haben die Schafe dann freie Bahn und nehmen beinahe täglich Reißaus.
Pastor Folkerts
Pastor Folkerts, der in der sonntäglichen Messe auch immer was von seinen Schäfchen erzählt, meint damit aber ganz sicher nicht die Schafe von Hein Tjerks. Denn neulich haben die Schafe von Hein auf des Pastors Grundstück alle so liebevoll gepflanzten Blumen abgefressen. Zu allem Überfluss haben sie dann auch noch alle Beete mit einer ausreichend großen Menge Dünger versehen, bevor sie sich über die Kübelpflanzen auf der Terrasse vor der Kirche gemacht haben.
Der Pastor, ein sehr lieber Mensch, der auch für die Kinder in Zwillebroek immer einen Lutscher parat hat, wenn man ihn trifft, hat danach dann in der Messe das erste Mal laut geschimpft: „Meine Schäfchen in Zwillebroek – und dabei meine ich meine Schäfchen, die auf zwei Beinen laufen – sind alles sehr nette Menschen. Niemand von ihnen – bis auf die beiden Diebe Carlo Schmutzfink und Heino Allesklau – hat mir jemals einen Schaden zugefügt. Aber die vierbeinigen Schäfchen vom Schäfer Tjerks haben nun all meine Blumen gefressen. Die Schafe haben eigentlich nur das getan, was sie tun mussten, aber auch nur deshalb, weil Hein Tjerks mal wieder in seinem tüddeligen Kopf nicht aufgepasst, sondern seinen Rausch ausgeschlafen hat. Der liebe Gott hat all das mit angesehen und ist Zeuge dieses unglaublichen Vorgangs in unserem Garten. Hein Tjerks sollte nun wirklich mal Buße tun und die Gelegenheit beim Schopfe packen, mit dem Trinken aufzuhören. Er sollte von der Gemeinde Zwillebroek dazu verdonnert werden, den Kirchgarten wieder vernünftig zu bepflanzen.“
Alle Leute in der Kirche hörten stumm der Donnerpredigt von Pastor Folkerts zu. Und alle nickten zustimmend. Währenddessen war Hein allerdings schon wieder auf dem Weg zum Kiosk, um sich seinen Schnaps zu kaufen. Alle Besucher der heiligen Messe waren sich einig – so kann es im Dorf nicht weiter gehen. Man müsse sich mit Hein doch einmal in aller Ernsthaftigkeit unterhalten.
Bäcker Kornmehl
Selbst Bäcker Kornmehl, der sich sonst immer sehr zurück hält, weil seine Katze Micky ja auch schon genug Unsinn im Ort gemacht hat, stimmte da mit ein. Bäcker Kornmehl ist sonst ein sehr netter, älterer Mann mit schlohweißen Haaren. Er backt die besten Brötchen im ganzen Münsterland. Bereits morgens um zwei Uhr wird der Backofen in seiner Backstube angeheizt. Und sobald die ersten Brötchen und Plätzchen hinein geschoben werden, zieht ein herrlicher Backstubengeruch durchs ganze Dorf. Niemand, bis auf Paul Gramberg, kennt den Vornamen von Herrn Kornmehl, alle kennen ihn nur als „Herr Bäcker Kornmehl“. Und Herr Kornmehl ist nicht nur für seine leckeren Brötchen, sondern vor allem auch dafür bekannt, dass er Kinder über alles mag. Auch er – genau wie Pastor Folkerts – hat immer etwas Süßes für die Kinder in der Tasche. Vor allem Kathi und Timmi freuen sich immer auf den Mittwochabend. Denn dann kommt Bäcker Kornmehl gewöhnlich zu Besuch und hat auch garantiert eine Überraschung für die Kinder dabei. Paul Gramberg und Bäcker Kornmehl sind schon seit Kindertagen die dicksten Freunde. Und seit dieser Zeit ist der Mittwochabend eben der Freundschaftsabend der beiden Männer. Sie spielen dann immer Schach im Wohnzimmer und erzählen dabei von den alten Zeiten. Oft genug haben Kathi und Timmi schon an der Wohnzimmertür gelauscht und den lustigen Geschichten gespannt zugehört. So haben sie dann auch einmal erfahren, dass Paul und Bäcker Kornmehl, als noch die Eisenbahn durchs Dorf fuhr, hin und wieder zu den Gleisen gelaufen sind um dort auf den langsam fahrenden Zug zu warten. Sobald er an ihnen vorbei fuhr, sind sie dann auf einen Waggon aufgesprungen und ein Stück mitgefahren. Natürlich zum Missfallen des Zugführers, der dann immer lauthals geschimpft hat. Der Zug fährt nun schon seit vielen Jahren nicht mehr durch Zwillebroek. Nur ein paar verrostete alte Gleise zeugen noch von dieser Zeit, als die Waggons über den Schienenstrang rollten. Und erst, als Paul und Bäcker Kornmehl viele Jahre älter waren, haben sie erkannt, dass sie da zu dieser Zeit etwas sehr gefährliches gemacht hatten. Wenngleich es ja auch Spaß gemacht hat. Ja, Paul und Bäcker Kornmehl sind wirklich dicke Freunde.
