Fritz Krafft

Die wichtigsten Naturwissenschaftler im Porträt


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Residenz des Kalifen Abu Jakub Jusuf, auf; 1169 wurde er selbst Kadi in Sevilla und zwei Jahre später in Córdoba, wo auch sein Vater und Großvater Kadi gewesen waren. 1182 ­berief Jusuf Averroës als Leibarzt nach Marrakesch, doch entließ er ihn – vermutlich bereits auf Drängen orthodoxer Theologen – rasch wieder. Auch bei Jusufs Nachfolger Jakub al-Mansur stand Averroës anfangs in hoher Gunst; beide Almohadenherrscher waren Förderer von Philosophie und Wissenschaft. Um so mehr verwundert es, dass der Philosoph schon bald in Ungnade fiel und um 1195 nach Lucena, einen kleinen Ort bei Córdoba, verbannt wurde; dies war jedoch offensichtlich ein Zugeständnis al-Mansurs gegenüber den spanischen Theologen, die orthodoxer als die afrikanischen Muslime und in hohem Maße intolerant waren und Averroës wegen angeblicher Koranfeindlichkeit seiner Philosophie mehrfach angeklagt und verhört hatten. Der Kalif hatte nämlich gleichzeitig die Verbrennung der Bücher des Philosophen mit Ausnahme seiner Schriften zur Heilkunde, Arithmetik und elementaren Astronomie befohlen und einen Glaubenskrieg gegen die Christen in Spanien geführt. Nach Marrakesch zurückgekehrt, hob der Kalif auch den Verbannungsbefehl auf und rief Averroës an seinen Hof zurück. Die wiedererlangte Gunst konnte dieser jedoch nur kurze Zeit genießen.

      Trotz der Arbeitsbelastung verfasste Averroës während seiner Richtertätigkeit seine bedeutendsten Werke, unter anderen ausführliche Kommentare zu sämtlichen Schriften des Aristoteles, die er zum Teil in drei verschieden ausführlichen Fassungen vorlegte (im Mittelalter, dem diese Schriften um 1250 bereits alle in lateinischen Übersetzungen vorlagen, hieß er deshalb schlechthin ›der Kommentator‹) und die von einer fast religiösen Verehrung für Aristoteles getragen sind. Angeregt hatte dieses Kommentarwerk Abu Bakr Ibn Tufail, der vor ihm Leibarzt in Marrakesch gewesen war und auf dessen Einfluss wesentlich die Erneuerung der ›echten‹, unverfälschten aristotelischen Lehren im 12. Jahrhundert zurückgeht. Zur Gruppe um Ibn Tufail zählte auch der Astronom Nur ad-Din al-Bitrudschi (lateinisiert: Alpetragius), der im Zuge dieser Rückbesinnung die aristotelische Himmelsphysik erneuerte und gegen Ptolemaios und seine Anhänger die zur Erde konzentrischen Bewegungen der Planetensphären verteidigte. Seine Schrift ›Über die Bewegungen der Himmel‹, die um das Jahr 1185 entstand, wurde bereits 1217 von Michael Scotus, dem Hofastronomen Friedrichs II. und wohl erfolgreichsten Übersetzer wissenschaftlicher Werke aus dem Arabischen, ins Lateinische übertragen und konnte starken Einfluss auf die Himmelsphysik der Scholastik in Westeuropa bis hin zur Erneuerung der Astronomie ausüben.

      Neben seinem ›Corpus Aristotelicum‹ verfasste Averroës eine Reihe von philosophischen, mathematisch-naturwissenschaftlichen und medizinischen Werken und verteidigte Wissenschaft und Philosophie gegen die Angriffe, die ihnen von den muslimischen Theologen entgegengebracht worden waren. Mit Averroës starb der letzte Repräsentant der Philosophie und Wissenschaft des Maurenreiches. – Es waren dann besonders seine Lehren von dem anfanglosen Bestehen der Welt und dem Weltgeist oder der Weltvernunft, die sich nicht in der Seele des einzelnen Menschen vervielfältige, vielmehr allen Menschen gemeinsam sei und sich nur vorübergehend mit der Einzelseele verbinde, welche seine Anhänger, die sogenannten Averroisten, und seine Gegner, unter denen vor allem Albertus Magnus und Thomas von Aquino, die den Christlichen Aristotelismus schufen, zu nennen sind, heiße Kämpfe austragen ließen. Eine Folge dieser Lehren war nämlich beispielsweise das Leugnen der Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Averroës suchte diese und andere Lehren dadurch mit dem ›Koran‹ zu harmonisieren, dass er dessen Aussagen einen mehrfachen Sinn unterlegte, während einzelne christliche Averroisten dem Konflikt mit dem Wortlaut der Bibel und der herrschenden Theologie dadurch zu entgehen suchten, dass sie davon ausgingen, etwas könne durchaus philosophisch wahr, aber theologisch falsch sein – womit ihnen einerseits die Möglichkeit gegeben war, zur Aussage der Bibel Widersprüchliches oder widersprüchlich Erscheinendes wenig­stens spekulativ zu durchdenken, und andererseits langsam der Boden vorbereitet wurde für die spätere strenge Scheidung der Theologie von Philosophie und Naturwissenschaft. Wegen dieser ›doppelten Wahrheit‹ wurden die averroistischen Lehren und die Averroisten 1270 an der Universität Paris und in der Folgezeit überall nördlich der Alpen verboten; in Italien konnte daraufhin insbesondere Padua zu einer Hochburg des Averroismus werden, der dann noch die methodischen Überlegungen eines Galileo Galilei beeinflussen sollte.

