Gotthold Ephraim Lessing

Emilia Galotti


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Auch war nicht viel Aufhebens davon zu machen.—Sie werden lachen, Prinz.—Aber so geht es den Empfindsamen! Die Liebe spielet ihnen immer die schlimmsten Streiche. Ein Mädchen ohne Vermögen und ohne Rang hat ihn in ihre Schlinge zu ziehen gewußt—mit ein wenig Larve, aber mit vielem Prunke von Tugend und Gefühl und Witz—und was weiß ich?

      Der Prinz. Wer sich den Eindrücken, die Unschuld und Schönheit auf ihn machen, ohne weitere Rücksicht, so ganz überlassen darf—ich dächte, der wäre eher zu beneiden als zu belachen.—Und wie heißt denn die Glückliche? Denn bei alledem ist Appiani—ich weiß wohl, daß Sie, Marinelli, ihn nicht leiden können; ebensowenig als er Sie—, bei alledem ist er doch ein sehr würdiger junger Mann, ein schöner Mann, ein reicher Mann, ein Mann voller Ehre. Ich hätte sehr gewünscht, ihn mir verbinden zu können. Ich werde noch darauf denken.

      Marinelli. Wenn es nicht zu spät ist.—Denn soviel ich höre, ist sein Plan gar nicht, bei Hofe sein Glück zu machen.—Er will mit seiner Gebieterin nach seinen Tälern von Piemont—Gemsen zu jagen, auf den Alpen, und Murmeltiere abzurichten.—Was kann er Besseres tun? Hier ist es durch das Mißbündnis, welches er trifft, mit ihm doch aus. Der Zirkel der ersten Häuser ist ihm von nun an verschlossen—Der Prinz.

      Mit euren ersten Häusern!—in welchen das Zeremoniell, der Zwang, die Langeweile und nicht selten die Dürftigkeit herrschet.—Aber so nennen Sie mir sie doch, der er dieses so große Opfer bringt.

      Marinelli. Es ist eine gewisse Emilia Galotti.

      Der Prinz. Wie, Marinelli? eine gewisse—Marinelli. Emilia Galotti.

      Der Prinz. Emilia Galotti?—Nimmermehr!

      Marinelli. Zuverlässig, gnädiger Herr.

      Der Prinz. Nein, sag ich; das ist nicht, das kann nicht sein.—Sie irren sich in dem Namen.—Das Geschlecht der Galotti ist groß.—Eine Galotti kann es sein: aber nicht Emilia Galotti, nicht Emilia!

      Marinelli. Emilia—Emilia Galotti!

      Der Prinz. So gibt es noch eine, die beide Namen führt.—Sie sagten ohnedem, eine gewisse Emilia Galotti—eine gewisse. Von der rechten kann nur ein Narr so sprechen—Marinelli. Sie sind außer sich, gnädiger Herr.—Kennen Sie denn diese Emilia?

      Der Prinz. Ich habe zu fragen, Marinelli, nicht Er.—Emilia Galotti?

      Die Tochter des Obersten Galotti, bei Sabionetta?

      Marinelli. Ebendie.

      Der Prinz. Die hier in Guastalla mit ihrer Mutter wohnet?

      Marinelli. Ebendie.

      Der Prinz. Unfern der Kirche Allerheiligen?

      Marinelli. Ebendie.

      Der Prinz. Mit einem Worte—(Indem er nach dem Porträte springt und es dem Marinelli in die Hand gibt.) Da!—Diese? Diese Emilia Galotti?—Sprich dein verdammtes "Ebendie" noch einmal und stoß mir den Dolch ins Herz!

      Marinelli. Ebendie!

      Der Prinz. Henker!—Diese?—Diese Emilia Galotti wird heute—Marinelli. Gräfin Appiani!—(Hier reißt der Prinz dem Marinelli das Bild wieder aus der Hand und wirft es beiseite.) Die Trauung geschiehet in der Stille, auf dem Landgute des Vaters bei Sabionetta. Gegen Mittag fahren Mutter und Tochter, der Graf und vielleicht ein paar Freunde dahin ab.

      Der Prinz (der sich voll Verzweiflung in einen Stuhl wirft). So bin ich verloren!—So will ich nicht leben!

      Marinelli. Aber was ist Ihnen, gnädiger Herr?

      Der Prinz (der gegen ihn wieder aufspringt). Verräter!—was mir ist?—Nun ja, ich liebe sie; ich bete sie an. Mögt ihr es doch wissen! Mögt ihr es doch längst gewußt haben, alle ihr, denen ich der tollen Orsina schimpfliche Fesseln lieber ewig tragen sollte!—Nur daß Sie, Marinelli, der Sie so oft mich Ihrer innigsten Freundschaft versicherten—O ein Fürst hat keinen Freund! kann keinen Freund haben! —, daß Sie, Sie, so treulos, so hämisch mir bis auf diesen Augenblick die Gefahr verhehlen dürfen, die meiner Liebe drohte: wenn ich Ihnen jemals das vergebe—so werde mir meiner Sünden keine vergeben!

