Markus Saga
Im Wesentlichen Nichts
Markus Saga
published by: epubli GmbH, Berlin
Copyright: © 2019 Markus Saga
Cover & Konvertierung: Sabine Abels | www.e-book-erstellung.de
Die Liebe ist geduldig und freundlich.
Sie kennt keinen Neid, keine Selbstsucht,
sie prahlt nicht und ist nicht überheblich.
Liebe ist weder verletzend
noch auf sich selbst bedacht,
weder reizbar noch nachtragend.
Sie freut sich nicht am Unrecht,
sondern freut sich, wenn die Wahrheit siegt.
Diese Liebe erträgt alles, sie glaubt alles,
sie hofft alles und hält allem stand.
Die Liebe hört niemals auf.
1. Kor. 13, 4-8
Für Katharina. Du machst den Unterschied.
Inhalt
Erzähler
Ich heiße Martin. Zugegeben kein sonderlich spektakulärer Name, aber mein Leben war das auch nicht. Jedenfalls nicht, bis ich meinen Namensvetter getroffen habe. Ganz recht, es gibt zwei von uns. Warum ausgerechnet ich euch diese Geschichte erzähle? Wahrscheinlich, weil ich verrückt genug bin, dass ihr mir glaubt. Denn es geschehen ein paar überaus merkwürdige Dinge in diesem Buch. Wenn ich die nicht selber irgendwie mitbekommen hätte, dann würde ich sie wahrscheinlich für Blödsinn halten. Es wird übrigens eine ganze Zeit lang dauern, bis ich mich wieder zu Wort melde. Erst mal kriegt ihr es mit meinem Namensvetter zu tun. Und mit einem Traum, den er schon viel früher hatte. Bevor die ganze Sache wirklich losging.
Traum
Der Wolf hat ein blaues Fell und dunkelgelbe Augen, die leuchten. Der Weg, auf dem ich gehe, ist steinig. Eigentlich kann ich gar nicht drauf gehen. Die Steine sind viel zu groß und scharfkantig. Die Frau da vorne ist nackt. Ich müsste sie eigentlich auf die Arme nehmen, damit ihre Fußsohlen nicht verletzt werden. Sonst denke ich nichts. Das Tor auf der Hochebene ist offen. Ich sehe alte, sonnengebleichte Steine mit kleinen Rissen drin. Ich trete hindurch und bin alleine. Dann stehe ich vor einem Abgrund. Ich stürze mich hinunter. Statt unten aufzuklatschen, fliege ich. Hoch und tief und weit in den Himmel hinein. Ich kann das einfach so. Szenenwechsel. In der Wüste sitze ich an einem Feuer. Mir gegenüber ein Beduine. Indigoblaues Tuch, schwarze Augen. Das ist die schwärzeste Nacht, die ich jemals gesehen habe. Ich habe ja auch noch nicht viel gesehen. Dann schwimme ich durch ein Meer. Die Sonne über mir, die Luft ist blau. Ich schwimme wie ein Delfin bis zum Horizont. Ein tolles Gefühl. Am Horizont finde ich mich direkt vor der Sonne wieder. Ich stelle ihr eine Frage, die sie mir beantwortet. Sie ist ganz schön hell. Wieder bin ich woanders. Diesmal ist es ein Urwald, durch den ein Fluss fließt. Da sitze ich lange und höre dem Wasser zu. Im Grand Canyon stehe ich auf einer ewig hohen Steinsäule, die sich ganz alleine im Tal befindet. Und wieder fliege ich. Ich bin der König der Lüfte, weil ich weiß, dass ich niemals abstürzen werde. So etwas habe ich noch nie erlebt. Dann ruft mich eine Stimme zurück. Mist, verdammter. Ich will noch nicht und sauge mich fest in meinem Traum wie eine Zecke. Da ruft mich die Stimme schon wieder. Ob ich ihr vertrauen kann? Ich wage es und bin zurück am Tor. Mir gegenüber taucht ein steinernes Standbild auf. Statt da zu thronen, bewegt sich die Gestalt und umarmt mich. Ich finde mich in den Armen meiner Frau wieder und bin ganz überrascht.
Herr Grünwaldt
Als ich den Kopf hebe, sehe ich einen flüchtigen Schatten und warte auf eine Reaktion in meinem Hirn. Aber es scheint zu früh für eine Verbindung zu sein und so schließe ich die Augen wieder. Das schmatzende Geräusch irgendwo in der Ferne ist hoffentlich eine Kaffeemaschine, denkt es in mir, während gleichzeitig ein bollernder Tsunami in der Wand explodiert und mein Herz in einen wilden Galopp versetzt. Was um Himmels willen …? Da setzt mein Gehirn schlagartig wieder ein und mir wird übel bei dem Gedanken, was in der letzten Nacht wohl passiert sein mag. Das jedenfalls ist nicht meine Wohnung. Die Matratze, die mich beherbergt, schwimmt inmitten eines Meeres aus Dosen, Einkaufstüten, Klamotten, Zeitschriften und Zigarettenschachteln vor dem Tsunami davon. Die Bettwäsche immerhin ist aus Satin und dunkellila. Ich bin also wenigstens bei einer Frau gelandet. Das Bollern aus der Wand wird leiser und ich drehe meinen Kopf in Richtung der kaffeeduftenden Küche, aus der sonst leider nichts weiter zu vernehmen ist. Dann wuchte ich meinen gepeinigten Körper ans andere Ende der Matratze und durchsuche die leeren Schachteln auf dem Boden nach einer Zigarette, werde allerdings nicht fündig. Enttäuscht stehe ich auf, stolpere über meine Hose in Richtung eines arg ramponierten Holztisches, auf dem neben Asti Spumante und mehreren Feuerzeugen eine Probierpackung Drum liegt, aus der ich mir mit steifen Fingern eine Fluppe bastele. Nach den ersten Zügen betrachte ich mein Umfeld näher, vor allem die Skyline aus zernagten Gründerzeitvillen jenseits des schlierigen Fensters, aus dem mir ein paar verlorene Sonnenstrahlen entgegenkommen. Die Plastikuhr an der Wand zeigt fast halb eins und der Zeiger wandert unaufhörlich weiter.
„Kaffee?“
Die Frage kommt von schräg hinter meinem Kopf und ist rauer als die rissige Tapete daneben. Sie gehört zu einer blond gefärbten Dauerwelle, die feucht über schmalen Schultern endet. Ich grinse zurück und vergesse zu antworten, weswegen sich die Augenbrauen meiner Gastgeberin fragend nach oben in die sonnenbankgegerbte Stirn ziehen.