11. Kapitel: Sozialkompetenz ist der wichtigste Erfolgsfaktor
12. Kapitel: Wege zur Zufriedenheit und zum Glück
13. Kapitel: Vom Unsinn der Versuche, mit Leitbildern die Unternehmenskultur zu verbessern
14. Kapitel: Die Ethik des Rudels
Silberrücken in Chefsesseln
Text: F.A.Z., 12.11.2007, Nr. 263 / Seite 22
Neben erlerntem Führungsverhalten spielen weiterhin archaische Muster eine wichtige Rolle: Für das Gelingen eines Vorhabens ist letztlich immer die systemische Machtposition ausschlaggebend.
Haben sich die Führungsstile im Management gewandelt? Haben Führungstheorien und -konzepte einen Einfluss auf das Führungsverhalten von Managern? Welche Meinung haben prominente Gehirnforscher zum Thema der Willensfreiheit ganz generell und zur Gestaltungsfreiheit von Topmanagern, die sich daraus rekursiv ableiten ließe?
Für Deutschland ließe sich ein Abriss der historischen Entwicklung wie folgt darstellen: Die Aufbauphase der fünfziger Jahre war geprägt von starken Unternehmerpersönlichkeiten, deren Führungsstil sich schnell in deutschen Management-modellen niederschlug: Das Harzburger Modell war bald in aller Munde. Aber recht schnell wurden erweiterte Führungskonzepte aus Amerika adaptiert. Management by Exceptions oder Objectives waren einige der Schlagworte, die sich in den Köpfen der Manager breitmachten. Danach wurde das Thema der Führung ganz verschiedenartig variiert. Einige deutsche Protagonisten in Forschung und Management formulierten und lebten gute Differenzierungen vor. Bis die Globalisierung uns Deutschen das Heft des Handelns wieder ein wenig aus den Händen nahm. "Führen, leisten und leben" oder "Führungsprinzipien, die den Shareholder Value im Blick haben" oder "Schritt halten im internationalen Wettbewerb durch eine Ausrichtung auf Marktkapitalisierung oder Eigenkapitalrendite" waren neue Leitprinzipien, die nach Deutschland drangen. Alle diese Zeitströmungen haben recht: Sie kommunizieren Wesentliches, das sich in das übergeordnete Gesamtkonzept gut einordnen lässt. Aber es gibt noch einen anderen Blickwinkel.
Schon immer war es so, dass Führungskräfte eher ihren eigenen, persönlichen und ganz individuellen Stil verwirklichten, als den Impulsen von Vorbildern, aus Führungsfeedback-Gesprächen oder Trainings nachzugeben. Hier liegt das grundsätzliche Lernprogramm von uns Menschen zugrunde, dass wir durch Beobachtung und Nachahmung lernen. Wir beobachten, analysieren, bewerten, nehmen an oder verwerfen und bauen die für uns als richtig gefundenen Elemente in unser Verhaltensmodell ein: "Lernen am Modell" formulieren dies die Psychologen. Dieser Prozess findet weitgehend unbewusst statt. Der Output ist relativ einfach zu beschreiben: Das am besten funktionierende Prinzip wird auf diese Art und Weise aufgenommen, mit differenzierenden Elementen verändert und verinnerlicht. Wie sieht dabei der Selektionsprozess aus?
Jeder Mensch vergleicht die neuen Er-fahrungen mit denjenigen, die er gemacht hat. Er entscheidet, was besser funktioniert und was weniger. Der Maßstab ist der Erfolg, und das "Survival of the fittest" ist dann das Auswahlkriterium: Was passt besser? Was funktioniert weniger gut? Das Ergebnis folgt den Prinzipien der Evolutionsbiologie: Wie könnte es auch anders sein? Denn die Gesetze der Evolution formulieren die Chancen und Grenzen unserer Erkenntnisprozesse.
Nein. Der Gorilla ist in diesem Diskurs noch die Antithese. Was meint das Gorillaprinzip? Wir Menschen bilden soziale Systeme. Die Abläufe in sozialen Systemen haben einige Merkmale gemeinsam. So unterscheiden sich diese Abläufe in hochkomplexen sozialen Systemen wie großen Konzernunternehmen nicht grundsätzlich von dem Verhaltensmodell einer Schimpansen- oder Gorillaherde. Entscheidend ist die in einem System ausgeprägte Machtstruktur. Das Sagen hat immer das Alphatier, bei den Gorillas der mächtige Silberrücken, in einem Konzern der CEO. In einer Gorillaherde gibt es eine klare Rangordnung vom Alpha- zum Omegatier, in Unternehmen ist es das Organigramm.
