Rebekka Kricheldorf

Werwolf


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       © 2019 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH

      Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin

      Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

      Sämtliche Rechte der öffentlichen Wiedergabe (u. a. Aufführungsrecht, Vortragsrecht, Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und Senderecht) können ausschließlich von der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH erworben werden und bedürfen der ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung. Nicht genehmigte Verwertungen verletzen das Urheberrecht und können zivilrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.

      Dieses Werk ist eine Auftragsarbeit des Saarländischen Staatstheaters Saarbrücken.

       Personen:

      Alfred Brüggemann, Pianist

      Claire Brüggemann, seine Frau

      Tammi Brüggemann, seine Tochter, Goth Girl

      Hubertus von Keil, sein Schüler

      Nikolai Chodorowitsch, sein Agent, spricht mit leicht russischem Akzent

      Tiffany Schröder, seine Nachbarin, trägt gern Kleidung in Leoparden-Optik

      Maik Schröder, sein Nachbar

      Experten*

      Brauereifestbesucher/in, Pharmazie-Historiker/in, Kriminalkommissar/in, Canidenexperte, Abgehängter, Timo der Filmnerd, Esoterikerin, wachsamer Nachbar / wachsame Nachbarin, erste Klarinette des Geflüchteten-Orchesters, Busfahrer der Werwolf Tours, Bürgermeisterin, Revierbulle, Musikkritiker/in, Zeitungsleser/in, Pflichtverteidiger/in, forensischer Psychologe/ forensische Psychologin, Mystiker/in, Intellektuelle/r, Jugendpsychiater/in

      Nachrichten und Radio

      *Die Experten sind hier als Gattung gemeint. Alle Experten – außer Timo dem Filmnerd, der Esoterikerin, der Bürgermeisterin, dem Busfahrer, dem Abgehängten, dem Revierbullen und den als Experten auftretenden Figuren der Haupthandlung – können sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts sein.

       EXPERTE I / BRAUEREIFESTBESUCHER/IN

      Wann das alles anfing? Na, so vor gut einem halben Jahr. In der Gemeinde Moosberg ist seit zwanzig Jahren kein Mord mehr begangen worden. Der letzte Mord, das war, als der Bub vom Jochtaler den Mühlberg-Bub geköpft hat. Mit der Motorsäge. Aber das war strenggenommen gar kein Mord, sondern Totschlag. Weil das im Affekt war. Schweigen. Ich saß neben dem Brüggemann beim Brauereifest, und er verhielt sich, gelinde gesagt, bizarr. Angefangen damit, dass er sich die Fingernägel nicht mehr geschnitten hat. Ziemlich seltsam für einen Pianisten. Er war ja ein recht freundlicher Mensch gewesen. Etwas scheu, aber immer höflich. Gute Umgangsformen, aber eben etwas reserviert. Na ja. Und dann auf dem Fest. Hat er ganz schön die Sau rausgelassen. Das kannte man so nicht von ihm. Aber, klar, das muss ja noch nichts heißen. Das muss ja noch lange nichts heißen. Das kennt man dann ja auch mal von sich selbst. Wofür sind die sonst da, diese Feste? Ich steh ja drauf. Auf die Vollmond-Sause der Brauerei jeden Monat. Schöne Tradition. Da brauen die ihr Vollmond-Bier, das schmeckt echt gut. Ziemlich speziell, aber ich mag's. Na ja, Brüggemann war auch nur kurz da. Wirkte wie einer, der nicht viel verträgt. Aber dass es mal so endet mit ihm, wie es endete, das hätt sich damals keiner von uns träumen lassen.

       FAMILIENFRIEDEN I

       Salon der Brüggemanns. Claire und Tammi bei Tisch. Tammi starrt auf ihr Handy. Im Off hört man Alfred eine Klaviersonate von Mozart üben.

      CLAIRE klingelt mit einem Glöckchen Alfred. Zu Tisch.

       Das Klavierspiel hört auf. Alfred kommt, setzt sich.

      ALFRED Was hatten wir vereinbart?

      CLAIRE Tamara. Dein Vater spricht mit dir.

      ALFRED Gib mir das Gerät.

       Tammi gibt maulend das Handy ab.

      TAMMI Musst du nicht auf Konzertreise, Papa?

      ALFRED Ich kam doch eben erst aus Frankreich.

      TAMMI Schade.

      CLAIRE Tamara!

       Schweigen. Essen.

      ALFRED Der Seitan schmeckt heute etwas fad.

      TAMMI War ja klar. Wenn ICH koche, schmeckt's dir nicht.

      ALFRED Tammi, bitte. Ich habe drei Wochen Hotel hinter mir. Ich könnte etwas Familienfrieden brauchen.

       Schweigen. Essen.

      ALFRED War ja wieder alles extrem schlecht organisiert vom Wöllner. Erst gar keinen Pausentag, dann drei hintereinander. Was macht man, bitte, drei Tage in Angouleme? Bei Regen? Schweigen. Wenn du mir bitte das Salz reichtest?

      CLAIRE Du sollst doch etwas auf‘s Salz achten, sagt Doktor Nadolni.

      ALFED Die Nadolni, die kann mich mal.

      CLAIRE Du bist so ruppig, seit du zurück bist.

      ALFRED Ich bin nicht ruppig, ich bin direkt. Und das war ich schon immer.

       Schweigen.

      CLAIRE Alexa? Radio an.

      RADIO Gemeinde Moosberg. Im Forst wurde heute Morgen eine Leiche gefunden.

      Nach Polizeiangaben handelt es sich um eine Frau mit noch ungeklärter Identität. Mitteleuropa. Der Wolf ist zurück.

      ALFRED Alexa? Radio aus.

       Schweigen.

      TAMMI Der Wolf ist zurück? War der denn jemals weg?

      ALFRED Der Wolf, mein Kind, galt Jahrhunderte lang als ausgerottet. Man kann also durchaus sagen, dass er WEG war. Doch nun erlebt er ein triumphales Comeback. Er holt sich, Stück für Stück, sein Territorium zurück. Wenn du in gewissen Nächten ganz, ganz leise bist, kannst du ihn von Ferne heulen hören.

      CLAIRE Da ist aber jemand ganz verliebt in den Wolf.

      ALFRED Von Zeit zu Zeit muss einer kommen und die Zivilisation daran erinnern, dass es draußen, jenseits ihrer Außengrenzen, noch was Anderes, Wildes gibt, gegen das es sich zu schützen lohnt.

      TAMMI Ich hab ja gehört, dass der Wolf voll harmlos ist.

      ALFRED Frag das mal den Schäfer.

       Schweigen.

      CLAIRE Wie war das Brauereifest gestern?

      ALFRED Unspektakulär.

      CLAIRE Warst du lange dort?

      ALFRED Ging so. Schweigen. Nichts gegen unsere Nachbarschaft. Aber wenn die ihre drei, vier Liter intus haben, lassen die ganz schön die Sau