Ханс Фаллада

Heute bei uns zu Haus


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und zwar so, daß sie den Kopf sehr hoch halten mußte. Wollte sie nun ausschlagen, so tat es einen Riß in der Nase, der ihr wehtat, und sie ließ das Ausschlagen.

      Natürlich versuchte sie nach kurzem, das Anhängen an den Wandring zu vereiteln, aber da kriegten wir sie jedesmal. Schwierig und anstrengend blieb das Melken immer. Nachdem wir Sieger geblieben waren, hatten wir deswegen beschlossen, sie dem Fleischer zu verkaufen, wenn sie sich nicht besserte. Wir hofften auf die demnächstige Geburt, auf die milderen Gefühle der Mutter. Aber war sie vor der Geburt eine Teufelin gewesen, so war sie nach ihr des Teufels Großmutter selbst – wir molken sie ein wenig ab, und dann bekam sie der Fleischer. Wir haben Pendels Erikuh keine Träne nachgeweint.

      Ich habe es schon früher gesagt: Man hat glückliche Zeiten im Stall und unglückliche. Eigentlich kann man wenig dazu tun. Es folgten ruhige Jahre, in denen der Kuhstall kein Problem war, in denen ein nie versiegender Strom Milch sich ins Haus ergoß, Tag für Tag, als könnte es gar nicht anders sein. Es folgte jene treffliche Kuh, die ein freundlicher Landwirt mich aus den sechzig Kühen seines Musterbestandes aussuchen ließ, und ein guter Engel ließ mich seine beste finden. Nach Jahren mußten wir uns von ihr trennen, weil sie sich weigerte, wieder Mutter zu werden. Sie blieb namenlos, all unsere Kühe hießen von da an nur Olsch. An dem Namen Erikuh hatten wir genug.

      Der einen Olsch folgte eine andere Olsch, die noch besser war. Wieder war das Glück mit uns gewesen. Tief in der Forst, in einem Waldarbeiterhaus, das Saugarten hieß, begegneten wir einem wahren Ungetüm von Kuh, die frischmelkend zum Verkauf stand. Selten habe ich eine so häßliche Kuh gesehen. Sie war ein wahrer Kleiderständer: überall aus ihrem Leib standen Knochen hervor, an denen man mit Bequemlichkeit Mantel und Hut aufhängen konnte. Aber eine Ahnung sagte mir: Kauf diese Kuh! Du wirst es nicht bereuen!

      Ich kaufte diese Kuh, und ich bereute es nicht. Zwar, sie fraß soviel, wie sonst keine zwei Kühe fressen – und das war auch der Grund, warum der Waldarbeiter sie verkauft hatte: diese Kuh fraß einen kleinen Mann arm! Aber dafür gab sie auch Milch, frischmelkend gab sie fast vierzig Liter am Tag, und sie fraß alles, was ihr vors Maul kam, sie war nicht wählerisch. Dabei blieb sie immer knochig und scheußlich anzusehen! Aber welche Milchfülle, und wie leicht kalbtest du!

      Ja, mit dem Kalben habe ich immer Glück gehabt, nicht nur bei diesem Knochensack, sondern bei allen meinen Kühen. Von jenen Jugendtagen an im Thüringer Rittergutsstall hatte ich Geschick für die Geburtshilfe beim Vieh. Meine Kühe und ich, wir machten die Geburten stets untereinander ab, nie brauchten wir einen Tierarzt oder andere Hilfe.

      Aber wie bei allen Dingen meines Lebens mischte sich ein Tropfen Wermut in jedes Glück. Nur Glück habe ich nie gehabt, immer war irgendein Haken dabei. Ja, bei meinen Kühen gingen die Geburten stets glatt, aber wie erging es mir dabei?

      »Junge«, sagte Suse zu mir, »die Olsch muß nun bald kalben. Bitte, paß ein bißchen mit deinen Sachen auf, zieh in den nächsten Tagen nicht gerade deinen besten Anzug an!«

      »Natürlich nicht«, antwortete ich. »Ich pass’ schon auf, diesmal soll sie mich nicht drankriegen!«

      Und immer kriegten sie mich dran, meine Olschen! Sie vertrödelten ihre Geburt ganz unbegreiflich, oder sie beeilten sich viel zu sehr. Im Hause saß mir irgendein feudaler Besuch, dem zu Ehren ich mich festlich gewandet hatte. Eine Ahnung trieb mich in den Stall – und da schauten mich schon die wachsgelben Klauen des Kälbleins aus dem Leibe der Kuhmutter an. Sanft, Hilfe erheischend, muhte die Olsch.