Natürlich ist die Machtstruktur in einem Unternehmen viel differenzierter, als es das Organigramm wiedergeben könnte. Sinnvollerweise müsste man ein "Systemogramm" erstellen: eine Rangreihe der relativen Machtverteilung in diesem sozialen System. So wird auf ein und derselben hierarchischen Ebene wiederum ein Machtgefälle existieren zwischen dem Alphatier dieser Ebene und dessen Omegatier, und es gibt auch hierarchieübergreifende Kräfteparallelogramme: Ein Alphatier einer dritten Ebene kann stärker sein als mehrere Vertreter der zweiten Ebene. All diese Beobachtungen lassen nur einen Schluss zu: Das Gorillaprinzip als das Recht des Stärkeren hat nach wie vor Bestand! Warum ist das so?
Antworten auf diese Frage finden wir in der Evolutionsbiologie, in der Soziologie, der Soziobiologie und in der modernen Gehirnforschung. Alle sozialen Systeme funktionieren nach denselben Prinzipien. Dass Menschen auf der einen Seite und Schimpansen, Gorillas oder andere Affenarten auf der anderen Seite ähnliche Verhaltensweisen aufweisen müssen, liegt auf der Hand: Sie gehören zur Gruppe der Primaten und haben, biologisch gesehen, einen ähnlichen Genomsatz und vergleichbare gehirnbiologische Strukturen. Genetisch stimmen Menschen und Schimpansen zu mehr als 98 Prozent überein. Wie sollten unsere Gene und unsere Großhirnrinde daher ein völlig anderes Verhaltensmodell nahelegen? Das täglich auf diesem Planeten zu beobachtende Ausmaß an Konflikten, Krisenherden und Kriegen spricht Bände. So kognitiv und rational kommen wir Menschen nicht daher. Im Gegenteil scheinen wir weniger Herr über unsere Gefühle zu sein als manch eine Schimpansen- oder Gorillagruppe.
Zurück zur Führung in Wirtschaftsunternehmen oder politischen Systemen: Auch hier dominieren leider nicht die kognitiv-rationalen Sachthemen, sondern Machtspiele und Positionskämpfe. Jeder Mitspieler orientiert sich daher an seinen Möglichkeiten, seinen persönlichen Spielgewinn zu optimieren. Gehirnbiologisch wird der Mensch vom Lustprinzip geführt: Suche Lust- und vermeide Unlustgefühle. Das im Kopf ablaufende "Streitgespräch" zur Entscheidungsfindung findet dabei insbesondere zwischen der Großhirnrinde (ratio) und dem Mandelkern als dem Zentrum des limbischen Systems (emotio) statt. Letztlich handelt jeder Mensch so, dass er versucht, seinen eigenen Erfolg zu optimieren. Also wendet er die Strategie an: Tue mehr von dem, was bisher funktioniert hat. Warum sollte man es ausgerechnet jetzt auch ändern?
Und genau hier liegt die Crux: Der Kampf, an die Spitze zu kommen, ver-langt je nach dem Vorliegen von internen und externen Rahmenbedingungen jeweils ganz unterschiedliche Verhaltensweisen. Sie alle gründen zwar auf Varianten der Sozialkompetenz, also derjenigen Kompetenz, die das Verstehen, Beachten und Befolgen der Gesetze von sozialen Systemen ausmacht, haben aber eher etwas mit Ellbogen und Durchsetzungsvermögen zu tun, um die Rangeleien um den Alphaplatz erfolgreich zu bestehen. An der Spitze zu reüssieren verlangt aber andere Elemente der Sozialkompetenz: Empathie, Teamspirit, Charisma und weitere. Diese Verhaltensumstellung gelingt vielen Menschen nicht, weil sie, am Gipfel des Erfolgs angekommen, eher noch weniger über sich selbst reflektieren und noch weniger Feedback von anderen annehmen, sondern sich eher auf die Verteidigung ihrer Position konzentrieren. Die Unternehmenswirklichkeit gibt uns täglich Anschauungsmaterial dafür, dass oben der machthungrigste Silberrücken thront und nicht derjenige mit der höchsten Führungskompetenz.
Sozialkompetenz heißt auch, den anderen Menschen wirklich zu verstehen versuchen. Dieser Prozess beginnt bei uns selbst: Nur dann, wenn wir uns hinreichend gut verstehen, können wir zwischen uns und anderen differenzieren und Unterschiede wahrnehmen. Der Selbsterkenntnisprozess umschließt auch das Erkennen und Zulassen von relativen Schwächen. Von hier aus gesehen ist der nächste Schritt ein kleiner. Er lautet: Suche dir Menschen, die hier besser sind, und bilde mit ihnen ein funktionstüchtiges Team. Das bestimmende Element sollte mit absolutem Vorrang die Sozialkompetenz sein, die Fachkompetenz ist weniger wichtig. Wenn dieser Prozess gelingt, gibt es ein mehrfaches Erfolgsprinzip: für den Einzelnen, für die Mitstreiter im Team, für das Unternehmen - ja sogar für die Menschheit. Biologische Forschungen zeigen, dass eine Gorillagruppe im Großen und Ganzen so