wie weg? Nicki. Vor MIR muss dir der wahre Grund deines Umzugs doch nicht peinlich sein. wieder Pranke auf Schulter Frauengeschichte, was? Und vor MIR hier den erotischen Saubermann geben und mich nicht zu meiner Freundin in die Stadt begleiten wollen. Herrgottzack, meine Geduld ist am Ende. Zerrt ihn brutal-kumpelig mit. Nick rennt noch mal zurück.

      NICK zum Publikum Da! Das meinte ich! Ständig zieht mich irgendwer in irgendwas rein. Ständig werde ich auf allerübergriffigste Weise angekumpelt. Warum löse ich das nur bei allen aus? Ich muss dringend in Zukunft weniger vertrauenswürdig wirken. Dringend.

      ab

      5. Das Tal der Asche

      Myrtle und George sitzen vor ihrer Tankstelle, George mit einem Zapfhahn in der Hand. George singt "Die Blume von Hawai".

      GEORGE singt Blume von Hawai, ich liebe dich fürs Leben, Blume von Hawai, mein Herz gehört nur dir -

      MYRTLE Klappe, George.

      GEORGE kurz still, singt dann weiter Nur diesen Ring aus Gold, den sollst du tragen -

      MYRTLE George!

      GEORGE singt Und sollst nicht nach ner Anderen fragen - Schöne Blume von Hawai -

      MYRTLE George!

      GEORGE Ist'n schönes Lied.

      MYRTLE Ist'n beknacktes Lied. Also erstens mal SIND Frauen keine Blumen. Und das mit dem Herz, saudumm. Ein Herz ist bloß so'n Organ, wo Blut durchfließt. Und wenn ich deins vor mir aufm Tisch liegen hätt, dann würd ich schreiend weglaufen. Und, ha ha, Ring aus Gold, als ob DU dirs leisten können tätst, mir nen Ring aus Gold zu kaufen. Und das mit der Anderen, tz. Das ist echt nicht SO die Leistung, auf die zu verzichten, weil, welche Andere tät so wen wie dich auch nur angucken. Mit was willste bei der denn punkten, mit deinem schicken Zapfhahn? Saudumm.

      GEORGE Bei so nem Lied, da kommts nich immer auf den Text an, bei so nem Lied. Ich sings, weil ichs mag. Die Melodie.

      Motorengeräusch. Beide lauschen.

      GEORGE Das ist'n Buick, Baujahr siebzehn.

      MYRTLE Nee, das ist'n Lincoln, Baujahr zwanzig, mit Viertaktmotor.

      GEORGE Quatsch. Vergiss es. Heute gewinnst du nicht, Myrtle. Du hast was an den Ohren.

      George springt auf und rennt mit dem Zapfhahn ins Off. In seiner Abwesenheit zupft Myrtle ihr Kleid zurecht.

      MYRTLE