      Da gab es kein Zögern, da war keine Zeit zum Umziehen mehr, da hieß es zugegriffen und los! Erst wenn ich das Kalb, säuberlich mit Schrot bestreut, der Olschen zum Trockenlecken unter die Nase gelegt hatte, besann ich mich wieder auf meinen Anzug. »Knep und Schet« sagen sie auf Rügen. »Schietig« sagen sie bei uns im Dorf. »Als wenn ich es mir nicht gedacht hätte!« sprach meine Geduldige. »Ich werde den Anzug erst einmal waschen und dann zum Reinigen schicken. So kann ich ihn nicht aus dem Hause geben. Aber das muß dir klar sein, ein neuer Anzug wird dies nie wieder!«

      »Na ja!« antwortete ich ein wenig verlegen. »Dafür ist mit dem Kalb aber alles prima gegangen.«

      »Es könnte ja mit den Kälbern auch einmal prima gehen«, wurde nun gesagt, »ohne daß du deinen besten Maßanzug einsaust!«

      Als ich vor nun achtzehn Stunden mit der Niederschrift dieses Abschnitts begann, sagte ich, daß meine Stube widerhallte vom Gebrüll der hungernden und dürstenden Olsch. Hat der Leser meine dem Sauerfutter abgeneigte Kuh vergessen? Ich nicht eine Stunde lang! Alle diese Zeit hat sie meine Ohren mit ihrem Gebrüll angefüllt, mahnend, schmerzlich.

      Nun ist es still geworden. Hat sie etwa nachgegeben und Saures gefressen? Oder habe ich nachgegeben und ihr andere Speise vorgelegt?

      Ehe ich weiter berichte, wie nach den langen glücklichen Jahren mit Wahlkuh und Knochensack das Unheil mit immer schwärzerem Gewölk über meinem Kuhstall aufzog, will ich kurz erzählen, was wir in diesen achtzehn Stunden vorgenommen haben, warum die Olsch plötzlich ruhig geworden ist.

      Auf den Rat eines erfahrenen Mannes salzten wir das Sauerfutter und boten es ihr in dieser Form. Sie hob die Nase und brüllte.

      Auf den Rat eines anderen erfahrenen Mannes stellten wir eine Mischung aus Heu, Stroh und Sauerfutter her, ließen diese Mischung die Nacht durch stehen und boten sie dann der Kuh an: sie hob die Nase und brüllte.

      Über Nacht war mir selbst noch etwas eingefallen: wir haben einen Mann im Dorf, einen echten Hiob, den alle Plagen der Landwirtschaft heimsuchen. Nie hat dieser Mann genug Futter für sein Vieh. Seine Kühe, die wie schulpflichtige Kälber aussehen, werden nie satt. Jetzt, zum Ausgang des Winters, da es noch nichts Grünes gibt, hungern sie meistens.

      Zu diesem Mann bin ich heute vormittag gegangen und habe ihn gebeten, mir eine seiner Kühe für ein paar Tage in Pension zu geben. Ich habe die schwache Hoffnung, die Unverwöhnte wird meiner Starrköpfigen das Sauerfutter wegfressen. Und wird es ihr weggenommen, was sie zwar nicht schätzt, wird sie es doch der andern nicht gönnen, sondern es lieber selber fressen – so sind die Kühe! Der Mann sagte gerne ja, war er eine Fresserin für ein paar Tage los!

      Vor einer halben Stunde ist die Kuh eingetroffen. »Die Zicke ist dor!« meldete mein Futtersmann. Sie standen nebeneinander und sahen sich an. Für den Augenblick verschlug der unerwartete Besuch meiner Olschen die Sprache, für einen Augenblick vergaß sie sogar ihren Hunger.

      Aber jetzt, da ich mit meinem Bericht so weit gekommen bin, brüllt sie schon wieder. Sie brüllt lauthals, und sie wird noch bis sechs Uhr, zur Futterszeit, brüllen müssen. Dann werden wir sehen! (Und wenn sie nun beide das Sauerfutter nicht fressen? Wenn sie sich in ihrer Abneigung bestärken?)

      Unterdes fahre ich in meiner Erzählung vom Knochensack fort. Der mutige Kuhmelker Schmidt hat mich seit Jahren verlassen, statt seiner kam der »Opa«. Der Opa war, als er zu mir kam, schon siebzig, auch konnte er nicht melken, ich war recht bedenklich wegen des Opa.

      Aber Opa war eine Perle beim Vieh. Gelernt hatte er die Maurerei, und zwar jene heute immer seltener werdende Kunst des Feldsteinmauerns. Wenn das alte verhutzelte Männlein vor solch einem Feldstein von zehn oder zwölf Zentnern saß, den das Geschiebe der Eiszeit aus Schweden in unser Land getragen hat, wenn er den Stein scharf immer wieder ansah, seinen Steinhammer in der kleinen Hand, so dachte man, nie würde er des Steines Herr werden.

      Opa aber sagte: »So ’nen Stein muß man kaputt kieken, nich kaputt hauen!«

      Und er kiekte den Stein solange an, bis er eine Ader oder eine mürbere Stelle entdeckt hatte, dann erst führte er den Schlag, von dem der Stein zersprang. Unsereiner hätte wohl sinnlos darauflosgehauen und wäre eher kaputt gewesen als der Stein. Viele schöne Steinstufen und Beetkanten aus schwedischem Granit hat der Opa für meinen Garten geschlagen und gemauert, das ist ein Mauerwerk, das noch für meine Enkel hält.

      Ich weiß nicht, warum sich’s der Opa nicht mit seinem so trefflich ausgeübten Maurerhandwerk genug sein ließ, jedenfalls ging er als junger Mann noch einmal in die Lehre und wurde Sattler. Er flickte uns alles Geschirr auf dem Hof, er machte uns Hundeleinen, und wurden Besen gebraucht, so machte er die auch. Opa war zu allem