Alfred Bekker

So viele Killer: Vier Kriminalromane


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      J.T., Worcester, hauptpostlagernd, wiederholte er nachdenklich. „Wer mag sich hinter dieser Anschrift verbergen? — Wir müssen dem Betreffenden eine Falle stellen.“

      „... in die er kaum gehen wird, sofern er Mrs. Elgas Verschwinden auf dem Gewissen hat. Hm — die Odds stehen fünfzig zu fünfzig ...“

      „Ich kann Sie nicht recht verstehen, Chris!“ Taggart sah erstaunt auf.

      „Und warum denn nicht, Sir? Addieren wir wieder einmal die Tatsachen: Jeden Zehnten hebt Mrs. Elga Ashburton einhundertvierzig Pfund von ihrem — sagen wir 'mal: Taschengeldkonto — ab. Jeden Fünfzehnten schickte sie einen dicken Brief nach Worcester. Was macht den Brief so dick? Zeitungsausschnitte? Seitenlange Liebesschwüre? Das wohl kaum.“

      „Natürlich nicht, old guy ...“ — der Inspector sprang wie elektrisiert auf — „... sondern Geld, Money, Pinkepinke! — Halt, sagen Sie jetzt nichts. Die Akte bitte ...“

      Hulbert reichte ihm den Schnellhefter über den Tisch. Taggart schlug ihn auf, überflog den zusammenfassenden Bericht seines Kollegen Strush und sagte echauffiert:

      „Hören Sie, was hier steht, Chris:

      Elga Todd ..., ... Tochter des Ingenieurs Juro Todd ... — ... der Vater verschwand im März 1935 spurlos … Goddam, man könnte auf die dümmsten Gedanken kommen.“

      „Zumindest auf den Gedanken, dass sich hinter der Postlageranschrift J .T. Elgas Vater Juro Todd verbirgt“, bestätigte der Sergeant trocken. Trotzdem kann ich nicht glauben, dass J.T. — wer sich auch immer hinter diesem Monogramm verbergen möge — die goldene Gans geschlachtet hat, die für ihn, oder für sie, Monat für Monat ein goldenes Ei legte.“

      Der Inspector setzte sich an die Schreibmaschine. Während er einen neutralen Briefbogen einspannte, sagte er:

      „Das ist mir ganz egal. Auf jeden Fall werde ich J.T. auf die Pelle rücken!“

      Er schrieb — und Chris Hulbert sah ihm dabei über die Achsel:

       August 31

       My dear J.T.,

       man ist Ihnen auf die Schliche gekommen, und die Sache sieht bös' für Sie aus. Eigentlich sollte ich die Fallentür hinter Ihnen verriegeln, aber ich gebe Ihnen vorher eine Chance, sich mit mir zu arrangieren, weil ich ein reizender Mensch bin. Falls Sie dazu bereit sind, m.a.W., falls Sie die Katastrophe vermeiden wollen, müssen Sie unverzüglich eine Anzeige folgenden Inhalts im „Worcester Mirror“ unter Vermischtes aufgeben:

      „ Bill!

       Das goldene Ei ist verkäuflich. Setz' Dich mit mir unter der alten Postlager-Anschrift sofort in Verbindung.

       J.T.“

       Sie können es natürlich auch bleiben lassen.

       Bill

      „Raffiniert!“, hauchte Chris Hulbert ehrfürchtig, während der Inspector einen Briefumschlag einspannte und die Adresse schrieb.

      *

      Sergeant Hulbert verließ das Büro, um den Brief sofort einzuwerfen, und gab einem Boten des Zentrallaboratoriums die Türklinke in die Hand.

      Taggart sah auf. „Von Mister Logan? Geben Sie her!“ Er nahm dem Boten ein Formblatt und sein eigenes silbernes Zigarettenetui aus der Hand und unterschrieb dafür im Quittungsbuch. Dann vertiefte er sich in den Inhalt der Expertise:

      „... fanden sich, über Vorder- und Rückseite des Etuis gleichmäßig verteilt, diverse Fingerabdrücke Inspector Taggarts. Außerdem wurde an fremden Abdrücken festgestellt:

      a) auf der Vorderseite: Zeige-, Mittel- und Ringfinger

      sowie

      b) auf der Rückseite: Daumenabdruck,

      also insgesamt vier Fingerspuren, die von der gleichen Hand stammen. Diese konnten agnosziert werden und sind unter der Nummer 1359/4344/5 109a der Abgelegten-Kartei registriert. Personalangaben:

