Betragen.. .
Nun ja: “guerra avisada no mata gente” sagt man in Quito/ Ecuador, was bedeutet: ein angekündigter Krieg bringt die Leute nicht um.
Die Landesregierung beurlaubte mich für die Zeit meines Einsatzes im Forstprojekt Paktia in Afghanistan unter Fortfall meiner Dienstbezüge, jedoch bei Wahrung aller Beamtenrechte und der Garantie der Wiedereingliederung in den Forstdienst nach Ablauf des Projektes.
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1 GAWI = “Garantieabwicklungsgesellschaft”, eine ehemalige Kolonialbehörde, in den ersten Jahren mit der Abwicklung der Deutschen Entwicklungshilfe betraut
1967, Afghanistan.
Ich saß in einer Maschine der Lufthansa auf dem Weg nach Kabul. In der Tasche einen Arbeitsvertrag für 2 Jahre als Förster in einem Forstprojekt in den Bergen des Hindukush2. Beim Abschied im Frankfurter Flughafen sagte mir mein Vater: “Also, gut, wenn du unbedingt gehen willst… . Aber komm mir bloß nicht nach einem halben Jahr mit verheulten Augen und eingeklemmten Schwanz zurück. Es ist deine Entscheidung, und das musst du jetzt durchstehen”. Meine Mutter verstand mich wohl besser. Sie lächelte zum Abschied, und wünschte mir viel Glück.Und ich hatte wirklich Glück mit Afghanistan. Das war ein Land… : 100 % nach meinem Geschmack. Die Afghanen fand ich auf Anhieb vertrauenserweckend und angenehm. Stolze Menschen, freiheitsliebend, kultiviert, unglaublich gastfreundlich. Sie lebten in einfachen Verhältnissen: Armut, wie ich sie aus den 50er Jahren von Deutschland her kannte, konnte man das nicht nennen. Alles war ursprünglich, erdig und natürlich.
Die Bergzüge Afghanistans3 ziehen sich im Grossen und Ganzen von Nord-Osten, aus dem Karakorumknoten des Himalajas kommend in Richtung Süd-West. Die Tallagen sind etwa 1500 bis 2000 m hoch, und die höheren Berge haben 5000 bis 7000 Meter; der Tiritschmir, der höchste unter ihnen, ist über 7000 m hoch. In Ostafghanistan begrenzen die Berge nach Pakistan hin das Indusbecken. Insbesondere Nuristan4 im Nordosten Afghanistans und das südlich davon gelegene Paktia erhalten Feuchte von den aus dem Indusbecken Pakistans aufsteigenden Warmluftmassen die sich, wenn sie auf die Kaltluft der Berge stoßen, zu Wolken kondensieren und abregnen. Das ist in einem etwa 100 km breiten Streifen von der Ostgrenze Afghanistans ins Landesinnere hin der Fall. Weiter nach innen hin wird das Klima zunehmend kontinental, mit extrem trockenen und heißen Sommern und sehr kalten Wintern. Das führt mangels Wasser insbesondere im Süd- und Nordwesten Afghanistans zur Wüstenbildung. Einige der heißesten Wüsten der Erde finden sich in Afghanistan. Namen wie Dasht-e-Naomid”5 und “Dasht-e-Margo”6 lassen das erahnen. In den Bergen im Osten des Landes hingegen, mit Sommerregen und ausgiebigen Schneefällen im Winter, wächst Wald. Die wichtigsten Holzarten sind Zedern, Hochgebirgsformen von Fichten und Tannen mit nadelspitzen Kronen, damit der Schnee nicht auf den Ästen liegen bleiben kann und sie abbrechen lässt, eine Weimutskiefernart (Pinus hallepensis), eine Kiefer mit heller Rinde und Samen die die Afghanen geröstet gerne zum Tee knappern (Pinus gelrosa) und die Balluteichen.
