geringer Höhe über den Wipfeln von Birken und Weiden ein, bis sie einen Sturzacker erreichte.
Heavens, dachte Taggart entsetzt, dein letztes Stündlein hat geschlagen ...!, als er sah, wie kurz der Sturzacker war.
Noch ehe der Gedanke zu Ende gesponnen, hatte Porter bereits eine saubere Dreipunktlandung „hingelegt“. Die Federbeine des Fahrgestells fingen die schlimmsten Stöße ab, die Maschine rollte, wurde langsamer und kam drei Meter vor dem jenseitigen Waldrand zum Stehen.
Noch einmal heulte der Motor auf. Mit Geschick wendete der Pilot die De Havilland und schaltete endlich Zündung und Benzinzufuhr ab.
Bleierne Stille folgte dem Motorenlärm.
„Da die Landung geglückt ist und wir noch am Leben sind, Taggart, dürfte es sich vielleicht empfehlen, auszusteigen“, meinte Porter gemütlich.
Taggart schnallte sich ab und öffnete die Kabinentür.
„Ab heute sind Sie für mich der Meister aller Klassen, Porter“, sagte er, immer noch zitternd. „Warten Sie hier, länger als anderthalb Stunden werde ich kaum weg sein ...“
„All right!“, erwiderte der Pilot. „Meinetwegen lassen Sie sich nur Zeit. Ich habe einen spannenden Kriminalroman mitgebracht, und den will ich ohnehin zu Ende lesen.“
*
Durch den Frieden der Dämmerung schritt Taggart nach Norden. Der Fußpfad war von Weidenbüschen gesäumt, in denen Rohrdommeln nisteten; Möwen strichen kreischend von der Somerset-Küste her ein, ein einsamer Geier zog hoch droben in den Lüften Kreise und schien hochmütig alle Vorgänge auf der Erde zu ignorieren.
Das Ziel des Inspectors war eine Raubritterburg, die sich als dunkle Silhouette vom helleren Abendhimmel deutlich abhob. In dem diffusen Licht der Übergangszeit zwischen Tag und Nacht schien sie weit entfernt, in Wirklichkeit aber hatte Taggart nur etwa eine Meile zu gehen, bis er vor der ehemaligen Zugbrücke stand, die sich längst nicht mehr hochziehen ließ, und in neuerer Zeit eine Asphaltdecke erhalten hatte.
Angesichts der Dunkelheit war vom Erhaltungszustand des Schlosses nicht viel zu sehen, aber der gepflasterte Innenhof war sauber instand gehalten und nirgends von Grasbüscheln überwuchert.
„Was darf ich für Sie tun, Sir?“, fragte plötzlich eine dreiste Stimme.
Taggart blieb stehen und musterte die Umrisse eines bulligen Mannes, der scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war und ihn um mindestens zwei Köpfe überragte.
„Inspector Taggart, Scotland Yard. Ich möchte Mr. Waynal sprechen.“
„Bitte mir zu folgen, Sir.“
Der Diener führte Taggart zum Hauptbau, hielt sich auf der Treppe an seiner Seite und ließ ihm den Vortritt. Durch ein geschnitztes Portal betrat er eine Gewölbehalle, die aus dem elften Jahrhundert stammen mochte. Dicke Säulen, gotische Bögen, klobige Bänke und Tische sowie einige auf Sockeln aufgestellte rostige Ritterrüstungen machten die Illusion täuschend, dass das Eintreffen von König Artus und seiner Tafelrunde in der nächsten Minute erfolgen werde.
Vermutlich hatte es König Artus nie gegeben, und falls doch, dann waren seine Gebeine längst vermodert, aber der Schlossherr, der an seiner statt in der düsteren Halle erschien, war nur ein kümmerlicher, enttäuschender Ersatz. Der nur mittelgroße, dicke, ja pastöse Fünfziger hatte einen völlig kahlen, buckeligen Schädel und machte einen unangenehmen, ausgesprochen schleimigen Eindruck, der durch den Umstand noch ins Unerträgliche verstärkt wurde, dass er sich wie ein typisch englischer Landlord trug.
Er kam mit polternder Großspurigkeit — hinter der sich vermutlich Unsicherheit, ja Angst verbargen — auf den Besucher zu, blieb breitbeinig vor ihm stehen und starrte ihm dreist ins Gesicht, vermied es aber, Taggarts kühnem Blick standzuhalten.