      Hermione Lorna Chilten-Adams, geboren am 6.3.20 in Glasgow, Schottland, derzeitiger Aufenthalt nicht bekannt. Lorna Chilten heiratete am 14.3.43 den US-Major (U.S. Air Force) George Adams. A. fiel am 4.1.44 im Luftkampf. Seine Witwe nahm ihren Dienst beim Weiblichen Hilfscorps wieder auf — letzter Dienstgrad: Lieutenant — und wurde am 13.2.43 zur Außenstelle Glasgow der Admiralität versetzt. Am 14.8.44 wurde sie unter dem Verdacht verhaftet, Mitschuldige der sogenannten Spionageaffäre Roget zu sein (Näheres hier nicht bekannt), musste aber nach dem am 16.8.44 erfolgten Selbstmord des Hauptverdächtigen Richard Roget wegen Mangel an Beweisen wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Am 1.10.44 wurde Ch.-A. zur Magazinabteilung Northeast versetzt, wo sie bis zu ihrer Demobilisierung — 25.20. 48 — blieb.

      Zentrallabor: Logan Zentralkartei: Bicloe-Sounders

      In seiner Verblüffung musste Taggart zweimal hinsehen, ehe er begriff, was er gelesen hatte. Danach fiel ihm plötzlich wieder ein, warum ihm die angebliche „Miss Helen Craigie“ gleich so bekannt vorgekommen war, wenn auch sehr nebulös: Er hatte einige Jahre zuvor an einem Aufbaulehrgang der Polizeiakademie teilgenommen, der unter dem Motto „Kriminalpolizei und Geheimdienst“ veranstaltet worden war, und später in London ein Referat „Spionageabwehr und Kriminologie“ halten müssen. Vorher hatte er sein neu gewonnenes Wissen durch fleißig zusammengetragenes Archivmaterial ergänzt und war dabei auch auf die spärlichen Akten des Falles Richard Roget gestoßen, in denen unter anderem H. Lorna Chilten erwähnt worden und ihr Bild enthalten gewesen war. —

      „Colonel Ashburton, Sir!“

      Unhörbar war der Vorzimmerbeamte eingetreten, um den Besucher zu melden.

      „Soll 'reinkommen!“, murmelte Taggart. „Bin gerade scharf auf ihn ...“

      *

      In seinem Dress — gestreifte Hose, schwarzes Jackett, Melone, Regenschirm, Wildlederhandschuhe — wirkte Ashburton äußerlich wie ein gehobener Ministerialbeamter, konnte aber bei näherem Hinsehen den etwas einseitigen Offizier nicht verleugnen. Sein gemessener Gruß ließ deutlich erkennen, dass er Ray Taggart — der schließlich „nur“ C.I.D.-Inspector war — neuerdings für voll nahm, aber aus seinem sauber geputzten Monokel blitzte dem Beamten immer noch der alte Dünkel entgegen.

      Taggart hatte sich erhoben und gab den Gruß des Eingetretenen reserviert zurück: ,,'n Tag, Colonel Ashburton! Bitte Platz zu nehmen.“ Eigenhändig rückte er seinem Besucher den Sessel zurecht. „Inzwischen haben sich interessante Details ergeben, aber nichts Entscheidendes.“

      Das könne man nach knapp zwei Tagen billigerweise nicht verlangen, versetzte Ashburton gemessen und blickte sich neugierig um. „Sehr feudal haben Sie's hier gerade nicht, mon cher.“

      „Stimmt genau!“ Der Inspector lachte. „Wissen Sie, wir haben eine geradezu krankhafte Animosität gegen das, was wir Ämter-Luxus nennen, denn wir wollen uns nicht gern den Vorwurf machen lassen, wir würden Steuergelder vergeuden.“

      „Aber wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, brüllt der biedere Bürger nach der Polizei, wie?“ Der Colonel seufzte. „Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, lieber Taggart, dass wir uns endgültig dazu entschlossen haben, die weitere Bearbeitung des Falles Benham vom — ehem! — Fall meiner Frau abzutrennen. Ich komme eben von Super Heytesbury, und wir sind so verblieben, dass die Rauschgiftaffäre gemeinsam von der Generalstabsabwehr in Zusammenarbeit mit Ihrem Rauschgiftdezernat unter Einschaltung von Interpol bearbeitet werden soll. Alle Ermittlungsergebnisse werden nachrichtlich an Sie weitergeleitet.“

      „Eine faire Lösung“, erkannte der Inspector gerechterweise an. „Ich möchte eine Bemerkung machen, Sir: Meiner Meinung nach war Miss Peacock Benhams Komplicin.“

      „Naturellement!“ Plötzlich lief Ashburton rot an. „Was Miss Peacocks Behauptung, Benham habe sich die Dunster-Begegnung aus den Fingern gesogen, bedeuten