Ханс Фаллада

Hans Fallada: Der Trinker – Band 186e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski


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Armes, ich schäme mich vor diesem jungen Ding meiner hervorquellenden Tränen. Es ist alles aus und vorbei, alles verloren, Firma, Ehe, Magda – ach, hätte ich nur heute Mittag nicht auch noch den Rotwein ausgetrunken, davon ist erst alles so schlimm geworden, ohne das wäre Magda nie ins Geschäft gegangen (flüchtiger Nebengedanke: das mit der leeren Rotweinflasche muss ich auch noch in Ordnung bringen!). Else schüttelt mich leicht an der Schulter. „Herr Sommer“, sagte sie, „lassen Sie sich doch nicht so gehen! Legen Sie sich noch einen Augenblick hin, und ich mache Ihnen unterdes sofort Abendessen.“

      Ich schüttele den Kopf. „Ich will kein Abendessen, Else! Meine Frau müsste jetzt hier sein, es ist doch Zeit ...“ „Oder“, sagt Else überredend, „wollen Sie hier bei mir in der Küche ein bisschen essen, Herr Sommer?“ Selbst etwas bedenklich: „Wo Ihre Frau doch fort ist ...“

      Dieser ganz unerhörte Vorschlag hat gerade durch seine Neuheit etwas Bestechendes. Hier in der Küche bei Else essen – was Magda wohl dazu sagen würde? Ich hebe den Kopf und sehe Else zum ersten Mal richtig an. Ich habe sie noch nie so angesehen, für mich war sie immer nur ein dunkler Schatten meiner Frau in den hinteren Regionen des Hauses. Jetzt sehe ich, dass Else ein recht nettes dunkelhaariges Mädchen von etwa siebzehn Jahren mit etwas robuster Schönheit ist. Sie hat unter einer hellen Bluse eine volle Brust, und bei dem Gedanken, wie jung diese Brust ist, fühle ich eine Welle von Hitze über mich laufen.

      Aber dann besinne ich mich. All dies ist unmöglich, schon mein Sich-vor-Else-Gehen-Lassen eben war ganz unmöglich.

      „Nein, Else“, sage ich und stehe auf, „es ist sehr nett von dir, dass du mich ein wenig trösten willst, aber ich gehe jetzt besser auch ins Geschäft. Sollte ich meine Frau verfehlen, sage ihr bitte, ich sei auch ins Geschäft gegangen.“ Ich wende mich zum Gehen. Plötzlich wird es mir schwer, aus der Küche und von diesem freundlichen Mädchen fortzugehen. Ich stehe dann noch einen Augenblick unter der Tür und sehe sie an. Es fällt mir auf, wie blass ihr Gesicht ist und wie gut die dunklen, hochgeschwungenen Augenbrauen dazu passen.

      „Ich habe viele Sorgen, Else“, sage ich unvermittelt, „und ich habe keinen, Else, der mir beisteht.“ Ich wiederhole mit Nachdruck: „Keinen und keine, Else, du verstehst mich?! –“

      „Ja, Herr Sommer“, antwortet sie leise.

      „Ich danke dir, Else, dass du so nett zu mir warst“, sage ich noch und gehe. Erst als ich mich im Badezimmer zurechtmache, fällt mir ein, dass ich soeben Magda verraten habe. Verraten und betrogen. Betrogen und belogen. Aber gleich zucke ich die Achseln: Recht so! Immer tiefer hinab. Immer schneller hinein. Nun gibt es doch kein Halten mehr!

