Karl May

Weihnacht von Karl May


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»Nicht wahr, das ist etwas, das ist auch etwas?« fragte er triumphierend. »Eine gedruckte

       Komposition ist mehr, viel mehr wert als ein gedrucktes Gedicht. Ein Gedicht kann jeder

       machen, der die Reime dazu aus der Luft hergreift; aber eine Komposition, das ist etwas ganz

       anderes; das kommt nicht aus der Luft, sondern wo anders her! Da muß man etwas gelernt

       und ganz besonders einen tüchtigen Lehrer gehabt haben. Und gute, tüchtige Lehrer können

       nur die Herren Kantores sein, welche die Orgel schlagen und den Kirchengesang leiten. Der

       Kirchengesang ist die höchste – –«

       »Aber bitte, Herr Kantor,« unterbrach ich seinen Redefluß »Sie sehen mich im höchsten

       Grade erstaunt. Diese Motette habe ich nicht komponiert, daß sie gedruckt werden soll; sie ist

       eine Übungsarbeit, die im Kasten liegen bleiben sollte; plötzlich aber war sie weg. Wie ist sie

       in Ihre Hände gekommen, und woher wissen Sie, daß sie von mir ist? Auf dem Originale hat

       mein Name nicht gestanden.«

       »Das ist wahr, sehr wahr,« lachte er. »Aber denken Sie denn wirklich, daß ich Ihre

       Handschrift nicht kenne und auch die von Krüger nicht?«

       »Krüger?« fragte ich. »Welchen Krüger meinen Sie?«

       »Dumme Frage! Natürlich Krüger, der Ihnen damals wegen Ihrer Arbeit über die

       Quintseptaccorde die erste Censur abtreten mußte. Er hat sich rächen wollen, wird aber nun

       durch mich bestraft, daß er sich blauärgern soll!«

       »Ich verstehe Sie noch nicht.«

       »Immer noch nicht? Sie sind doch sonst nicht so schwer von Begriffen. Da muß ich Ihnen

       doch gleich noch zweierlei zeigen, worüber Sie sich, wenigstens über das eine,

       wahrscheinlich wundern oder aber auch ärgern werden. Da, zunächst das. Wessen Handschrift

       ist das?«

       Er gab mir ein großes, abgestempeltes Couvert, auf welchem sein Name stand. Ich brauchte

       nur einen Blick darauf zu werfen, um antworten zu können:

       »Das hat Krüger geschrieben; man sieht es sofort.«

       »Ja; der Kerl hat sich nicht einmal Mühe gegeben, seine Hand zu verstellen. Er hat

       wahrscheinlich gedacht, daß ich das Couvert wegwerfe, ohne es anzusehen. Nun aber das.

       Sehen Sie es sich genau an!«

       Es war meine Partitur der Motette. Indem ich die Systeme nur flüchtig überblickte, fand ich

       nicht, was er meinte; da machte er mich darauf aufmerksam:

       »Halten Sie das Papier gegen das Licht, so werden Sie die radierten Stellen finden.«

       »Was! Er hat radiert?«

       »Ja, er hat radiert, um Fehler hineinzumachen; die Absicht können Sie sich wohl denken!«

       »Das wäre eine Schlechtigkeit, eine Gemeinheit, die –«

       »Lassen Sie das!« unterbrach er mich. »Ich habe die Sache schon selbst in die Hand

       genommen. Ich habe ihn vorgehabt, und er hat es eingestehen müssen; die Sache wird noch

       vor die Konferenz kommen. Inzwischen habe ich eine Abschrift, natürlich ohne die

       hineingemachten Fehler, genommen und die Motette dann dem Buchhändler eingeschickt,