      Robert Grosseteste (Greathead)

      (* ca. 1168 Stradbrook [Suffolk],

       † 9. 10. 1253 Buckden [Buckinghamshire])

      Um die Heiligen Schriften besser verstehen zu können, wuchs in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts im christlichen Abendland das Bedürfnis, über die relativ bescheidenen Sachkenntnisse, die in den lateinischen Enzyklopädien der römischen Antike über die Natur tradiert und aus den seit der Karolingischen Renaissance des ausgehenden 8. Jahrhunderts zugänglichen Kompendien des Boethius über die Disziplinen der mathematischen Künste des Quadriviums entnommen worden waren, hinausgehendes Wissen zu erlangen. Das war angeregt durch die Universalienfrage, ob Allgemeinbegriffe (Ideen) tatsächlich existieren (Realismus) oder bloße vom Menschen erfundene Begriffe und ›Namen‹ sind, dem allein existierenden Einzelding nur beigegeben (Nominalismus), woraufhin sich das Interesse wieder mehr den individuellen materiellen Dingen zuwandte. Adelard von Bath reiste daraufhin an die Orte der Quellen, Salerno (Medizinschule), Sizilien und Syrien, und wurde durch seine lateinischen Übersetzungen und die Kenntnisse der Muslime verarbeitenden Schriften zum ersten gezielten Vermittler griechisch-arabischer Wissenschaft an das christliche Abendland, was dann insbesondere auf Sizilien und in Spanien, wo die beiden Kulturen aufeinander trafen, eine rege Übersetzertätigkeit auslöste. Daraufhin wurden im Laufe des 12. Jahrhunderts die meisten der arabisch sprechenden Gelehrtenwelt bekannten griechischen und die wichtigsten arabischen Werke in lateinischen Übersetzungen zugänglich, bis um 1250 dann sogar die arabische Kommentarliteratur zu Aristoteles und anderen wichtigen Autoren. So wurde in kurzer Zeit dem am von Boethius allein ins Lateinische übersetzten ›Organon‹ des Aristoteles logisch-wissenschaftstheoretisch geschulten christlich-lateinischen Abendland eine gewaltige Fülle mathematisch-naturwissenschaftlichen Wissens, das sich über anderthalb Jahrtausende angesammelt hatte, mit einem Schlage bekannt – das jetzt natürlich in die christlichen Glaubensvorstellungen zu integrieren war; und das machte ähnliche Schwierigkeiten, wie sie den muslimischen Gelehrten von den Wächtern der Theologie entgegengebracht worden war. – Weniger Schwierigkeiten, Vernunft und Glauben zu vereinen, hatten dagegen die mehr augus­tinisch-neuplatonisch ausgerichteten Gelehrten, deren ›Physik‹ noch an dem seit der Antike lateinisch zugänglichen ›Timaios‹ Platons ausgerichtet war und die somit einerseits Mathematik in die erklärende Physik einbeziehen, andererseits aber auch im Sinne des Aristoteles zwischen den Aussagefähigkeiten der ›Physik‹ und ›Mathematik‹ unterscheiden konnten. Prädestiniert für eine Vernunft (Naturwissen) und Glauben verbindende Sehweise erwies sich daraufhin die Optik als Ausdruck neuplatonischer Lichtmetaphysik, galt doch seit Augustinus und anderen Neuplatonikern das Licht als Analogon einerseits der göttlichen Gnade und andererseits der Erleuchtung des menschlichen Gei­stes durch die göttliche Wahrheit. Einer der einflussreichsten Vertreter einer solchen Lichtmetaphysik war Robert Grosseteste.

      Grosseteste wurde wahrscheinlich in Lincoln unterrichtet, studierte dann Philosophie, Mathematik und Medizin in Oxford, wo er 1198 im Hause des Bischofs von Hereford wohnte. Spätestens seit 1209 lehrte er auch an der Universität Oxford, deren ›Kanzler‹ er 1215–1221 war, nachdem er die theologische Magi­sterprüfung (wahrscheinlich in Paris) abgelegt hatte. Ihm wurden zwar in der Folgezeit mehrere kirchliche Ämter übertragen, doch blieb er seiner Universität als Lehrer treu und wurde 1229/30 zusätzlich ›lector‹ der Theologie für die Franziskaner, die 1224 in Oxford eine der Universität angeschlossene Ordensschule gegründet hatten. Der Einfluss, den Grossetestes auf die Ausbildung der englischen Franziskaner, die er auf gründliche Studien der Mathematik und Naturwissenschaften ausdehnte, ausübte, hielt auch an, als er 1235 Bischof von Lincoln wurde und deshalb Oxford verließ; denn dieses unterstand wie die Universität seinem Bischofsstuhl. Zu einem großen Teil verdankte die Universität ihr Emporkommen und den guten Ruf im Mittelalter der umsichtigen Tätigkeit Grossetestes als Kanzler und Bischof.

      Die Erneuerung naturwissenschaftlicher Studien im lateinischen Mittelalter ging im wesentlichen von England aus, und Grosseteste, der Lehrer von Roger Bacon, war einer ihrer Prot­a­gonisten. Er wirkte