      * * *

      Kapitel sechs

       Kapitel sechs

       Vorsichtig ging ich den Weg zu meinem Geschäft, vorsichtig, denn ich wollte es um jeden Preis vermeiden, Magda auf der Straße zu treffen. Dann stand ich auf der anderen Straßenseite im Schatten einer Einfahrt und sah zu den fünf Parterrefenstern meiner Firma hinüber. Zwei, mein Chefbüro, waren erleuchtet, und manchmal sah ich auf den Milchglasscheiben die Schattenrisse zweier Gestalten: Magdas und die meines Buchhalters Hinzpeter. ‚Sie machen Bilanz!’ sagte ich mir mit einem tiefen Erschrecken, und doch war diesem Erschrecken ein Gefühl der Erleichterung beigemischt, weil ich nun die Führung des Geschäftes in den tatkräftigen Händen Magdas wusste. Das sah ihr so recht ähnlich, sofort nach Erfahren der schlimmen Nachrichten sich volle Klarheit zu verschaffen, die Bilanz zu ziehen! Mit einem tiefen Seufzer wandte ich mich ab und ging durch die Stadt hindurch, aus ihr hinaus, aber nicht meinem Heim zu. Was sollte ich auf dem Büro, was in meinem Heim? Die Vorwürfe noch aufsuchen, die mir notwendig gemacht werden mussten, eine Rechtfertigung versuchen, dort, wo nichts zu rechtfertigen war? Nichts von alledem – und, indem ich wieder in das langsam immer dunkler werdende Land hinauswanderte, wurde mir mit schmerzhafter Gewissheit klar, dass ich ausgespielt hatte. Ich hatte, endgültig, meine Stellung und meinen Sinn im Leben verloren, und ich fühlte nicht die Kraft in mir, eine neue zu suchen oder gar um die verlorene zu kämpfen. Was sollte ich noch? Wozu lebte ich noch? Da ging ich dahin, wanderte fort von Kontor, Frau, Vaterstadt, ließ das alles hinter mir – aber ich musste doch einmal wieder heimkehren, nicht wahr? Ich musste mich Magda gegenüberstellen, ihre Vorwürfe anhören, mich mit Recht Lügner und Betrüger schelten lassen, musste zugeben, dass ich versagt hatte, auf eine schmähliche und feige Art versagt! Unerträglich war dieser Gedanke, und ich fing an, mit dem Gedanken zu spielen, gar nicht wieder heimzukehren, in die weite Welt hinauszugehen, irgendwo im Dunkel unterzutauchen, in einem Dunkel, in dem man auch untergehen konnte – ohne Nachricht, ohne letzten Ruf. Und während ich mir das alles – in leichter Rührung über mich selbst – ausmalte, wusste ich doch, dass ich mir etwas vorlog, nie würde ich den Mut haben, ohne Zureden, ohne die Geborgenheit des heimischen Herdes zu leben. Nie würde ich auf das gewohnte weiche Bett verzichten können, die Ordnung des Heims, die pünktlichen nahrhaften Mahlzeiten! Ich würde heimkehren zu Magda, all meinen Ängsten zum Trotz, diese Nacht noch würde ich heimkehren, in mein gewohntes Bett – nichts da von einem Leben draußen im Dunkel, von einem Leben und einem Sterben in der Gosse! – ‚Aber’, sagte ich mir dann wieder und beschleunigte meine eiligen Schritte noch, ‚aber was ist denn eigentlich los mit mir? Ich bin doch früher ein leidlich tatkräftiger und unternehmungslustiger Mensch gewesen. Ein wenig schwach war ich stets, aber das habe ich so gut zu verbergen gewusst, dass es bis heute wohl nicht einmal Magda gemerkt hat; woher kommt die Schlaffheit, die mich seit einem Jahr immer stärker befällt, die mir Glieder und Hirn lähmt, die aus mir, einem immer leidlich anständigen Menschen, einen Betrüger an seiner Frau macht, der den Busen seines Hausmädchens mit befriedigter Lüsternheit betrachtet! Der Alkohol kann es nicht sein, ich trinke ja erst seit heute Schnaps, und die Schlaffheit liegt schon so lange über mir. Was ist es nur?’ – Ich riet hin und her. Ich dachte daran, dass ich soeben die Vierzig überschritten hatte; ich hatte einmal etwas von den ‚Wechseljahren des Mannes’ reden hören – aber ich wusste von keinem Mann meiner Bekanntschaft, der beim Überschreiten der Vierzig sich so verändert hatte wie ich mich. Dann fiel mir mein liebloses Dasein ein. Ich hatte immer nach Anerkennung und Liebe gedürstet, in aller gebotenen Heimlichkeit natürlich, und ich hatte sie in einem reichen Maße gefunden, sowohl bei Magda wie bei meinen Mitbürgern. Und nun hatte ich sie allmählich verloren. Ich wusste selbst nicht, wie das alles gekommen war. Hatte ich diese Liebe und diese Anerkennung verloren, weil ich schlecht geworden war, oder war ich schlecht geworden, weil mir diese Aufmunterungen gefehlt hatten? Ich fand auf alle diese Fragen keine Antwort: ich war es nicht gewöhnt, über mich nachzudenken. Ich ging immer schneller, ich wollte endlich dorthin kommen, wo es Frieden vor diesen quälenden Fragen gab. Endlich stand ich wieder vor meinem Ziel, vor demselben Dorfgasthaus, das ich an diesem verhängnisvollen Vormittag aufgesucht hatte; ich sah durch die Fenster der Wirtsstube nach jenem Mädchen mit den blassen Augen aus, das mein Mannestum nach einem schamlosen Blick so gering eingeschätzt hatte. Ich sah es sitzen unter dem trüben Schein einer einzigen kleinen Glühbirne, mit irgendeiner Näherei beschäftigt, ich sah es lange an, ich zögerte, und ich fragte mich, warum ich gerade es aufgesucht hatte, in einem Gefühl schmerzender, mit Wollust erfüllter Selbsterniedrigung. Und auch auf diese Frage fand ich keine Antwort.

      Aber ich war all dieses Fragens müde, ich lief fast den Plattenweg zum Gasthof hinauf, tastete im dunklen Flur nach der Klinke, trat rasch ein, rief mit verstellter Munterkeit:

      „Da bin ich, mein schönes Kind!“ und warf mich in einen Korbsessel neben sie. All das, was ich eben getan hatte, glich so wenig dem, was ich sonst zu tun pflegte, wich so sehr von meiner früheren Gesetztheit, meinem gemessenen Benehmen ab, dass ich mir selbst mit einem unverhohlenen Staunen zuschaute, ja, mit einer fast ängstlichen Betretenheit, wie man vielleicht einem Schauspieler zuschaut, der eine sehr gewagte Rolle übernommen hat, von der ganz und gar nicht sicher ist, dass er sie auch überzeugend zu Ende spielen kann.

      Das Mädchen sah von seiner Näherei auf, einen Augenblick waren die hellen Augen auf mich gerichtet, die Spitze ihrer Zunge erschien rasch im Mundwinkel. „Ach, Sie sind es!“ sagte es dann bloß, und in diesen vier Wörtchen lag wiederum ihr Urteil über meine Person.

      „Ja,