Die Sportschau am Samstag
Aber samstags zur Sportschauzeit ändert sich diese Freundschaft meist schlagartig – zumindest könnte man das meinen, wenn man die beiden Männer nicht kennen würde. Denn dann ziehen beide immer zum Kiosk der Frau von Thünen, die in ihrem kleinen Kiosk einen großen Fernseher stehen hat und von der man weiß, dass sie als größter Fußballfan kein Spiel jemals verpassen würde, das man im Fernsehen zeigt. Nur – Bäcker Kornmehl ist Fan des FC Bayern München, Paul Gramberg ist Schalke-Fan und Frau von Thünen liebt ihre Borussia Dortmund. Wer sich also mit Fußball und der Bundesliga auskennt weiß, dass es hier eine Menge Spannungen geben dürfte, wenn diese doch sehr unterschiedlichen Fans aufeinander treffen. Und so ist es dann auch. Also jeden Samstag sieht man Paul mit seiner Fahne des FC Schalke 04 durchs Dorf ziehen. Er ist – wie gesagt – Lehrer. Aber samstags ist er eben nur noch Fußballfan und Bewohner von Zwillebroek. Er trägt dann immer seinen blau-weißen Schal, eine Baseball-Cap ebenfalls in blau weiß und seine mächtig laute Fanfare tönt dann immer durchs Dorf. Seine Frau Lisa muss für diese Samstage auch immer die blau-weiße Unterwäsche raus legen. Also auch Lehrer können manchmal etwas komisch sein. Aber niedlich komisch. Während Paul also aus nördlicher Richtung zum Kiosk zieht kommt er immer auch an der Bäckerei von Herrn Kornmehl vorbei. Und pünktlich mit Erreichen des Bäckereieingangs kommt dann auch Bäcker Kornmehl dazu. Die Tür zur Bäckerei öffnet sich und zum Vorschein kommt erst mal eine überdimensionale, rot-weiße Fahne, dann folgt ein Bollerwagen, auf dem ein regelrechtes Ungetüm von Radio steht, aus dem dann in der Lautstärke eines startenden Düsenflugzeugs die typisch bayerische Folklore ertönt. Das ganze Szenario wird durch die rot-weiße Brille und die rot-weiß karierte Jacke des Bäckers noch lustiger. So ziehen dann die beiden Männer mit geräuschvoller Kulisse zum Kiosk. Meist liegen die anderen Bewohner Zwillebroeks dann in ihren Fenstern und schauen den beiden lächelnd zu. Die beiden haben dann noch nicht ganz den Kiosk erreicht, als auch Frau
"Ich liebe diese Samstage an meinem Kiosk. Mein Name ist Gerda von Thünen. Mir gehört der Kiosk."
von Thünen dazu kommt. Sie ist, wie könnte es anders sein, komplett in gelb-schwarze Kleidung gehüllt und hat ihr Gesicht in ebensolchen Farben geschminkt. Dazu trägt sie eine gelb-schwarze Zipfelmütze und sieht fast aus wie ein Kobold, der aus der Geschichte von Harry Potter entsprungen ist. Ihre Lesebrille, ohne die Frau von Thünen ziemlich hilflos ist, ist dabei immer über die Zipfelmütze geschoben. Und bevor sie den Fernseher einschaltet, gehen die Diskussionen mit Paul Gramberg und Bäcker Kornmehl auch schon los. Es wird lauthals über Fußballstrategien und Tabellenplätze diskutiert. Und jeder für sich schimpft meist auf die Trainer der Mannschaften, wenn die Aufstellung der Profis dann doch anders ausschaut als die von ihnen bevorzugte. Mit Anpfiff der Spiele wird’s dann richtig laut am Kiosk. Jeder Fan feuert seine Lieblingsmannschaft lautstark an. Und jeder im Ort weiß, dass man in diesen nächsten neunzig Minuten besser nicht die Tageszeitung bei Frau von Thünen am Kiosk kaufen sollte, denn verkauft wird außer leckeren Limonaden für die Fußballfans hier für diese Zeit gar nichts. Selbst zum Fernsehen braucht Frau von Thünen ihre Brille. Wenn sie sie nicht aufgesetzt hat, kann sie nur verschwommene Gestalten auf dem Bildschirm erkennen und würde nicht mitbekommen, wenn eine Mannschaft ein Tor schießt. Und da Frau von Thünen zu allem Überfluss auch noch sehr vergesslich ist, findet sie ihre Brille, die sie ja, wie gesagt, über ihre Zipfelmütze geschoben hat, meist erst kurz bevor der Bundesliga-Spieltag endet. Auf diese Art und Weise hat sie schon ganz viele Tore verpasst, was sie aber auch nicht wirklich stört. Denn im Grunde geht es ihr ja viel mehr um die Atmosphäre am Kiosk und nicht so sehr um die Spielergebnisse. Und im Winter freut sich Frau von Thünen dann vor allem, wenn Flippo auch zu den Samstagsspielen an den Kiosk kommt. Denn Flippo legt sich dann immer auf ihre andauernd kalten Füße und übernimmt die Rolle der lebenden Fußheizung. Natürlich tut Flippo das nicht ganz uneigennützig, denn er weiß ganz genau, dass es bei Frau von Thünen immer was Leckeres zwischendurch gibt.
Während der Fußballübertragung beschimpfen sich die drei Freunde schon manchmal. Wenn Bäcker Kornmehl ab und zu einen Kommentar raus lässt, kontert Paul dann meist, dass dieser ja überhaupt keine Ahnung