»Nicht wahr, das ist etwas, das ist auch etwas?« fragte er triumphierend. »Eine gedruckte
Komposition ist mehr, viel mehr wert als ein gedrucktes Gedicht. Ein Gedicht kann jeder
machen, der die Reime dazu aus der Luft hergreift; aber eine Komposition, das ist etwas ganz
anderes; das kommt nicht aus der Luft, sondern wo anders her! Da muß man etwas gelernt
und ganz besonders einen tüchtigen Lehrer gehabt haben. Und gute, tüchtige Lehrer können
nur die Herren Kantores sein, welche die Orgel schlagen und den Kirchengesang leiten. Der
Kirchengesang ist die höchste – –«
»Aber bitte, Herr Kantor,« unterbrach ich seinen Redefluß »Sie sehen mich im höchsten
Grade erstaunt. Diese Motette habe ich nicht komponiert, daß sie gedruckt werden soll; sie ist
eine Übungsarbeit, die im Kasten liegen bleiben sollte; plötzlich aber war sie weg. Wie ist sie
in Ihre Hände gekommen, und woher wissen Sie, daß sie von mir ist? Auf dem Originale hat
mein Name nicht gestanden.«
»Das ist wahr, sehr wahr,« lachte er. »Aber denken Sie denn wirklich, daß ich Ihre
Handschrift nicht kenne und auch die von Krüger nicht?«
»Krüger?« fragte ich. »Welchen Krüger meinen Sie?«
»Dumme Frage! Natürlich Krüger, der Ihnen damals wegen Ihrer Arbeit über die
Quintseptaccorde die erste Censur abtreten mußte. Er hat sich rächen wollen, wird aber nun
durch mich bestraft, daß er sich blauärgern soll!«
»Ich verstehe Sie noch nicht.«
»Immer noch nicht? Sie sind doch sonst nicht so schwer von Begriffen. Da muß ich Ihnen
doch gleich noch zweierlei zeigen, worüber Sie sich, wenigstens über das eine,
wahrscheinlich wundern oder aber auch ärgern werden. Da, zunächst das. Wessen Handschrift
ist das?«
Er gab mir ein großes, abgestempeltes Couvert, auf welchem sein Name stand. Ich brauchte
nur einen Blick darauf zu werfen, um antworten zu können:
»Das hat Krüger geschrieben; man sieht es sofort.«
»Ja; der Kerl hat sich nicht einmal Mühe gegeben, seine Hand zu verstellen. Er hat
wahrscheinlich gedacht, daß ich das Couvert wegwerfe, ohne es anzusehen. Nun aber das.
Sehen Sie es sich genau an!«
Es war meine Partitur der Motette. Indem ich die Systeme nur flüchtig überblickte, fand ich
nicht, was er meinte; da machte er mich darauf aufmerksam:
»Halten Sie das Papier gegen das Licht, so werden Sie die radierten Stellen finden.«
»Was! Er hat radiert?«
»Ja, er hat radiert, um Fehler hineinzumachen; die Absicht können Sie sich wohl denken!«
»Das wäre eine Schlechtigkeit, eine Gemeinheit, die –«
»Lassen Sie das!« unterbrach er mich. »Ich habe die Sache schon selbst in die Hand
genommen. Ich habe ihn vorgehabt, und er hat es eingestehen müssen; die Sache wird noch
vor die Konferenz kommen. Inzwischen habe ich eine Abschrift, natürlich ohne die
hineingemachten Fehler, genommen und die Motette dann dem Buchhändler eingeschickt,
Ihnen zuliebe und diesem Krüger zum Ärger. Er hat sie angenommen, und wissen Sie,
welches Honorar er Ihnen zahlt?«
»Honorar? Also Geld, auch hier Geld?«
»Natürlich! Geschriebene Noten gegen Banknoten oder klingende Münze; anders thue ich es
nicht. Er hat einstweilen fünfhundert gedruckt und dafür fünfundzwanzig Thaler bezahlt. Sie
bekommen also zwar bloß fünfzehn Pfennige für das Exemplar, aber das ist doch immer
besser, als wenn die Motette in Ihrem Kasten läge und gar nichts brächte. Er schickte
Papiergeld; ich habe es aber umgewechselt, weil Silber besser klingt. Es ist ein ganzer, großer
Haufen Geld. Da haben Sie ihn! Lassen Sie nichts davon fallen!«
Er zog den Tischkasten auf, griff mit beiden Händen hinein und hielt sie mir dann, gefüllt mit
Thalerstücken hin. Ich war beinahe bestürzt über diese zweite, so ganz unerwartete Gabe des
Glückes. Er schob mir das Geld lachend hüben und drüben in die Hosentaschen und rief
dabei:
»Nehmen Sie nur, nehmen Sie! Wer weiß, ob Ihnen in Ihrem ganzen Leben wieder einmal
eine Komposition auch nur einen Groschen einbringt; drum greifen Sie jetzt zu; Sie können es
ja brauchen! Übrigens wird die Motette eingeübt und hier in der Kirche gesungen; der Krüger
muß platzen vor Ärger, das heißt, wenn er nicht schon vorher fort muß, denn die Gemeinheit,
welche er hier bewiesen hat, verdient eine so exemplarische Bestrafung, daß ich überzeugt
bin – –«
»Bitte, Herr Kantor,« fiel nun ich ihm einmal in die Rede. »Sie sind mir immer freundlich
gesinnt gewesen, und ich denke, daß Sie mir auch jetzt die Erfüllung eines Herzenswunsches
nicht abschlagen werden.«
»So? Hm, ich ahne schon! Was ist das für ein Wunsch?«
»Bringen Sie Krüger nicht vor die Konferenz! Ich bin heute so glücklich und würde die ganze
Freude an diesem Glück verlieren. wenn er in Strafe käme.«
»Ist das nicht zuviel verlangt?«
»Wohl nicht. Er ist ja die eigentliche Ursache der frohen Überraschung, die Sie mir bereitet
haben. Sie hätten gewiß keinen Verleger für die Motette gesucht, wenn er sie Ihnen nicht
eingeschickt hätte, um mich in Ihrer Meinung herabzusetzen.«
Da gab er mir die Hand und sagte, jetzt ernster als vorher:
»Sie machen mir eine doppelte Freude. Nämlich erstens, daß Sie für Krüger bitten. Ich habe
ihn nur deshalb noch nicht zur Anzeige gebracht, um ihn mit meinem Verweise und einem
tüchtigen Ärger davonkommen zu lassen. Darum habe ich gewartet, bis die Motette gedruckt
worden ist. Hätten Sie die Anzeige gewollt, so wäre sie erfolgt; nun aber soll er noch einen
kräftigen Rüffel unter vier Augen bekommen und dabei erfahren, daß er die übrige
Straflosigkeit nur Ihrer Fürbitte verdankt. Er wird sich blau und schwarz darüber ärgern, daß
die Motette im Druck erschienen ist, daß sie Ihnen Geld eingebracht hat und daß er sie nun
sogar mitsingen muß.«
»Soll er das?«
»Ja; anders thue ich es nicht; er hat eine gute Stimme und soll sogar, grad zu seinem Ärger,
ein Solo bekommen, nämlich, wissen Sie, den dreistimmigen Solosatz in As-dur mit dem
Texte: ›Drum gehet hin nach Bethlehem; da werdet Ihr finden das Jesuskind in einer Krippe
liegen.‹ Das war der erste Punkt, über den ich mich um Ihretwillen freue. Der andere Punkt
bezieht sich auf Ihre Einsicht, daß ich Ihre Komposition ohne den angegebenen Grund wohl