       Ihnen zuliebe und diesem Krüger zum Ärger. Er hat sie angenommen, und wissen Sie,

       welches Honorar er Ihnen zahlt?«

       »Honorar? Also Geld, auch hier Geld?«

       »Natürlich! Geschriebene Noten gegen Banknoten oder klingende Münze; anders thue ich es

       nicht. Er hat einstweilen fünfhundert gedruckt und dafür fünfundzwanzig Thaler bezahlt. Sie

       bekommen also zwar bloß fünfzehn Pfennige für das Exemplar, aber das ist doch immer

       besser, als wenn die Motette in Ihrem Kasten läge und gar nichts brächte. Er schickte

       Papiergeld; ich habe es aber umgewechselt, weil Silber besser klingt. Es ist ein ganzer, großer

       Haufen Geld. Da haben Sie ihn! Lassen Sie nichts davon fallen!«

       Er zog den Tischkasten auf, griff mit beiden Händen hinein und hielt sie mir dann, gefüllt mit

       Thalerstücken hin. Ich war beinahe bestürzt über diese zweite, so ganz unerwartete Gabe des

       Glückes. Er schob mir das Geld lachend hüben und drüben in die Hosentaschen und rief

       dabei:

       »Nehmen Sie nur, nehmen Sie! Wer weiß, ob Ihnen in Ihrem ganzen Leben wieder einmal

       eine Komposition auch nur einen Groschen einbringt; drum greifen Sie jetzt zu; Sie können es

       ja brauchen! Übrigens wird die Motette eingeübt und hier in der Kirche gesungen; der Krüger

       muß platzen vor Ärger, das heißt, wenn er nicht schon vorher fort muß, denn die Gemeinheit,

       welche er hier bewiesen hat, verdient eine so exemplarische Bestrafung, daß ich überzeugt

       bin – –«

       »Bitte, Herr Kantor,« fiel nun ich ihm einmal in die Rede. »Sie sind mir immer freundlich

       gesinnt gewesen, und ich denke, daß Sie mir auch jetzt die Erfüllung eines Herzenswunsches

       nicht abschlagen werden.«

       »So? Hm, ich ahne schon! Was ist das für ein Wunsch?«

       »Bringen Sie Krüger nicht vor die Konferenz! Ich bin heute so glücklich und würde die ganze

       Freude an diesem Glück verlieren. wenn er in Strafe käme.«

       »Ist das nicht zuviel verlangt?«

       »Wohl nicht. Er ist ja die eigentliche Ursache der frohen Überraschung, die Sie mir bereitet

       haben. Sie hätten gewiß keinen Verleger für die Motette gesucht, wenn er sie Ihnen nicht

       eingeschickt hätte, um mich in Ihrer Meinung herabzusetzen.«

       Da gab er mir die Hand und sagte, jetzt ernster als vorher:

       »Sie machen mir eine doppelte Freude. Nämlich erstens, daß Sie für Krüger bitten. Ich habe

       ihn nur deshalb noch nicht zur Anzeige gebracht, um ihn mit meinem Verweise und einem

       tüchtigen Ärger davonkommen zu lassen. Darum habe ich gewartet, bis die Motette gedruckt

       worden ist. Hätten Sie die Anzeige gewollt, so wäre sie erfolgt; nun aber soll er noch einen

       kräftigen Rüffel unter vier Augen bekommen und dabei erfahren, daß er die übrige

       Straflosigkeit nur Ihrer Fürbitte verdankt. Er wird sich blau und schwarz darüber ärgern, daß

       die Motette im Druck erschienen ist, daß sie Ihnen Geld eingebracht hat und daß er sie nun

       sogar mitsingen muß.«

       »Soll er das?«

       »Ja; anders thue ich es nicht; er hat eine gute Stimme und soll sogar, grad zu seinem Ärger,

       ein Solo bekommen, nämlich, wissen Sie, den dreistimmigen Solosatz in As-dur mit dem

       Texte: ›Drum gehet hin nach Bethlehem; da werdet Ihr finden das Jesuskind in einer Krippe

       liegen.‹ Das war der erste Punkt, über den ich mich um Ihretwillen freue. Der andere Punkt

       bezieht sich auf Ihre Einsicht, daß ich Ihre Komposition ohne den angegebenen Grund wohl