      Marinelli. Ich weiß kaum Worte zu finden, Prinz—wenn Sie mich auch dazu kommen ließen—, Ihnen mein Erstaunen zu bezeigen.—Sie lieben Emilia Galotti!—Schwur dann gegen Schwur: Wenn ich von dieser Liebe das geringste gewußt, das geringste vermutet habe, so möge weder Engel noch Heiliger von mir wissen!—Ebendas wollt' ich in die Seele der Orsina schwören. Ihr Verdacht schweift auf einer ganz andern Fährte.

      Der Prinz. So verzeihen Sie mir, Marinelli—(indem er sich ihm in die Arme wirft) und bedaueren Sie mich.

      Marinelli. Nun da, Prinz! Erkennen Sie da die Frucht Ihrer Zurückhaltung!—"Fürsten haben keinen Freund! können keinen Freund haben!"—Und die Ursache, wenn dem so ist?—Weil sie keinen haben wollen.—Heute beehren sie uns mit ihrem Vertrauen, teilen uns ihre geheimsten Wünsche mit, schließen uns ihre ganze Seele auf: und morgen sind wir ihnen wieder so fremd, als hätten sie nie ein Wort mit uns gewechselt.

      Der Prinz. Ah! Marinelli, wie konnt' ich Ihnen vertrauen, was ich mir selbst kaum gestehen wollte?

      Marinelli. Und also wohl noch weniger der Urheberin Ihrer Qual gestanden haben?

      Der Prinz. Ihr?—Alle meine Mühe ist vergebens gewesen, sie ein zweites Mal zu sprechen.—Marinelli. Und das erstemal—Der Prinz. Sprach ich sie—Oh, ich komme von Sinnen! Und ich soll Ihnen noch lange erzählen?—Sie sehen mich einen Raub der Wellen: was fragen Sie viel, wie ich es geworden? Retten Sie mich, wenn Sie können: und fragen Sie dann.

      Marinelli. Retten? ist da viel zu retten?—Was Sie versäumt haben, gnädiger Herr, der Emilia Galotti zu bekennen, das bekennen Sie nun der Gräfin Appiani. Waren, die man aus der ersten Hand nicht haben kann, kauft man aus der zweiten:—und solche Waren nicht selten aus der zweiten um so viel wohlfeiler.

      Der Prinz. Ernsthaft, Marinelli, ernsthaft, oder—Marinelli. Freilich, auch um so viel schlechter-Der Prinz. Sie werden unverschämt!

      Marinelli. Und dazu will der Graf damit aus dem Lande.—Ja, so müßte man auf etwas anders denken.—Der Prinz. Und auf was?—Liebster, bester Marinelli, denken Sie für mich. Was würden Sie tun, wenn Sie an meiner Stelle wären?

      Marinelli. Vor allen Dingen eine Kleinigkeit als eine Kleinigkeit ansehen—und mir sagen, daß ich nicht vergebens sein wolle, was ich bin—Herr!

      Der Prinz. Schmeicheln Sie mir nicht mit einer Gewalt, von der ich hier keinen Gebrauch absehe.—Heute, sagen Sie? schon heute?

      Marinelli. Erst heute—soll es geschehen. Und nur geschehenen Dingen ist nicht zu raten.—(Nach einer kurzen Überlegung.) Wollen Sie mir freie Hand lassen, Prinz? Wollen Sie alles genehmigen, was ich tue?

      Der Prinz. Alles, Marinelli, alles, was diesen Streich abwenden kann.

      Marinelli. So lassen Sie uns keine Zeit verlieren.—Aber bleiben Sie nicht in der Stadt. Fahren Sie sogleich nach Ihrem Lustschlosse, nach Dosalo. Der Weg nach Sabionetta geht da vorbei. Wenn es mir nicht gelingt, den Grafen augenblicklich zu entfernen: so denk ich—Doch, doch; ich glaube, er geht in diese Falle gewiß. Sie wollen, Prinz, wegen Ihrer Vermählung einen Gesandten nach Massa schicken? Lassen Sie den Grafen dieser Gesandte sein; mit dem Bedinge, daß er noch heute abreiset.—Verstehen Sie?

      Der Prinz. Vortrefflich!—Bringen Sie ihn zu mir heraus. Gehen Sie, eilen Sie. Ich werfe mich sogleich in den Wagen. (Marinelli geht ab.)

      Siebenter Auftritt

      Der Prinz. Sogleich! sogleich!—Wo blieb es?—(Sich nach dem Porträte umsehend.) Auf der Erde? das war zu arg! (Indem er es aufhebt.) Doch betrachten? betrachten mag ich dich fürs erste nicht mehr.—Warum sollt' ich mir den Pfeil noch tiefer in die Wunde drücken? (Setzt es beiseite)—Geschmachtet, geseufzet hab ich lange genug—länger als ich gesollt hätte: aber nichts getan! und über die zärtliche Untätigkeit bei einem Haar alles verloren!—Und wenn nun doch alles verloren wäre? Wenn Marinelli nichts ausrichtete?—Warum will ich mich auch auf ihn allein verlassen? Es fällt mir ein—um diese Stunde (nach der Uhr sehend), um diese nämliche Stunde pflegt das fromme Mädchen alle Morgen bei den Dominikanern