„Ich bin Hammond Waynal, Sir“, begann der Schlossherr. „Inspector Taggart? Fein! Ich heiße Sie willkommen. Nehmen Sie irgendwo Platz. Platz ist ja hier genug vorhanden, ha, ha, ha!“ Hände reibend fuhr er fort: „Ich würde Ihnen gern einen guten Schluck und einen Imbiss vorsetzen lassen, nehme aber an, dass Sie dienstlich ...“
„Ein guter Schluck und ein Imbiss wären genau das, was ich nötig hätte, Mr. Waynal“, unterbrach ihn der Inspector kurz, „aber ich darf nichts annehmen, weil ich tatsächlich im Dienst bin. Ich habe Sie in einer Angelegenheit aufgesucht, in der bereits mein Kollege Strush mit Ihnen gesprochen hat ...“
Höflich führte Waynal den Inspector zur Bank, wartete ab, bis Taggart sich gesetzt hatte und nahm dann ihm gegenüber Platz. Sein grobes, verschlagenes Gesicht blieb starr auf den Beamten gerichtet, aber in seinen tief in den Höhlen liegenden, verschlagenen Augen spiegelte sich eine ganze Skala schwer zu deutender Gefühle wider.
„Falls es sich wieder um die Dame handelt, die am Abend des 25. August ums Schloss geschlichen sein soll, hätten Sie sich die Mühe Ihres Besuches ersparen können, Sir“, begann Waynal unaufgefordert und verstummte abrupt.
„Das habe ich mir selbst schon vorgehalten, Mr. Waynal“, pflichtete ihm Taggart begütigend bei. „Leider bin ich an meine Dienstanweisung gebunden und kann manchmal nicht darauf verzichten, leeres Stroh zu dreschen. Überhaupt besteht die Arbeit des Kriminalisten zu neunundneunzig Prozent darin, mühsam enttäuschenden Fehlspuren nachzugehen und sich dabei von der Hoffnung leiten zu lassen, endlich doch einmal zum Erfolg zu kommen. Darf ich Ihnen einige Fragen vorlegen?“
Er durfte.
Er blieb eine reichliche halbe Stunde bei dem Schlossherrn, erfuhr aber nichts, was er nicht schon dem Vernehmungsprotokoll entnommen hatte, und musste sich am Ende eingestehen, dass er wieder einmal im abgeschlagenen Feld gelandet war.
Als er das Rennen endlich aufgab und sich verabschiedete, konnte Waynal seinen Triumph nur mühsam verbergen.
Nachdem Taggart das Schloss hinter sich gelassen hatte, schritt er zügig aus. Er sehnte sich nach seiner gemütlichen Londoner Wohnung, einem kräftigen Abendessen und einem warmen Bad.
Komisch, dachte er, das ist wieder einmal ein Fall, in dem alles „drin“ ist. Captain Benham verübt Selbstmord, ehe ich mit ihm sprechen kann. Seine Braut straft den toten Verlobten wider besseres Wissen Lügen. Helen Craigie scheint etwas zu verbergen und was Hammond Waynal betrifft, so bin ich ein Massenmörder, wenn er ein ehrlicher, redlicher Bürger ist.
Als der starke Motor aufheulte und die De Havilland sich zögernd und widerwillig in Bewegung setzte, starrte der neben dem Piloten sitzende Inspector wie gebannt die vom Landescheinwerfer nur vage beleuchtete Startfläche an, die schon für die Landung fast zu knapp gewesen war, zum Start aber — seiner Meinung nach — ganz bestimmt nicht ausreichte.
Die ersten fünfzig Meter führten rechts so dicht an einem ausgedehnten Erlengebüsch vorbei, dass die Tragfläche die Ranken schier zu streifen schien. Wild schlingerte die Maschine auf der unebenen Scholle hin und her, das Motorengeräusch erschlug jeden anderen Ton, und die Beklemmung, die Taggart während des Starts empfand, machte ihn für jede andere Wahrnehmung unzugänglich, sodass ihm die ganze Serie zuckender blauer Flämmchen erst viel später zu Bewusstsein kamen und zu denken gaben.
Natürlich waren die Bedenken des Inspectors ungerechtfertigt. Porter, der Pilot, wusste ganz genau, was er seiner Maschine und sich selbst zumuten durfte, und so gelang der Start ohne Zwischenfall, wenn das Fahrgestell der Maschine auch im Hochziehen verdächtig knapp über den Weiden- und Birkenwipfeln hinwegzog, die den Sturzacker an der nordostwärtigen Seite begrenzten.
„Einundzwanzig Uhr“, sagte der Pilot befriedigt, während die De Havilland im Steigflug auf Höhe Tausend stieg. „Wir werden voraussichtlich noch vor zweiundzwanzig Uhr dreißig in Croydon landen. Für heute steht's mir wieder einmal bis zum Hals.“
Während der folgenden zwanzig Minuten beschäftigte sich Inspector Taggart eingehend mit den Aufzeichnungen in seinem Tagebuch. Danach klappte er es zu, steckte es befriedigt aufseufzend ein und schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Als er den Kopf wandte, konnte er das massige Profil des gelassen hinter dem Knüppel sitzenden Piloten