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2 daraus wurden dann insgesamt fast 8 Jahre
3 “Afghanistan” heißt “das Land der Afghanen”
4 “Nuristan” heißt das “Land des Lichtes”
5 “ die Wüste der Verzweiflung”, und 6 “die Wüste des Todes”
In Nuristan bordet die Natur regelrecht über: intensives Sonnenlicht, viel Regen und gute Waldböden bringen alles zum Extrem. Extrem hohe und dicke Bäume, wilde Trauben die in die Kronen der Balluteichen ranken, Tannen- und Fichtennadeln, die
so lang sind wie Kiefernnadeln (und länger), Haselnüsse die sich zu Bäumen mit beträchtlichen Stämmen auswachsen. Wasser rauscht durch alle Täler, feuchte Pfade führen in die Hochlagen der Berge wo das Vieh weidet. Dort verbringen die Hirten
den Sommer mit ihren Tieren. Gegen Abend mag da ein Hirte sitzen, unter einem Baum, mit einem fantastischen Blick auf die Kulisse schneebedeckter 5- und 6 Tausender um ihn herum, und spielt ein Lied auf seiner Flöte. Es kann gut sein, das er blonde Haare hat, blaue Augen und eine griechische Nase: Nachkommen der Soldaten Alexander des Grossen, die es satt hatten die Welt zu erobern, sich in den Bergen Nuristans versteckten und beschlossen dort zu bleiben. Das Projektgebiet lag in Paktia, eine landschaftlich ausgesprochen reizvolle Region im Hindukush7. Wir bauten uns selbst unsere Forststation auf, neben dem Dorf Kotgai. Der schneebedeckte Safeth Ko (auf Paschtu: „Spin Ra“, knapp 5.000 m hoch) war unser Hausberg, sozusagen im Vorgarten. Er verdiente seinen Namen zu recht: der weiße Berg. Von Kotgai aus führte der Weg noch ein paar Kilometer weiter bergan, bis zum Fort an der pakistanischen Grenze, in ca. 3000 m Höhe. Von diesen Grenzforts gab es eine ganze Reihe im Projektgebiet. Wir wurden den Grenzkommandanten vorgestellt, weil das Grenzgebiet eigentlich für Ausländer gesperrt war. Unsere Vorstellung gestaltete sich einfach, da unsere Counterparts hohe Militärs waren. Die Regelung unser Counterpartpersonal aus dem Militär zu rekrutieren bot sich an, denn es gab damals keine Forstverwaltung in Afghanistan. Andere jeep-befahrbare Wege existierten nicht im Projektgebiet. Um das Gelände zu erkunden beschaffte ich mir erst einmal ein Pferd. Damit kam ich schnell und sicher in die entferntesten Ecken des Waldgebietes von Mandaher, da es an Nah- und auch Fernpfaden nicht mangelte.
Die Afghanen hatten immer gute Beziehungen zu den Deutschen. Das ging zurück bis in König Amanullahs Zeiten (1919 bis 1929). Als Deutschland den ersten Weltkrieg verloren hatte war König Amanullah der Erste der Deutschland offiziell Staatsbesuch erstattete. Deutschlands verwundeter Volksseele tat das gut. Die Menschen jubelten ihm in Massen zu. In vielen Städten gab es plötzlich “Amanullah-Bars”: Afghanistan war groß in Mode. Vielleicht hatte König Amanullah nicht mit solch einem überwältigend warmherzigen Empfang gerechnet: jedenfalls er war begeistert von den Deutschen, und es wurde ein Kulturabkommen unterzeichnet, wie es vielleicht so weitgehend noch nie in der Geschichte eines gegeben hatte. Es wurde der Bau der Nedjad Oberrealschule in Kabul beschlossen, eine Hochschule für Ingenieurswesen gegründet, und König Amanullah beschloss ganze Schulklassen geschlossen auf ________________________
7 “Hindukush” bedeutet “Hindutöter. Die Inder gaben den Bergen diesen Namen.
Gymnasien nach Deutschland zu schicken, damit sie dort das Abitur machen und danach gleich inDeutschland bleiben um zu studieren. Einer unserer Projektdolmetscher war mit solch einer Klasse in Deutschland. Er begrüßte uns mit den Worten: “na alter Junge, alles in Butter? Prima dass ihr hier seid. Wirklich dufte!” Er hatte in Berlin studiert, und sich vor seiner Rückkehr nach Afghanistan etwas Geld als Taxichauffeur verdient.König Amanullah hätte wohl damals auch einen Assoziierungsvertrag mit Deutschland unterschrieben, wenn es jemandem eingefallen wäre so etwas vorzuschlagen. Das wäre für die Afghanen deshalb akzeptabel gewesen, weil ja alles “in der Familie” geblieben wäre. Wir, die Deutschen, sind nämlich nach Meinung der Afghanen ihre Brüder. In unseren Adern fließt das Blut dergleichen Rasse. Afghanen und Deutsche sind beide Arier. Ein Stamm der, wie sie sagen, vor langer Zeit in Afghanistan lebte.
Hierzu möchte ich eine Geschichte erzählen:
Eine der Aufgaben welche wir uns seinerzeit im Rahmen unserer Arbeit im Forstprojekt Paktia stellten waren Aufforstungen in der Nähe der Gebirgsdörfer, weil die Wälder wegen der laufenden Brennholznutzung um die Dörfer herum inzwischen verschwunden waren, und die Frauen zum Brennholz holen Stunden und Stunden unterwegs waren, mit Körben auf dem Kopf, oder mit Eseln als Lasttiere.
Da blieb eigentlich kaum noch Zeit für die Kleinkinder, die Feld- und Hausarbeit. Und Holz ist in dieser abgeschiedenen Gebirgswelt die einzige Energiequelle zum Kochen, oder zum Wärmen in den bitterkalten kontinentalen Wintern. Die Menschen in den Hindukushtälern leben heute, wie schon vor Tausenden von Jahren, von der Viehzucht und vom Ackerbau. Die Felder in den Tälern werden mit “Djuis” (Wassergräben) bewässert die von den Bergflüssen abgeleitet werden. Ihre Viehherden bestehen hauptsächlich aus Ziegen und Schafen, mit denen sie zur Futtersuche weite Strecken unterwegs sind. Für die Ziegen hauptsächlich wären unsere Aufforstungen Leckerbissen gewesen, wenn man sich nicht um ihren Schutz gekümmert hätte. Was wir